"War mein Leben lang ein Stadtkind": Eine Auswanderin aus München über ihren Neustart in Bali

Bali. Palmen, türkises Wasser, tropische Temperaturen – für viele Urlauber ein Bilderbuch-Reiseziel. Für Melanie Stuchlik (34) ist die indonesische Insel viel mehr. Ihr Herzensort, ein zweites Zuhause. Dieses Gefühl lässt sie seit ihrer ersten Reise dorthin nicht mehr los. Vor über zehn Jahren war das, damals zusammen mit ihrer Mama.
Indonesien besteht aus mehr als 17.000 Inseln, etwa 6000 davon sind bewohnt. Zu den bekanntesten gehören Sumatra, Borneo, Java und auch Bali. Jahrelang nutzt die junge Frau aus Milbertshofen ihren ganzen Jahresurlaub, um nach Südostasien zu fliegen.
Von Bayern nach Bali: Sechs Stunden Zeitverschiebung und über 10.000 Kilometer Distanz
2020 fällt die Entscheidung, die das Leben der Münchnerin grundlegend verändern wird: Sie bucht einen Flug – One Way. Ohne Ticket zurück. Die heute 34-Jährige lebt seither über 11.000 Kilometer von Bayern entfernt. Inklusive sechs Stunden Zeitverschiebung.
Rückblickend sagt sie: "Es war die schwierigste und herausforderndste Entscheidung meines Lebens und ich bin so stolz, dass ich es gemacht habe." Und: "Ich habe mich endlich getraut, das Leben zu führen, das ich möchte."
Wenige Minuten zum Meer: So lebt die Münchnerin in Bali
Sie wohnt zusammen mit ihrem Partner (ein Deutscher, den sie erst in Indonesien kennengelernt hat) bei einer einheimischen Familie im Süden Balis. Eine Art WG mit separatem Bereich. Fünf bis zehn Minuten brauchen sie mit dem Roller zum Meer.
Einen Teil des Jahres verbringen sie zudem auf einer kleinen Insel vor der Küste Sumatras. Dort ist das Leben noch ursprünglicher und natürlicher. "Ich war mein Leben lang ein Stadtkind, aber mittlerweile bin ich ein Naturkind", sagt sie zur AZ.

Die Verbundenheit zur Umwelt mag sie an den Einheimischen besonders, ebenso: "Was ich an den Indonesiern und besonders an den Balinesen schätze: das absolute Leben im Moment und eine unfassbare Leichtigkeit." Vergangenheit? Zukunft? Was zählt: einzig das Hier und Jetzt.
In ihrer Wahlheimat hat die Auswanderin auch Surfen gelernt. Ein Sport "wie eine Meditation". Wenn sie sich einen perfekten freien Tag vorstellt, würde sie zum Sonnenaufgang surfen gehen. Dazu viel Bewegung, Natur und gutes Essen – am liebsten Tempeh oder Nasi Campur (eine Art balinesische Tapas).
Im Paradies gibt es auch Alltag und Herausforderungen
Soweit die paradiesischen Seiten, wie man sie sich in Deutschland so oder so ähnlich vorstellt und zwischen To-Do-Listen und Abgabefristen herbeisehnt. Aber: Auch auf einer Insel gibt es Alltag und Herausforderungen. Ein Rückblick.
Die Auswanderin wagt 2020 den berühmten Sprung ins kalte Wasser. Eiskalt sogar. "Der Start war holprig." Nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft werden die Grenzen geschlossen. Corona. Lockdown. Viele Fragen, noch keine Antworten.

Was ist Covid? Wie schlimm wird es? Wie lange werden die Grenzen geschlossen bleiben?
Zunächst steht sie im abgeriegelten Bali vor dem Nichts: "Als ich diesen Schritt gegangen bin, kannte ich niemanden, nicht eine Seele auf dieser Insel." Durch Zufall stößt sie auf eine Frau mit Häuschen, die für die Lockdown-Zeit eine Mitbewohnerin sucht.
Mama rät ihr: "Wenn es nicht klappt, ist es kein Versagen"
Die Münchnerin verzagt nicht, sondern nutzt den Stillstand der Pandemie: "In der Zeit habe ich mein Grafikdesign-Studium fertig gemacht."
Ihr Lebenslauf, bis dahin "auf dem Papier klassisch", wie sie es selbst nennt. Den Master in Unternehmenskommunikation. Werkstudentin. Übernahme in einem großen Unternehmen. Aber: "Mir fehlte die Erfahrung, einen mutigen Schritt zu wagen." Das ändert die Bali-Auswanderung.

