Interview

Aus München aus eigener Kraft um die Welt: Jonas Deichmann erzählt

Jonas Deichmann hat sein Leben dem Sport gewidmet. Nun hat er laufend, schwimmend und radelnd den Planeten umrundet. Der AZ erzählt er von seinem Welt-Triathlon.
Hüseyin Ince
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Mit Reinhold-Messner-Bart: Einmal um die Welt "getriathlont" - und wieder zurück auf dem Odeonsplatz, Ende November.
Mit Reinhold-Messner-Bart: Einmal um die Welt "getriathlont" - und wieder zurück auf dem Odeonsplatz, Ende November. © Pheline Hanke

München - AZ-Interview mit Jonas Deichmann (34) - kürzlich erschien sein Extremsport-Buch mit dem Titel "Das Limit bin nur ich".

Wenn der Abenteurer Jonas Deichmann vor einem sitzt, ist da ein schüchterner Mann, der zwar sportlich aussieht. Auf Extremsportler tippt man aber nicht. Er ist einer.

Bis 2017 arbeitete er in einem Büro, gab seinen gut bezahlten Job auf und machte sich selbstständig: Extremsport treiben, davon erzählen und leben. Vor Kurzem absolvierte er in 14 Monaten 120 Ironman-Runden am Stück. Ein Gespräch über Einsamkeit sowie Grenzerfahrungen.

Jonas Deichmann: "Hotels kannte ich als Kind nicht"

AZ: Herr Deichmann, wie hat Ihre Extremsportkarriere eigentlich begonnen?
JONAS DEICHMANN: Seit dem Jahr, als ich meinen Job aufgab, habe ich erst einmal Rekorde mit dem Fahrrad aufgestellt: die schnellsten Kontinentaldurchquerungen. Erst bin ich von Portugal bis Wladiwostok, eine Eurasientour. Dann die Panamerica-Tour. Alaska bis Feuerland. Danach vom Nordkap in Norwegen, bis Kapstadt in Südafrika. Die Kap-Tour.

Wie lang waren Ihre Etappen?
Bis zu 250 Kilometer pro Tag.

Das klingt wie Tour de France hoch zehn.
Klar, das ist Leistungssport, aber anders. Ich fahre ja nicht im Kreis mit Begleitauto.

Sie machen bestimmt schon Ihr Leben lang viel Sport.
Vor allem Radsport, viele Rennrad-Rennen. Ich habe viel Leistungssport betrieben. Hinzu kam, dass meine Eltern schon immer Outdoor-Urlaub mit mir gemacht haben. In den Bergen, im Zelt. Hotels kannte ich als Kind nicht.

"Ein einzelner Triathlon hätte für mich eher Aufwärmcharakter"

Waren die Eurasien- und Panamerica-Rekorde eine Art Vorbereitung für die Weltrunde im Triathlon-Modus?
Ja, da konnte ich die Grenzen ausloten.

Haben Sie schon mal an einem Triathlon oder am Ironman teilgenommen?
Nein, noch nie.

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Sind Sie jetzt auf den Geschmack gekommen, mal teilzunehmen?
Ich habe schon Einladungen zu solchen Wettbewerben bekommen. Aber ich bin auf die Ultra-ultra-ultra-Langdistanz trainiert. Ein Ironman ist mir viel zu kurz.

Ihnen geht es also nicht um den Wettbewerb, um die Konkurrenz?
Mir geht es um das Abenteuer, um die Expedition, kombiniert mit Leistungssport.

Was halten Sie von einem Triathlon an sich?
Das hätte für mich Aufwärmcharakter.

Klingt, als ob Sie locker den Ironman Hawaii gewinnen könnten, wenn Sie wollten.
Nein, so ist das nicht gemeint. Mitlaufen könnte ich locker, aber um ganz vorne dabei zu sein - da müsste ich schon sehr hart trainieren.

Einer der schönsten Natur-Momente, die Deichmann auf seiner Welttour hatte: Zelten auf dem gefrorenen Baikalsee.
Einer der schönsten Natur-Momente, die Deichmann auf seiner Welttour hatte: Zelten auf dem gefrorenen Baikalsee. © Andrej Bavchenkov

Deichmann: "Mein Großvater hatte früher eine Schlangenzucht in Guinea"

Ist die Ultra-Ausdauer Ihre Spezialität?
Ja, und die Kopfsache. Mentale Stärke. Das ist bei Ultra-Distanzen sehr wichtig. Ich bin über ein Jahr unterwegs gewesen. Bin 120 Marathons hintereinander gerannt. Da geht es jeden Morgen um den inneren Schweinehund. Zu sagen: Klar, heute renne ich wieder einen Marathon, ich hab Bock drauf!

