Ärztepfusch? Familie ist ruiniert

  Constantin (11) ist seit einer Blutvergiftung behindert. Schuld ist Ärztepfusch, sagen die Eltern. Der Rechtsstreit mit der Klinik bedroht die Existenz der Familie  
Christian Pfaffinger |
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Beweise für den Pfusch? Die Mutter hat den Fall genau dokumentiert.
Sigi Müller 3 Beweise für den Pfusch? Die Mutter hat den Fall genau dokumentiert.
Constantin und seine Eltern am Faschingsdienstag vor neun Jahren: In einem noblen Mini-Oldtimer geht es zum Viktualienmarkt.
privat 3 Constantin und seine Eltern am Faschingsdienstag vor neun Jahren: In einem noblen Mini-Oldtimer geht es zum Viktualienmarkt.
Constantin auf einem Münchner Karussel: Bei diesem Ausflug holt er sich den Infekt, der ihn fast das Leben kosten wird.
privat 3 Constantin auf einem Münchner Karussel: Bei diesem Ausflug holt er sich den Infekt, der ihn fast das Leben kosten wird.

 

Constantin (11) ist seit einer Blutvergiftung behindert. Schuld ist Ärztepfusch, sagen die Eltern. Der Rechtsstreit mit der Klinik bedroht die Existenz der Familie

Nürnberg/München An einem sonnigen Faschingsdienstag fährt der zweijährige Constantin in seinem blau lackierten Oldtimer mit Lederlenkrad auf dem Viktualienmarkt vor. Fesch schaut er aus. Über seiner Mütze mit Ohrenschützern trägt er einen Zylinder. Vorneweg gehen Constantins Eltern und ziehen die Nobelkarosse durch den Schnee. Es hat knapp unter null Grad. Aber Constantin hat gute Laune. Später steigt er in einen roten Sportwagen auf einem Karussell um.

Drei Wochen später liegt er in einer Klinik und kämpft gegen den Tod. Sein Herz ist kaputt, sein Gehirn angegriffen, sein Körper von Bakterien durchsetzt. Er hat sich bei dem Ausflug einen Infekt geholt, eigentlich harmlos. Doch die Ärzte übersehen das, bis daraus eine schwere Sepsis wird, eine Blutvergiftung. Am 18. März 2004 sieht es so aus, als wäre das Leben des zweijährigen Constantin zu Ende.

Heute, neun Jahre später, lebt Constantin. Gesund wird er nie wieder sein. Er ist zu 70 Prozent behindert. Er hat eine Aufmerksamkeitsschwäche, hört schlecht, und ob die operierte Herzklappe hält, ist ungewiss. Täglich muss er Penicillin und Blutverdünner schlucken. Die vielen Medikamente zerstören seine Zähne und verursachen Ausschlag auf seinen Händen. Und die Behandlung, die der Elfjährige bräuchte, können seine Eltern nicht mehr bezahlen.

Denn die Krankheit des Kindes und ein jahrelanger Rechtsstreit haben seine Eltern in den Ruin getrieben. Cornelia S. und Günter L. sind sich sicher, dass Constantins Ärzte schwere Fehler gemacht haben – und dass die Fehler schuld sind an der Behinderung ihres Kindes. Sie werfen den Ärzten vor, die Infektion zu spät erkannt und behandelt zu haben.

Am 4. März 2004 fährt Cornelia S. mit ihrem Sohn in die Cnopf'sche Kinderklinik in Nürnberg. Constantin hat Fieber. Harmlos, sagt der Arzt, und empfiehlt Wadenwickel. Constantin geht es mit jedem Tag schlechter. Immer wieder fährt Cornelia S. mit ihm in die Klinik, immer wieder wird sie heimgeschickt. Obwohl ein Arzt eine Mittelohrentzündung attestiert, bekommt Constantin kein Antibiotikum. Zuletzt heißt es, er habe eine Magen-Darm-Grippe.

Am 14. März hört Cornelia S. einen Schrei aus dem Kinderbett. Dort sieht sie Constantin, wie er erbricht, Durchfall hat und dann ohnmächtig wird. In Panik fährt die Mutter in die Klinik, ruft um Hilfe. Constantin wird stationär aufgenommen.

Am nächsten Tag röntgen die Ärzte seine Lunge, doch sie werden sich die Bilder erst zwei Tage später ansehen. Mehrere Untersuchungen deuten auf eine Bakterieninfektion hin. Aber erst am 17. März bekommt Constantin ein Antibiotikum.

Einen Tag später kommt er mit dem Sanka in die Uniklinik Erlangen. Seine Hirnhaut ist voller Eiter, eine Herzklappe zerstört. Die Entzündung hat sich in seinem Körper ausgebreitet und die Organe angegriffen. Auf dem Weg in die Klinik bleibt Constantins Herz stehen. Die Sanitäter schaffen es, ihn am Straßenrand wiederzubeleben.

