24 Stunden Auswärts-Diplomatie: Vitali Klitschko in München
Er ist kein Präsident und kein Regierungschef, und doch ist er einer der Stars der Sicherheitskonferenz: Vitali Klitschko. Er diskutiert mit den Mächtigen der Welt über Auswege aus der Krise in der Ukraine, debattiert mit einem seiner Gegner und spricht auf einer Kundgebung.
München – Rund 24 Stunden lässt Vitali Klitschko die Wirren in seinem Heimatland hinter sich. Die Staatskrise, den Machtkampf mit der Regierung, die gewaltsamen Demonstrationen, die Toten. Nun ist der ukrainische Oppositionspolitiker hier in München, fast in einer anderen Welt im Vergleich zu der, die seit vielen Wochen die seine ist. Ob er sich das erlauben könne, seine Mitstreiter alleine zu lassen, wird er gefragt. „Ganz kurz, nur für heute, und dann fliege ich zurück“, sagt er. Es sei wichtig, mit „Freunden“ zu sprechen, um – wenn möglich – die Eskalation in seinem Heimatland zu stoppen.
Während zu Hause in Kiew der Machtkampf tobt, nimmt Klitschko für einen Tag an der Sicherheitskonferenz teil. Doch nicht nur das: Am Mittag verlässt er das Hotel „Bayerischer Hof“, lässt sich für eine gute halbe Stunde zu einem Platz in der Nähe fahren. Dort haben sich mehrere hundert Anhänger versammelt, um für Klitschko und die Opposition und gegen Präsident Viktor Janukowitsch zu demonstrieren.
„Klitschko, Klitschko“, ruft die Menge und jubelt, als der bullige Zwei-Meter-Mann die Bühne betritt. Sie recken Plakate in die Höhe, auf denen steht „Gemeinsam gegen Diktatur!“ oder „Janukowitsch weg!“. „Ehre der Ukraine“ rufen sie. Und dann spricht Klitschko, nicht lang, nur ein paar Minuten. Er spricht ruhig und unaufgeregt, doch seine Botschaft ist völlig eindeutig. Niemand wisse dies besser als er, sagt der ehemalige Boxweltmeister: „Ohne Kampf gibt es keinen Sieg - deswegen müssen wir kämpfen. Deswegen müssen wir kämpfen für unser Land.“ Und er verspricht seinen Anhängern: „Wir werden siegen.“
Am Ende seiner kurzen Ansprache reckt er die Fäuste Richtung Himmel, der an diesem Samstag blitzblau über München strahlt. Fast unwirklich, der Vergleich zu den Fotos aus Kiew von vor gut einer Woche, die Klitschko inmitten der Proteste vor schwarzen, dichten Rauchwolken zeigten. Kiew scheint hier an diesem Samstagmittag weit, weit weg – auch wenn es dorthin von München aus nicht einmal 1500 Kilometer Luftlinie sind. Nur die Fotos, die Klitschkos Anhänger an den Bühnenrand geklebt haben, vermitteln, um was es in dem Konflikt geht. Es sind blutige Fotos, sie zeigen angeblich verletzte Demonstranten. Und Porträtfotos der Toten hängen dort. Mindestens vier Oppositionelle starben in der Ukraine in den vergangenen Wochen.
Am Rande der Sicherheitskonferenz spricht Klitschko mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, US-Außenminister John Kerry, dem deutschen Ressortchef Frank-Walter Steinmeier. Alle interessiere die Stabilisierung der Situation in der Ukraine, alle seien besorgt.
Doch die Diskussionen auf der Sicherheitskonferenz zeigen, welchen Schwierigkeiten die ukrainische Opposition auf internationalem diplomatischem Parkett gegenübersteht. Da ist einerseits Kerry, der der Opposition die Solidarität der westlichen Welt zusichert. Die Menschen in der Ukraine hätten das Recht, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, sagt er. „Die USA und die Europäische Union stehen an der Seite des ukrainischen Volkes in diesem Kampf.“ Und da ist auf der anderen Seite der russische Außenminister Sergej Lawrow, der dem Westen vorwirft, dem ukrainischen Volk keine Wahl zu lassen, als sich Richtung Europa und Nato zu orientieren. Und Lawrow fragt provozierend: „Was hat Aufwiegeln zunehmend gewalttätiger Proteste auf der Straße mit dem Werben für Demokratie zu tun?“ Und warum die EU eigentlich nicht die verurteile, die Gebäude besetzt hielten?
Am Abend dann eine Art Showdown, auf der Bühne im „Bayerischen Hof“. Klitschko sitzt auf dem Podium, direkt neben dem amtierenden ukrainischen Außenminister Leonid Koschara. Beide begrüßen sich zwar mit einem kurzen Handschlag – doch unterkühlter könnte die Debatte nicht sein, die Trennlinien treten scharf zutage. „Wir denken, dass wir alle wichtigen Forderungen der Opposition erfüllt haben“, sagt Koschara – und meint: „Es geht hier nicht um einen Kampf um Demokratie, sondern es geht um den Kampf um ein Amt.“
Klitschko dagegen nutzt das Podium, um schwere Vorwürfe gegen die Machthaber um Janukowitsch zu erheben. Die hätten den Weg der Spannung und der Konfrontation gewählt, den Weg von Terror und Gewalt. Doch der Druck auf Janukowitsch wachse, sagt er – und fordert erneut, die Regierung müsse sämtliche Forderungen erfüllen. Klitschko verteilt Broschüren mit Bildern aus Kiew, gibt sie auch Koschara, blättert sie durch – und Koschara schaut sogar hin. Der große Applaus im Saal nach der Diskussion zeigt deutlich, wem die Sympathien gehören. Doch bloße Sympathien werden diesen Machtkampf nicht entscheiden.