Was hat Sie als Kind noch geprägt?
Die Natur auf unterschiedlichsten Kontinenten. Mein Großvater hatte früher eine Schlangenzucht in Westafrika, in Guinea.

Eine was?
Schlangenzucht. Das ist eine große Erinnerung an ihn, wie er lässig mit Würgeschlange um die Schultern herumlief. Mein großer Kindheitsheld. Das Abenteuer liegt schon ein wenig in den Genen, glaub ich.

Tijuana, West-Mexiko, kurz vor dem Ende der Laufetappe über etwa 4400 Kilometer. Alles, was Deichmann braucht, ist in seinem Anhänger.
Tijuana, West-Mexiko, kurz vor dem Ende der Laufetappe über etwa 4400 Kilometer. Alles, was Deichmann braucht, ist in seinem Anhänger. © Markus Weinberg

Deichmann: "Beim Schwimmen habe ich an der Küste übernachtet"

Kommen wir zurück zu Ihrer Triathlon-Weltumrundung. An wie vielen Tagen sind Sie die 120 Marathons gelaufen?
An 117 Tagen. Hauptsächlich durch Mexiko, Tijuana, Cancun.

117 Mal 42,2 Kilometer?
Im Schnitt einen Tick mehr, etwa 44 Kilometer täglich sind das. Und dazu 120 Mal 180 Kilometer geradelt, und 120 Mal 3,86 Kilometer geschwommen.

Welche Route nahmen Sie?
Ich bin gestartet in München, 26. September 2020. Bin dann mit dem Rad nach Kroatien, ungefähr 600 Kilometer. Dann die Adriaküste entlang geschwommen. Bis Dubrovnik. Rund 54 Tage, 460 Kilometer. Danach ging es weiter in die Türkei. Von dort zurück nach Bulgarien, Rumänien, Moldawien, Ukraine über Russland Richtung Osten. Wladiwostok. Mit dem Flugzeug nach Tijuana. Da war es Mai. Dann nach Cancún. Von dort nach Lissabon - und mit dem Rad nach München.

Hatten Sie Begleitung?
Nein, niemand. Zeitweise kam jemand dazu, um Film- und Fotoaufnahmen zu machen. Ich habe mir beim Schwimmen ein Floß angehängt und beim Laufen einen Anhänger mit meiner Ausrüstung. Essen, Kleidung, Zelt. Beim Schwimmen habe ich an der Küste übernachtet.

Erinnerungen an den Kino-Hit "Forrest Gump" werden wach.
Erinnerungen an den Kino-Hit "Forrest Gump" werden wach. © Markus Weinberg

Deichmann: "Zelten auf dem Baikalsee? Besser als jedes Luxus-Hotel!"

Sie haben sich 14 Monate lang nicht rasiert und nicht frisiert.
Fast. Gestutzt habe ich schon. Irgendwann hing der Oberlippenbart in den Mund.

Die Fotos erinnern sehr an Reinhold Messner.
Messner ist einer der inspirierendsten Abenteurer überhaupt. Danke für den Vergleich. Aber ich mache ja was ganz anderes als er.

Was war die größte Herausforderung auf Ihrer Welt-Tour?
Mit allen Widrigkeiten umzugehen.

Meinen Sie die körperlichen?
Auch, aber die kann man ja beeinflussen. Wenn ich bei minus 20 Grad einsam auf dem vereisten Baikalsee gezeltet habe, war das für mich sogar eines der schönsten Erlebnisse, die möglich sind. Besser als jedes Fünf-Sterne-Hotel.

Deichmann: "Ein paar Mal bin ich Richtung Italien weggetrieben"

Andere würde sagen, das ist mir zu einsam und zu kalt.
Ich finde das super, kann so die Natur genießen. Schwierig wird es, wenn man festsitzt. In der Türkei zum Beispiel, da ging es mal wochenlang nicht weiter. Das zermürbt. Ich wollte durch Iran und über Südostasien weitermachen. Ging aber nicht, wegen der zweiten Welle.