Die Ärzte der Uniklinik können die Entzündung aufhalten – die Schäden an Herz und Hirn können sie nicht rückgängig machen.

Weil Constantin dadurch für immer behindert sein wird, ziehen seine Eltern vor Gericht. Erst in einem Zivil-, dann auch in einem Strafrechtsverfahren. Jahrelang streiten sie vor Gericht – bis jetzt erfolglos.

Die Prozesse ziehen sich. „Die vielen Fragen der Mutter tragen auch dazu bei, dass es so lange dauert“, sagt ein Sprecher des Gerichts. Cornelia S. sagt dagegen: „Ich will beweisen, dass wir nicht lügen.“

In den Gutachten, die im Auftrag des Gerichts angefertigt wurden, stehen Fehler. So behauptet eines, Constantin habe von Geburt an einen Herzfehler. Protokolle einer Münchner Klinik, wo Constantin als Säugling untersucht wurde, widerlegen das. Stuhlproben, die es nie gegeben hat, werden erfunden. Hinweise auf eine bakterielle Infektion in den Blutwerten des Jungen werden verschwiegen. Mehrmals musste bei dem Gutachten nachgebessert werden.

Doch das Strafverfahren gegen die verantwortlichen Ärzte wurde im Februar eingestellt. „Es müsste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass Behandlungsfehler die Ursache für die bleibenden Schäden sind“, sagt die Staatsanwaltschaft. „Das wurde nicht bewiesen.“

Constantins Eltern haben Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens eingelegt – mit Gutachten von Ärzten und Professoren, die diesen Zusammenhang als erwiesen ansehen. „Das werden wir sorgfältig prüfen“, heißt es dazu von der Staatsanwaltschaft. Doch die Chance, dass die Klage Erfolg hat, ist gering.

Das Zivilverfahren läuft noch. Es geht um Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen in Höhe von rund 900000 Euro. Die Verhandlung geht nur langsam voran. Der letzte Termin war im April 2012, der nächste hätte diese Woche sein sollen. Weil der Gutachter „verhindert“ war, wurde der Termin auf Oktober verschoben.

Je mehr Zeit vergeht, desto härter wird es für die Familie, durchzuhalten. Die Prozesse und Constantins Versorgung haben sie ihr ganzes Geld gekostet. „Rund 300000 Euro Privatvermögen haben sich in Nichts aufgelöst“, sagt Cornelia S. Die Familie hat mittlerweile außerdem über 60000 Euro Schulden angehäuft.

„Früher ging es uns wirklich gut“, sagt Günter L. Er ist Metzger und leitete die Produktion in einem Südtiroler Betrieb. Die Stelle musste er aufgeben, ist jetzt in einer oberbayerischen Metzgerei angestellt und stockt sein Gehalt bei der Arbeitsagentur auf. Cornelia S. ist Architektin und arbeitete lange als Gutachterin; seit der Prozess und die Probleme der Familie im Raum Nürnberg bekannt wurden, bekommt sie aber keine Aufträge mehr.

Alles weg: Die Familie hatte eine Wohnung am Tegernsee, ein Haus in Lauf an der Pegnitz und Büroräume in Nürnberg. Zwangsversteigert oder unter Wert verkauft. Die Familie wohnt jetzt zusammen mit der Mutter von Günter L. in einem kleinen Ort im Münchner Umland. Über einen Spendenaufruf im Radio konnten sie die Kaution für die Wohnung zahlen.

Die Eltern haben ihre Lebensversicherungen beliehen, bis davon nichts übrig war. Sie haben Kredite bei der Bank aufgenommen. Außerdem haben sie sich von Verwandten was geliehen, zusammen mit dem schlechten Gewissen, andere mit in ihre Not hineinzuziehen. Cornelia S. hat Familienerbstücke im Leihhaus verkauft. „Wir verlieren unsere ganze Existenz“, sagt sie.

Darunter leidet die Gesundheit der ganzen Familie. „Seit drei Jahren war ich nicht mehr beim Arzt, obwohl ich Zahnschmerzen habe“, sagt Cornelia S. Ihr fehlt das Geld für die Rechnungen ihrer privaten Krankenkasse. Auch für Constantin, der mit ihr privat versichert ist, reicht es kaum. Ein Umstieg auf eine gesetzliche Krankenkasse wäre nur bedingt möglich – und am Ende teurer. Günter L. sagt: „Wir können uns die Versorgung, die Constantin bräuchte, nicht leisten.“ Ein Hörgerät ist zu teuer, eine Zahnarztbehandlung auch, genauso wie die psychologische Betreuung an der Schule. „Wir hoffen, dass die nächste Herz-OP nicht schon bald ansteht.“

So lange es geht, will die Familie weiterkämpfen. Auch wenn ihr im Zivilprozess ein Vergleich angeboten würde, bei dem sie etwas Geld bekäme. Sie will den Prozess ausfechten. „Ich will, dass Recht nicht zu Unrecht wird“, sagt Cornelia S.

 

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