AZ-Report: Freiheit durch Käse

Seit einem Jahr liefern Tegernseer Bauern Heumilch für ihre eigene Käserei – und bestimmen den Preis ihres Rohstoffs selbst.
von  Tina Angerer
Der Mann, der den Käse wendet: Mitarbeiter Ladislav Chano dreht den Camembert im Becher um. In dem kleinen Betrieb geschieht vieles per Hand.
Der Mann, der den Käse wendet: Mitarbeiter Ladislav Chano dreht den Camembert im Becher um. In dem kleinen Betrieb geschieht vieles per Hand. © Daniel von Loeper

Im Weichkäseraum ist es tropisch: 30 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Wäre das hier „Die Sendung mit der Maus“, würde die Stimme sagen: „Das ist Ladislav. In der Hand hat er einen Becher, in dem ein Camembert ist. Er nimmt den Camembert heraus, dreht ihn um und legt ihn wieder in den Becher. Ladislav ist sozusagen ein Käsewender.“

In den allermeisten Käsereien gibt es gar keinen Käsewender mehr, da machen das Maschinen. Im Raum nebenan sind gerade drei Mitarbeiter damit beschäftigt, den Weichkäse einzupacken und mit dem Wapperl „Naturkäserei Tegernseer Land“ zu versehen – ebenfalls per Hand. Hier geht es nicht um große Mengen, um schnellen Profit, sondern ums Produkt. Und für einige Bauern geht es hier um nicht weniger als um ihre Selbstachtung.

Vor einem Jahr wurde die Käserei eingeweiht, mit der eine Gruppe von Milchbauern aus dem Tegernseer Tal ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen hat. Heute ist die Käserei nicht nur bei Touristen beliebt. Auch die Münchner rennen dem Laden, der zum Betrieb gehört, nach ihren Ausflügen in den Hausbergen die Bude ein, immer mehr Geschäfte und Restaurants nehmen die Heumilch-Produkte in ihr Angebot auf.

Einer der Mitbegründer ist Hans Leo, ein Bauer von der Pike auf. Schon als Vierjähriger wollte er Landwirt werden. Nach Landwirtschaftsschule, Meisterschule, Fachabitur, Studium der Agrarinformatik und vielen Jahren Arbeit als Betriebshelfer übernahm er den heimischen Hof – und sah sich in einer Sackgasse, wegen der miesen Milchpreise war der Hof ein Minusgeschäft. Zuletzt hat der Bauer manchmal morgens sarkastisch zu seiner Frau gesagt: „Ich gehe jetzt in den Stall. Gib mir mal einen Hunderter, das ist das Geld, das wir jeden Tag draufzahlen.“
Aber es war nicht nur das fehlende Geld, sagt Hans Leo, und erzählt von einem Schlüsselerlebnis. Ein Feriengast, der bei ihm ein Zimmer gemietet hatte, schaute morgens zu, als die Milch abgeholt wurde und fragte den Bauern: „Was passiert jetzt mit dieser Milch?“ Eine scheinbar einfache Frage. „Aber ich musste zugeben, dass ich es nicht weiß. Wir Bauern stellen nur noch den Rohstoff zur Verfügung und ab da haben wir nichts mehr mit dem Produkt zu tun. Wir haben die Verantwortung an Konzerne abgegeben.“

An eine Versandmolkerei ging seine Milch und die schaffte sie nach Italien, bei Bruthitze im Stau am Brenner, bis nach Verona und noch weiter. Bei jedem Lebensmittelskandal, egal, ob Fleisch oder Eier, da zogen auch Bauern wie Hans Leo die Köpfe ein. „Du denkst immer, hoffentlich sind wir nicht die nächsten. Weil, du hast es ja nicht in der Hand, was mit deinem Zeug passiert.“
Im Jahr 2007 stand Leo am Scheideweg: „Entweder wir machen es wie viele im Tegernseer Tal: Land verkaufen und aufhören. Oder wir lassen uns was Neues einfallen.“ Als junger Mann, da hat Hans Leo vom Auswandern geträumt, Kanada vielleicht, irgendwo, wo viel Platz ist und wenig Zwang. Als er dann den Hof daheim übernahm, hat er erstmal alle Zäune weggerissen. Heute sagt er: „Die Zäune waren auch in unseren Hirnen.“

Leo traf Gleichgesinnte, andere Bauern, aber auch Leute wie den Wirt Josef Bogner. Es entstand die Idee, eine Käserei aufzumachen, für deren Qualität die Landwirte stehen, die in die Landschaft passt und auch attraktiv sein soll für Besucher. Sie gründeten eine Genossenschaft, am Anfang waren sie nur zu zwölft, heute sind es 1250 Mitglieder. Über vier Millionen Euro haben sie investiert, vom Staat und der EU bekommen sie 750<TH>000<TH>Euro Förderung in mehreren Schüben.

