AZ-Besuch in der Kolumbusstraße: So kommt die autofreie Straße wirklich an

Wo vorher Parkplätze und Asphalt waren, stehen nun Hochbeete, laufen Kinder durch den Sprinkler und graben im Sand. Dennoch spalten die neuen, autofreien Flächen in der Kolumbusstraße in München die Nachbarschaft.
Helena Ott |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
87  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Angela Becker (37) ist froh, nun mit ihrem Sohn im Freien, in der Nähe der Wohnung einen schönen Platz zum Spielen zu haben.
Angela Becker (37) ist froh, nun mit ihrem Sohn im Freien, in der Nähe der Wohnung einen schönen Platz zum Spielen zu haben. © Daniel von Loeper

Au-Haidhausen - Dort wo Henry im Sand buddelt, standen vor ein paar Tagen noch parkende Autos. Neben ihm spielen an diesem Dienstagnachmittag noch um die 15 Kinder auf der großzügigen Freifläche. Am Rand sitzen Eltern, unterhalten sich.

Der Junge mit den blonden Locken wird in einer Woche vier. Er baut eine Burg mit tiefem Graben drum herum und steckt seine Füße in den feuchten Sand zum Kühlen. "Wir haben das gestern erst entdeckt und sind total positiv überrascht", sagt Henrys Mutter, Angela Becker.

Neugestaltung der Kolumbusstraße: Gartenersatz und Kinderspielwiese

Die Familie wohnt eine Straße weiter, in einer Wohnung ohne Grünfläche und Balkon. "Das ist für uns wie ein Gartenersatz", sagt die 37-Jährige. Bevor sie mit Henry zum Sandkasten umgezogen ist, saßen sie weiter vorne auf den Holzbänken in der Rollrasen-Wiese und lernten zwei Jungs aus der Nachbarschaft mit deren Opa und Mutter kennen.

Die Buben im Grundschulalter rannten die ganze Rasenbahn auf und ab. Ob sie es hier mögen? "Ja, weil man sich auch gut auspowern kann", sagt der Siebenjährige.

Anwohner kritisieren: Parkplätze in der Kolumbusstraße extrem knapp

Doch das Ensemble aus 500 Quadratmeter Rollrasen, Sand, roten Sitzgruppen mit Sonnensegel, bepflanzten Gemüsebeeten, löst nicht nur Begeisterung aus. Im Gegenteil: Die Anwohnerschaft, so sagen es einige, die man beim Rundgang trifft, sei gespalten. Da sind die Autofahrer, die wollen, dass am liebsten alles so bleibt, wie es ist. Für das Projekt sind in der Kolumbusstraße 40 Parkplätze verschwunden und die Parkplatzsuche sei schon vorher "extrem schwierig" gewesen im Viertel.

Dann jene, die auf der anderen Seite der Begeisterung-Skala stehen. Mütter, Väter oder Großeltern mit Babys, Klein- und einzelne Schulkinder, die sich hier mit Freunden treffen. Menschen, die davon profitieren, dass sie sich in ihrer Freizeit hier ausbreiten können.

Autofreie Kolumbusstraße: Forschungsprojekt für zukunftsfähige Mobilität in der Stadt

Ausgedacht und aufgebaut wurde das Projekt vom sogenannten Innovationscluster MCube, einer Gruppe von Wissenschaftlern, Unternehmen, Start-ups und NGOs, die gemeinsam an ökologischen und sozialen Mobilitätsideen für die Zukunft arbeiten. Die Kolumbusstraße ist eines der "autoreduzierten Quartiere”. Neben den weggefallenen Parkplätzen ist die Fahrbahn ab der Hälfte für einen Abschnitt von circa 100 Metern gesperrt. Man kann von beiden Seiten reinfahren, aber nicht von vorne nach hinten durch.

Es ist eine Umgestaltung auf Zeit. Bis Oktober beobachtet und befragt die Forschungsgruppe Anwohner und evaluiert, wie das Projekt angenommen wird: Nutzen die Leute die Rasenfläche, kümmern sie sich um die Tomaten in den Hochbeeten, kommen die Sitzbänke mit Sonnensegeln an oder will ein Großteil auch am Ende des Projekts, nach über drei Monaten, die zweispurige Fahrbahn und die Parkplätze zurück?

