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Auf dieser Baustelle wird seit Jahren nicht gearbeitet: "Schandfleck"

Die Benko-Ruinen in der Innenstadt und das Sendlinger Loch haben viel Aufmerksamkeit bekommen. Doch es gibt noch viele weitere Baustellen, bei denen seit Jahren nichts vorwärtsgeht. Die AZ beleuchtet einige in einer neuen Serie. Zuerst in Johanneskirchen, wo schon jahrelang eine Baustelle am Bahnhof stillsteht. 
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So sieht das Gebäude an der Freischützstraße schon seit Jahren aus. Einen Schandfleck nennen es die Bewohner von Johanneskirchen. Wie geht es dort weiter?
So sieht das Gebäude an der Freischützstraße schon seit Jahren aus. Einen Schandfleck nennen es die Bewohner von Johanneskirchen. Wie geht es dort weiter? © Christina Hertel
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Das sieht hier aus wie früher in Italien oder Spanien, sagt eine Frau im grünen Sommerkleid. Das mit Italien meint sie nicht als Kompliment. Sie denkt nicht an Sonnenschein am Mittelmeer, sondern an die Gegenden, wo halb fertige Häuser die Landschaft verschandelten.

In Johanneskirchen an der Freischützstraße in der Nähe der S-Bahn gibt es auch so eine Bauruine. Früher war in dem Gebäude mal die Sparkasse. Jetzt steht dort nur noch ein Container mit Geldautomat und dahinter ein Baustellen-Haus, wo allerdings schon seit Jahren niemand mehr gearbeitet hat. Die Fassade ist nicht verputzt. Vor die Fenster und Türen sind Planen gespannt. Das Gras und die Büsche wuchern.

Fenster und Türen sind mit Planen verhangen. Früher gab es hier Geschäfte und Restaurants – und Wohnungen.
Fenster und Türen sind mit Planen verhangen. Früher gab es hier Geschäfte und Restaurants – und Wohnungen. © Christina Hertel

"Das ist jetzt ein totes Viertel"

"Früher gab es hier einen Super-Italiener, einen Super-Griechen", erzählt die Frau. "Knossos" hieß der – das Schild ist inzwischen eingewachsen. "Auch ein Schreibwarengeschäft gab es, Ärzte, einen Friseur, einen Fotoladen", zählt sie weiter auf. "Und ganz viele Wohnungen. Und jetzt ist alles tot. Das ist ein totes Viertel."

Das Grün wuchert: Einen Super-Griechen habe es hier einst gegeben. "Doch jetzt ist das Viertel tot", sagt eine Anwohnerin.
Das Grün wuchert: Einen Super-Griechen habe es hier einst gegeben. "Doch jetzt ist das Viertel tot", sagt eine Anwohnerin. © Christina Hertel

"Grausam ist das. Ein Schandfleck", sagt eine andere Dame, die gerade zufällig vorbeiläuft und das Gespräch mitbekommt. Sie wohne nicht weit weg, 2018 sei sie hergezogen. Kurz darauf sei es losgegangen: Zuerst mussten alle raus, dann begann der Eigentümer mit der Sanierung. Arbeiter schlugen den Putz von den Wänden, bauten hier und da etwas an. Doch mehr passierte nie – bis heute nicht.

Einen Schandfleck nennt diese Anwohnerin die Bauruine.
Einen Schandfleck nennt diese Anwohnerin die Bauruine. © Christina Hertel

Die Ruinen, die René Benko in der Münchner Innenstadt hinterlassen hat, haben viel Aufmerksamkeit bekommen. Ebenso das Sendlinger Loch – die Baugrube an der Alramstraße, die mit Wasser volllief, weil dort so lange nichts passierte. Doch es gibt in München noch viele weitere solcher Löcher und Ruinen.

Die AZ zeigt einige von ihnen in den nächsten Tagen und hakt nach, wie der Stand der Dinge ist. Eines haben fast alle Projekte gemeinsam: Jemand wollte das ganz große Geschäft machen – und manche haben sich dabei verschätzt.

So viel haben Investoren mit der Immobilie verdient

Einen Eindruck, wer in Johanneskirchen die Gewinner sind, verrät das Grundbuch. Laut Amtsgericht bezifferte der damalige Eigentümer, die "BauBeCon Wohnwert GmbH", 2005 den Wert der Immobilie auf fast 16,3 Millionen Euro. Nur drei Jahre später kam ein Notarvertreter allerdings bloß auf einen Wert von rund 8,1 Millionen Euro – nicht mal die Hälfte.

Verkauft hat die "BauBeCon Wohnwert GmbH" die Immobilie schließlich 2016 für über 17 Millionen – an die "Munich Residential GmbH", ein Projektentwickler aus Pöcking beim Starnberger See. Behalten hat dieser das Gebäude allerdings nur zwei Jahre. Gelohnt hat sich das trotzdem: Für 43,3 Millionen Euro verkaufte er 2018 es an die "UB47 Grund 3 UG".