Von Anfang war klar, dass die Bauern Heumilch liefern wollen. Die Kühe bekommen nur frisches Gras oder Heu zu fressen, auf keinen Fall gegorene Futtermittel, wie sie auch im Silo entstehen. Deswegen ist Heumilch, anders als andere Milch, ganz frei von Clostridien. Diese unerwünschten Bakterien vermehren sich besonders bei der Gärung. Clostridienfreie Milch ist bestens geeignet für die Rohmilchkäse-Herstellung, außerdem besser bekömmlich. „Heumilch ist auch landschaftsschonend“, erklärt der Bauer. Wiesen laugen die Böden weniger aus.
Nur: Vom Kasen hatten die Milchbauern erstmal keine Ahnung.

Manchmal braucht man auch die Hilfe des Zufalls und wenn der den Umweg über Amerika nehmen muss. Hans Leo traf eine ehemalige Nachbarin, die schon vor zwanzig Jahren nach Wyoming ausgewandert ist und gerade auf Heimaturlaub war. Als er von seiner Idee erzählte, erzählte sie von ihrer Organic Farm drüben und dass sie einen guten Kaser kennt. Praktischerweise stammte der nicht aus Wyoming, sondern aus Tuntenhausen und so war der Molkereimeister gefunden.

Jeden Tag liefern die 21Milchbauern ihre Heumilch, um halb acht Uhr morgens beginnt die Verarbeitung der rund 5000 Liter. 550 Kilo Käse, Joghurt und Quark werden jeden Tag hergestellt. Insgesamt 35 Mitarbeiter sind beschäftigt, nicht nur mit der Käserei, sondern auch mit dem Laden und der kleinen Wirtschaft. Alles ist zusammen in dem großen Haus, das die Genossenschaft auf einem Grundstück in Kreuth gebaut hat. 1000 Euro kostet ein Anteil, den im Prinzip jeder kaufen kann. In drei Jahren will die Genossenschaft erstmals an ihre Mitglieder ausschütten. Die Bauern selbst bekommen pro Liter 10 Cent mehr als den sonst üblichen Milchpreis – Tendenz steigend.

Für Hans Leo ist die Sache ein Fulltime-Job. Er steht jeden Tag um halb fünf auf, er hat nach wie vor seine eigenen Kühe, die er vor und nach der Arbeit in der Käserei versorgt. Ein Abenteuer ist das Unterfangen für ihn immer noch: Er musste und muss viel dazulernen, nicht nur über Käse, sondern besonders über Marketing und Vertrieb.

Bereut hat er es nicht. „Wir haben wieder Freude bei der Arbeit und wir haben eine Perspektive. Diese Ohnmacht ist endlich weg.“ Und wenn ihn heute einer fragt, was mit seiner Milch passiert, dann lädt er mit seinem breiten Lachen in die Kaserei ein.

Der Heumilch-Käse in München:

Acht Sorten Käse produziert die Naturkäsereie zurzeit, Hartkäse, Schnittkäse und Weichkäse. Zu den Klassikern gehören der Tegernseer Bergkas ( mittelalt, pro 100 g. 2,19 Euro) oder der Wallberger Kräuter (100 g. 1,99 Euro). In der Schaukäserei gibt es auch Führungen (5 Euro). Für Kinder gibt es die Erlebnisführung „Riechen - Schmecken – Ausprobieren“, bei der die Kleinen auch einen Bauernhof kennen lernen (ab 10 Pers.).


Auch in München werden immer mehr Restaurants und Geschäfte mit den Heumilch-Produkten beliefert. So sind sie zum Beispiel im Galeria Kaufhof in der Kaufingerstraße und im Frischeparadies in der Zenettistraße erhältlich. Auch der Ratskeller, der Bayerische Hof und der Pschorr am Viktualienmarkt zählen zu den Abnehmern.

Weitere Verkaufstellen gibt's hier zum Download

 


 

 

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