Vor allem Familien nutzen die Freifläche

Es ist jetzt 16 Uhr und ungefähr 26 Grad warm, für die Kleinen ist schon Feierabend im Kindergarten. Die Spielflächen sind voll. Zwei Mädchen und ein Junge im Schulkindalter schlagen Räder und üben Handstände auf der Rasenfläche. Später gehen sie zu Erwachsenensportübungen wie Liegestütze und Kniebeugen über.

Eine Mama liest angelehnt an eines der Hochbeete aus ihrem Buch. Ihre beiden Kinder naschen aus der mitgebrachten Obstbox. Von hier aus sieht man hauptsächlich die Idylle, das Grün und den Spaß, den die Umgestaltung in die Kolumbusstraße gebracht hat.

Sonja Serrano (36) hätte sich gerne um eine Patenschaft für eines der Hochbeete beworben, aber sie will lieber erst den Nachwuchs abwarten.
Sonja Serrano (36) hätte sich gerne um eine Patenschaft für eines der Hochbeete beworben, aber sie will lieber erst den Nachwuchs abwarten. © Daniel von Loeper

Diskussionen um die Kolumbusstraße: Beschwerdebriefe von lärmgestörten Anwohnern

Aber nach mehr als einer Woche Spielbetrieb gibt es auch empörte Gegner: Der Kinderlärm sei zu laut. Eine Frau erzählt, aus den Balkonen darüber sei sogar mal ein rohes Ei geflogen. Eine andere mit roten Locken sagt: "Auf nebenan.de finden hitzige Diskussionen statt." Die Freifläche sei hier "fehl am Platz", in einem Bereich, in dem sowieso gravierender Parkplatzmangel herrsche.

Ein Anwohner namens Steffen W. sagt, er habe bereits einen Beschwerdebrief an die Stadt und die Projektleitung geschrieben, eine Kopie seines Aufrufs liegt auch der AZ vor. Die Umgestaltung sei "ohne Sinn und Verstand" erfolgt, schreibt er. Und die Nachbarschaft sei vorher nicht einbezogen worden.

Ruth Possner (89) sieht in der Umgestaltung der Kolumbusstraße eine Geldverschwendung, weil die Isar-Grünanlagen in direkter Nähe sind.
Ruth Possner (89) sieht in der Umgestaltung der Kolumbusstraße eine Geldverschwendung, weil die Isar-Grünanlagen in direkter Nähe sind. © Daniel von Loeper

Das Projekt wurde zwar im Bezirksausschuss Au-Haidhausen verabschiedet, aber viele, die man hier trifft, sagen, sie hätten vorher nichts gewusst, oder sie hätten den Informationsbrief erst erhalten, als die Hälfte schon umgebaut war.

So sagt es auch Ruth Possner (89), die ihren Rollator Richtung ihres Hauseingangs schiebt. Zudem verstehe sie nicht, warum die Spielflächen "ausgerechnet hier" aufgebaut wurden. "Wo die Frühlingsanlagen und die Isar doch direkt nebenan sind."

Autofreie Zonen in München: Sicherer Ort für Freizeit mit Kindern

Es ist ein gängiges Argument der Parkplatzbefürworter. Anastasia von Spreti (34) hält das Isarufer dagegen mit Kleinkindern für ungeeignet. "Auf der Höhe ist es eine Feiermeile für Teenager und Jugendliche", sagt die Mutter von Frida, die vor ihr im Sand spielt.

Gemeint ist der Abschnitt zwischen Reichenbach- und Wittelsbacherbrücke. "Hier dagegen kann ich Frida auch mal loslassen, mit den anderen spielen, ohne ständig schauen zu müssen", sagt von Spreti.

Anastasia von Spreti (34) ist froh über das neue Angebot. Ihre Tochter Frida könne hier ihre Freunde und Kinder aus der Nachbarschaft treffen.
Anastasia von Spreti (34) ist froh über das neue Angebot. Ihre Tochter Frida könne hier ihre Freunde und Kinder aus der Nachbarschaft treffen. © Daniel von Loeper

Zu Spitzenzeiten an diesem Nachmittag sind fast 50 kleine und erwachsene Menschen gleichzeitig auf den beiden Freiflächen. "Da profitieren so viele, anstatt ein Einzelner, der sein Auto parkt", sagt Anastasia von Spreti.