Diese Firma heißt heute „CG Johanneskirchen PropCo UG“. Sie gehört zur CG Group des Immobilienunternehmers Christoph Gröner. Der hat es in den vergangenen Jahren in viele Schlagzeilen geschafft: Dabei ging bzw. geht es um finanzielle Schwierigkeiten, einem Geflecht von Projektgesellschaften, Insolvenzen, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und juristische Auseinandersetzungen. Klar ist: Auch in anderen Städten stehen Baustellen still.

Seine Vision für die Freischützstraße in Johanneskirchen hängt noch als grau gewordenes Plakat an einem Bauzaun. Zu sehen ist darauf ein heller, moderner Gebäudekomplex. "An den Winterlinden" heißt das Projekt, das heute immer noch nicht mehr ist als ein Abbruchhaus.

Das Plakat ist inzwischen grau geworden und wird von Grün überwuchert.
Das Plakat ist inzwischen grau geworden und wird von Grün überwuchert. © Christina Hertel

"Wir dachten, wir können bis zur Rente bleiben"

Ein Paar betrieb 28 Jahre lang in Johanneskirchen einen Fotoladen und ein Sonnenstudio. "Wir dachten, wir können dort bis zur Rente bleiben", erzählt der Mann, 62 Jahre alt, am Telefon. Sogar vor Gericht hätten seine Frau und er dafür gekämpft, bleiben zu dürfen. Ohne Erfolg. Im Oktober 2018 mussten sie ausziehen – und ihr Geschäft woanders ganz neu aufbauen.

"Wir müssen uns jetzt langsam wieder hocharbeiten, soziale Kontakte knüpfen", sagt er. In Zeiten, in denen man mit ein paar Klicks im Internet alles bekommt, sei das besonders wichtig. In Johanneskirchen war diese Arbeit bereits getan. Alle paar Wochen würden sie sich mit Freunden und Kunden immer noch bei der Grillstation in Johanneskirchen treffen, ein Döner-Imbiss, wo es auch Brathendl gibt. "Obwohl wir schon seit sieben Jahren weg sind, sagt immer noch jeder Zweite hallo", erzählt er. Wenn seine Partnerin und er an der Grillstation essen, sehen sie gegenüber ihr altes Geschäft, das heute eine Ruine ist. Und dann frage er sich, warum es die Politik so weit kommen ließ.

"Die Leute haben das Gefühl, der Staat ist nicht mehr handlungsfähig"

"Die psychologische Wirkung solcher Bauruinen ist fatal", meint der CSU-Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper, der auch in Bogenhausen im Bezirksausschuss sitzt und der die Geschichte dieser Bauruine schon lange verfolgt. "Die Leute haben das Gefühl, der Staat ist nicht mehr handlungsfähig", meint Brannekämper.

Die psychologische Wirkung solcher Ruinen sei fatal, meint der CSU-Abgeordnete Robert Brannekämper.
Die psychologische Wirkung solcher Ruinen sei fatal, meint der CSU-Abgeordnete Robert Brannekämper. © Christina Hertel

Für einen CSUler macht er dann eine radikale Forderung: "Wenn auf so einer Baustelle nachweislich über viele Jahre hinweg gar nichts mehr passiert, müsste der Staat tätig werden und die Immobilie für den Wert des Grundstücks übernehmen können." Mit anderen Worten: enteignen. Aber dieses Wort nimmt Brannekämper freilich nicht in den Mund.

So geht es jetzt weiter

Womöglich muss er das gar nicht mehr fordern. Christoph Gröner, der Geschäftsführer der CG Group, teilt der AZ auf eine Anfrage hin mit, dass es die Zusage eines Investors gebe, der die Mittel für die Fertigstellung bereitstellen möchte.

Allerdings fehle noch die Zusage des derzeit "finanzierenden Instituts" – sprich: der Bank. Gröner geht davon aus, dass die Verhandlungen bis zum 30. September abgeschlossen sein werden. "Für den Fall werden die Arbeiten sofort aufgenommen und voraussichtlich binnen 18 Monaten fertiggestellt", kündigt der Immobilienunternehmer außerdem an. Entstehen sollen dann zwei Gewerbeeinheiten und 77 Eigentumswohnungen.

Auflagen für günstigen Wohnraum gibt es keine

Das ist auch der Grund, warum er den Gebäude-Komplex nicht abreißen ließ und nichts Neues auf dem Grundstück baut: "Für die Sanierung von solchen Gebäuden gibt es keine Auflagen im Hinblick auf geförderten Wohnraum", schreibt Görner. Die Kernsanierung führe zu einem mit einem Neubau vergleichbaren Produkt. Das wohl ebenso teuer werden dürfte. Denn schließlich muss Gröner die 43 Millionen Euro, für die er das Gebäude kaufte, irgendwie wieder reinbekommen.

Mit einem großen Gewinn rechnet er aber anscheinend nicht mehr. Auf die AZ-Anfrage hin antwortet er: "Mit der Maßgabe, dass wir einen Kapitalschnitt bei dem Projekt vornehmen, können wir bei der derzeitig schlechten Marktsituation das Projekt mit geringen Margen realisieren."

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