Die gefährlichsten Momente?
Als Radler habe ich mich in Russland sehr unsicher gefühlt. Da rasen Lkw mit 20 Zentimeter Abstand an einem vorbei. Und bei der Schwimmstrecke bin ich einige Male in die Dunkelheit geraten. Wenn noch Strömungen hinzukommen, wird das unangenehm. Ein paar Mal bin ich Richtung Italien weggetrieben.

Und Haie?
Das fragen alle. Aber Hai-Attacken sind extrem selten, vor allem in Europa kommen sie eigentlich nie vor. Da sind Schiffe und schnelle Boote viel gefährlicher. Die sehen Schwimmer nicht. Da reichen kleine Wellen. Dahinter verschwindet man als Schwimmer.

Der tägliche Sprung ins Wasser, am alten Hafen von Dubrovnik, auf der Schwimmetappe an der Adriaküste entlang.
Der tägliche Sprung ins Wasser, am alten Hafen von Dubrovnik, auf der Schwimmetappe an der Adriaküste entlang. © Markus Weinberg

Jonas Deichmann über Mexiko und die Begrüßung durch ein Drogenkartell

Sie rannten durch Mexiko. Ein Land voller Drogenkartelle.
Einige Freunde sagten halb im Scherz, ich soll mit schusssicherer Weste durchlaufen.

Und wie gefährlich war es?
Bevor ich durch Mexiko lief, kannten mich die Leute schon. Auch viele Mitglieder von Drogenkartellen. Eines davon begrüßte mich herzlich.

Sie wurden von einem Drogenkartell empfangen?
Es hat mich zeitweise geschützt, während ich durchgelaufen bin. Sie können sich nicht vorstellen, wie begeisterungsfähig die Mexikaner sind. Einzigartig.

Wie kam denn der Kontakt zustande?
Ich lief die Sierra Madre hoch. Erst kamen Späher, Jugendliche auf dem Motorrad mit Funkgerät. Später kamen zwei Männer vom Kartell. Sie sagten: Willkommen. Wir folgen dir auf Instagram und haben schon auf dich gewartet. Hier bist du sicher. Dürfen wir ein Selfie mit dir machen?

Wie fühlte sich das alles an?
Nicht schlimm. Solange man sich nicht mit einem Kartell anlegt oder in deren Plantage läuft, passiert nichts. Das ist mein Eindruck.

Welche Episode während der 14 Monate ist besonders stark im Gedächtnis geblieben?
Mexiko war das Highlight. Unbeschreiblich. Die Leute lieben solche Storys. Ich spreche zufällig fließend Spanisch. Am Ende war ich da eine Art Star, wurde bekannt als deutscher Forrest Gump. In jedem Dorf hat mich der Bürgermeister begrüßt. In Mexiko City wurde die 16-spurige Autobahn kurzzeitig gesperrt, damit ich rüber rennen konnte. Mein Lauf war live im Fernsehen. Manchmal liefen Polizisten mit Maschinengewehren nebenher.

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Deichmann: "Ich esse alles, was ich krieg, damit ich auf meine Kalorien komme"

Zurück in München. Sie haben gesagt, Sie freuen sich als gebürtiger Schwabe auf die Maultaschen. Schon gegessen?
Noch nicht. Aber bald.

Wie ernährt man sich auf so einer Welttour eigentlich?
Mich hat mal ein Fitness-Magazin angeschrieben und gefragt, ob ich eine Ernährungskolumne schreiben könnte. Ich sagte: Das wollt ihr nicht. Schokoriegel, Tacos, Fleisch. Ich esse alles, was ich krieg, damit ich auf meine Kalorien komme. In Russland habe ich Butter in den Kaffee geschnitten.

Was hat eigentlich Ihre Familie dazu gesagt, dass Sie einfach mal 14 Monate weg sind?
Meine Eltern haben mich in meinen Projekten immer unterstützt. Eine Partnerin habe ich nicht, außer mein Fahrrad. Es hat den Spitznamen Esposa, also Ehefrau.

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2 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 08.12.2021 15:58 Uhr / Bewertung:

    Mein absoluter Respekt vor Jonas Deichmann! Diese Leistungen und Erlebnisse sind mit nichts zu vergleichen.

  • Witwe Bolte am 08.12.2021 14:59 Uhr / Bewertung:

    Wenn mir der Supermann Deichmann 20 % von seiner Fitness & Energie schenken könnte, würde ich ihm ein neues Radl spendieren.🚲

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