Sie und ihr Mann hätten das Auto inzwischen abgeschafft. Dazu würden viele Autos hier tage- oder wochenlang nur stehen und würden nur für Ausflüge bewegt. Sicher gibt es aber auch die, die außerhalb von München arbeiten, keine gute ÖPNV-Anbindung haben und täglich rauspendeln.

Zerstochene Reifen am Lastenrad: Gegner werden handgreiflich

Einzelne macht öffentlicher Raum, der umverteilt wird, so wütend, dass sie sich gegen andere Anwohner richten. So erzählt eine Mutter, die mit ihrem zweijährigen Sohn im Sand sitzt, dass ihr in der Nacht auf einem der neu-ausgewiesenen Lastenradparkplätze die Räder aufgestochen worden seien. "Gleich in der ersten Nacht, mit einem Messer oder spitzen Gegenstand." 300 Euro hätte sie die Reparatur gekostet.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Das sind die Tiefschläge einer solchen Testphase. Die Mutter von Frida sagt, ihrem Lastenrad sei auf den neuen Parkplätzen bisher nichts passiert. Und auch sonst kann die schwangere junge Frau von der ersten Woche seit der Eröffnung viel Positives berichten: Auf Spielplätzen sei die Atmosphäre viel anonymer und sie seien überlaufener.

Nachbarschaft in der Kolumbusstraße profitiert: Leute kommen ins Gespräch

Vor ein paar Tagen als es so heiß war, hätten Leute vom Projekt den Sprinkler "angeschmissen" um den Rasen zu wässern. Die Kinder durften durchhüpfen und hätten einen "Heidenspaß" gehabt.

Am Sonntagabend habe sich Familie von Spreti dann mit zwei anderen Familien auf dem Rasen mit Pizza und Salat verabredet. "Zusammen statt wie sonst, dass jeder in seiner Wohnung sitzt", sagt die 34-Jährige.

In den Hochbeeten wachsen bereits Zucchini-Pflanzen, Tomaten, Kürbis und Salat. Bewohner konnten sich für Patenschaften anmelden.
In den Hochbeeten wachsen bereits Zucchini-Pflanzen, Tomaten, Kürbis und Salat. Bewohner konnten sich für Patenschaften anmelden. © Daniel von Loeper

Es ist jetzt Feierabend, kurz vor 18 Uhr: Menschen mit Laptoptaschen kommen aus den Büros zurück. Eine blonde Frau, schick-gekleidet, auf dem Gehweg. Sie sei Anwohnerin, arbeite für einen Automobilkonzern. Ein Auto hätten sie, einen Firmenwagen.

"Um ehrlich zu sein, ist die Parkplatzsituation hier rund herum eine Katastrophe", sagt sie. Trotzdem ist sie Befürworterin der Umgestaltung. "Das fördert krass die Nachbarschaft." Man würde sich endlich mal persönlich kennenlernen. "Ich würde mir noch viel mehr solche Projekte wünschen, sagt die Anwohnerin und Autobesitzerin.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
87 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Lindwurm2019 am 29.06.2023 16:54 Uhr / Bewertung:

    Also ich kann den Anwohnern dort nur gratulieren. Die Umsetzung ist m.E. gut gelungen. Ich wohne im Schlachthofviertel und wünsche mir auch eine solche Sommerstrasse, diese wird die Lebensqualität erheblich verbessern, es wird Zeit das die Leute, die glauben, auf ihr Auto nicht verzichten zu können umlernen. Mein Auto steht in einer Tiefgarage, ich muss halt 300m hingehen. Im übrigen stehen sehr viele Tg-Plätze leer da die Miete dafür höher ist als die Parklizenz. Das wäre doch auch ein Ansatz.

  • Candid am 29.06.2023 19:18 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Lindwurm2019

    Ich kenne eine Dame die die Glückwunsche auf keinem Fall annehmen würde.

    Dabei geht es ihr nicht um die Parkplätze (sie besitzt kein Auto), sondern sie ist genervt von dem aufgestellten (und nicht abgeholten) "Sperrmüll".

  • Geradeaus-Denker am 29.06.2023 20:10 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Candid

    Das ist kein Sperrmüll, das sind Hochbeete. Sie verwechseln da was.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.