Aufstand der Erzieherinnen

Protest mit Trillerpfeifen: Am Donnerstag traten die Erzieherinnen und Erzieher aus mehr als der Hälfte der 500 Münchner Kindertagesstätten in den Warnstreik. Sie fordern mindestens 200 Euro mehr Lohn.
MÜNCHEN. Zur Kundgebung strömten 3000 Protestler nach Riem. „Überwältigend“, so Verdi. Überrascht waren die Zwölftklässler der Fachoberschule Technik an der Bergsonstraße in Obermenzing. Zum Deutschunterricht spazierte nämlich ein kleines Mädchen in die Klasse. Luisa (6) musste ihre Mama, die Lehrerin Rosemarie Steger, in den Unterricht begleiten. „Der Kindergarten meiner Tochter wird bestreikt“, erklärte die 39-Jährige ihren Schülern.
„Solange die Erzieherinnen zu schlecht bezahlt werden“, meinte Steger, „sollen sie auch streiken.“ Fünf Jahre dauert die Ausbildung zur Erzieherin nach der Mittleren Reife. Das Einstiegsgehalt in den Beruf: 1960 Euro brutto. Nach 14 Jahren stehen magere 2085 Euro brutto auf dem Lohnzettel.
Es reicht nicht mehr zum Leben
„Das ist keine Perspektive“, schimpfte Stefan Sass von Verdi in seiner Rede in Riem. „Die Vollzeittätigkeit reicht in München nicht mehr zum Leben.“. Und niemand will den Beruf lernen – wenn die Bezahlung so schlecht ist.
So sehen das auch die Eltern. „Da kommen gar keine Erzieherinnen mehr nach“, befürchtet Lehrerin Steger. Die Büro-Angestellte Michaela R. (36) stimmt zu: „Ich verstehe den Streik voll.“ Auch sie hat ihr Kind mit zur Arbeit gebracht, die eineinhalb Jahre alte Paula, die sonst in eine Krippe geht. „Ich konnte nicht freimachen und eine andere Betreuungsmöglichkeit habe ich nicht“, so die Mutter.
"Wir sind zwar sozial, aber nicht blöd"
Mehr Geld bei gleicher Arbeitszeit – das wurde gestern am Willy-Brandt-Platz in Riem lautstark gefordert. „Wir sind zwar sozial, aber nicht blöd“, stand auf einem Transparent. Auf einem anderen von Verdi eine knallharte Rechnung unter dem Titel „20 Kinder wollen draußen spielen: 20 Jacken + 20 Matschhosen + 40 Schuhe + 20 Mützen + 20 Schals + 40 Handschuhe = 160 Teile für zwei Erzieherinnenhände.“ Viel Arbeit, die sich für viele nicht mehr rechnet.
Acht Prozent mehr für die Angestellten im Öffentlichen Dienst will die Gewerkschaft. Deswegen geht es heute weiter mit Warnstreiks: Bei den Stadtwerken, der Stadtentwässerung und den Abfallwirtschaftsbetrieben wird die Arbeit niedergelegt. „Die Versorgung Münchens mit Energie, Wärme und Wasser wird jederzeit sichergestellt“, verspricht Verdi. Die Bäder und die Verkehrsbetriebe sind vom Ausstand nicht betroffen.
Barbara Brießmann