Eine, die sie von Anfang an dabei unterstützt, ist ihre Mutter. Diese ist genauso begeistert von Indonesien, kommt regelmäßig zu längeren Besuchen. "Sie hat mir mitgegeben: Du machst das jetzt. Wenn es nicht klappt, ist es kein Versagen, sondern dann hast du es ausprobiert."
Die Münchnerin beginnt, von Bali aus remote, also ortsunabhängig am PC, zu arbeiten. Sie macht kein Geheimnis daraus: "Ich hatte auch wahnsinnige Geldangst." Jeden Monat als Selbstständige einen neuen Kunden zu finden – "damit war ich erstmal überfordert".
Wie hat sie es gemeistert? Sie sei einerseits ein Sparfuchs, zudem sei sie sich für keinen Auftrag zu schade gewesen, habe viel gearbeitet. Auf ihre Mutter konnte sie im Ernstfall ebenso zählen, diese habe ihr ausgeholfen, wenn es hart auf hart kam.
Aber auch heute gebe es noch schwierige Zeiten. Eine große Stütze sei hier auch ihr Lebenspartner. Sie nennt ihn neben ihrer Mutter den wichtigsten "Anker". Die Auswanderin will nichts beschönigen, kein perfektes Auswanderer-Märchen erzählen, sondern ehrlich sein, um anderen Mut zu machen.
"Es gibt schwere Zeiten, da muss man durch"
Man kann es schaffen, wenn man einkalkuliert: "Es gibt schwere Zeiten, da muss man durch." Sie ergänzt später: "Selbstständig im Ausland sein, wird immer mit Höhen und Tiefen verbunden sein."
Sie wirkt ausgeglichen und mit sich im Reinen. Selbst dann, wenn sie von gescheiterten Geschäftsideen erzählt – was andere wahrscheinlich lieber verschweigen würden. Etwa wollte sie aus recyceltem Plastik spezielle Haarbürsten für Surferinnen herstellen. Eine Erkenntnis, die sie daraus mitnimmt: "Man muss versagen, um weiterzukommen. Wenn man sich alle großen Storys anschaut: Die hatten 40 verschiedene Business-Ideen, bis sie es geschafft haben."

Sie habe sich "Schritt für Schritt durchgeboxt", gründet letztlich den "High Brand Club" und will damit vor allem Frauen helfen, ihr Online-Business zu positionieren. Dafür wird sie im vergangenen Jahr sogar beim German Web Award berücksichtigt. Ihre Botschaft: "Es ist in Ordnung, verschiedene Sachen auszuprobieren. Ich möchte gerade Frauen motivieren: Auch wenn es beim ersten, zweiten und dritten Mal nicht klappt: Wenn du eine Vision hast, geh diesen Weg. Irgendwann wirst du es schaffen."
Sie liebt ihre Heimat München – aber ihr fehlt dort die Balance
Hätte sie das nicht auch von München aus machen können? "München ist in meinem Herzen, ich liebe die Stadt über alles." Sie ist aber der Meinung, dass sie in Indonesien ihre Träume auf eine Weise verfolgen konnte, wie es in Deutschland nicht möglich gewesen wäre. Damit meint sie ausdrücklich nicht, "am Strand sitzen und eine Kokosnuss trinken", sondern ein Geschäftsmodell aufzubauen und selbstständig zu sein. "Das wäre in Deutschland viel schwieriger."

Über ihre Heimatstadt sagt sie: "Ich glaube, dass wir teilweise zu streng miteinander sind und auch zu streng dem Leben gegenüber stehen." München und Bayern hätten einen hohen Anspruch. "Aber die Balance fehlt ein bisschen." Sie ist überzeugt: "Ich glaube auch nach wie vor, dass München das Paradies ist. Die Frage ist nur: Wie können wir daran arbeiten, dass wir das wieder mehr sehen?"
Das könnte sich Bayern von der Insel Bali abschauen
Sie hätte da schon eine Idee, die man adaptieren könnte: "Auf Bali gibt es einen ganz tollen Tag im Jahr: der Nyepi-Tag. Die ganze Insel legt an diesem Tag eine Pause ein. Keine Flugzeuge, keine Schiffe, keine Autos. Keine Elektrizität, nichts. Es ist der Tag der Stille, man hört nur die Natur."
Ihre deutschen Eigenschaften wie Pünktlichkeit oder Disziplin haben sich übrigens auch in der Ferne nicht verflüchtigt, wie sie lachend feststellt. "Ich glaube, das sind auch wichtige Eigenschaften, sonst würde man jeden Tag an den Strand gehen und wäre schnell pleite."
Äußere Faktoren: Klimawandel und Overtourism
Stuchlik nennt im Lauf des Gesprächs auch äußere Herausforderungen, die dem Paradies im Indischen Ozean zusetzen. "Leider Gottes geht der Klimawandel an uns auch nicht vorbei. Wir hatten eine sehr starke Regenzeit."
Das Auswärtige Amt schreibt über Indonesien: "Weite Teile des Landes sind während der Regenzeit, die meist von November bis März andauert, von Starkregen, Überschwemmungen und Erdrutschen betroffen, die anhaltende Überflutungen und erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen nach sich ziehen können." Generell liegt Indonesien auf dem pazifischen Feuerring, einer vulkanisch sehr aktiven Zone.
Auch Overtourism ist ein Thema, das die 34-Jährige beschäftigt. "Die Insel muss aufpassen, dass sie nicht in einen Übertourismus gerät und das Wertvolle, den Bezug zur Natur, verliert." Ob sie irgendwann nach München zurückkehrt? Offen. Erstmal: Hier und Jetzt.