Wo der Wind weht

Trotz prachtvoller Gärten und grandioser Landschaft ist der äußerste Südwesten ein vergessener Winkel Schottlands. 
von  Stephanie Bisping aus Knockinaam

Knockinaam - Immer wieder sahen die Bewohner von Stranraer auf der Halbinsel Rhins of Galloway Anfang 1944 ihren Premier im Auto vorüberbrausen. Doch niemand machte auch nur eine Bemerkung darüber. Im Krieg stand die Nation geschlossen hinter ihrer Regierung. Auch in Schottland, wo man sonst gerne eine gewisse Distanz zu London pflegt. Und so schwieg man sich aus über das geschäftige Treiben in Knockinaam, der ein Stück weiter südlich am Meer gelegenen Jagd-Lodge, in der ganz offensichtlich Winston Churchill logierte. Churchills Gesprächspartner, General Dwight Eisenhower, wurde unter strengster Geheimhaltung nach Prestwick geflogen und in einem unauffälligen Hotel untergebracht. Auf der Agenda der beiden Staatsmänner standen Gespräche über die bevorstehende Landung in der Normandie. Ihre Treffen in Knockinaam waren eines der bestgehüteten Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs, das erst anlässlich eines Inhaberwechsels Anfang der 1990er Jahre enthüllt wurde. Damals blieb den Verbündeten keine Zeit für die ländlichen Vergnügungen, für die Lady Hunter-Blair Knockinaam 1869 im äußersten Südwesten Schottlands hatte erbauen lassen: Jagd, Wanderungen und whiskyselige Wochenenden.

Einzig für einen Single Malt spätabends am Kamin dürfte Churchill ein paar Minuten gefunden haben. Dass Churchill und Eisenhower in dem kaum auffindbaren Winkel Schottlands gute Ideen hatten, bezeugt der Erfolg der Operation D-Day am 6. Juni 1944. Doch auch literarisch inspirierte Knockinaam. Der Schriftsteller John Buchan ließ einen Teil seines 1915 erschienenen Spionage-Thrillers „Die 39 Stufen“ hier spielen. Er wurde dreimal verfilmt - zunächst 1935 von Alfred Hitchcock. Der zu Unrecht eines Mordes beschuldigte Held flüchtet sich darin in eine entlegene Jagd-Lodge in Schottland. Zwar wurde keiner der Filme hier gedreht, doch in den Beschreibungen des einsamen Hauses am Meer lässt sich die Lodge leicht erkennen. Noch immer ist Knockinaam ein gutes Versteck. Heute ist dies jedem möglich, denn seit 1971 ist das Haus ein Hotel. Es besitzt nur zehn Zimmer und keinen Handyempfang.

Tony Pierce hat Stern und Niveau gehalten

Rituale und Geschichte werden liebevoll gepflegt. Der Raum, in dem einst Churchill schlief, trägt heute seinen Namen. Wer schon immer in derselben viktorianischen Fuß- Badewanne liegen wollte wie der legendäre Politiker, hat hier Gelegenheit dazu. Neben der Rezeption, an der sich Neu­ankömmlinge in ein riesiges Buch eintragen - auf die Existenz von Computern gibt es keinen Hinweis -, hängt in schmalem Goldrahmen das Telegramm vom 1. Februar 1991, in dem mitgeteilt wird, dass die Küche des Hauses nun ein Michelin-Stern adelt. Tony Pierce aus Manchester, der die Küche seit 1994 leitet, hat Stern und Niveau bis heute gehalten. Die abendlichen Gelage im kleinen, von Kerzen erhellten Restaurant zählen daher - ebenso wie das Frühstück, zu dem eine Karte gereicht wird, die etwa so lang ist wie der Weg nach Edinburgh und von Haggis über Kippers bis zu Black Pudding alle denkbaren schottischen Spezialitäten auflistet - zu den Höhepunkten eines Aufenthalts in diesem Teil Schottlands.

Auch jenseits der Kochkunst von Tony Pierce und der Weltgeschichte, die hier auf den Weg gebracht wurde, hat die 40 Kilometer lange Halbinsel eine Menge zu bieten. Beides zusammen lässt umso erstaunlicher erscheinen, dass die Rhins of Galloway in kaum einem Reiseführer Erwähnung findet. Dass sie am Golfstrom liegt, soll ihr im vergangenen Jahr 130 Sonnentage und 30 Prozent weniger Regen als Glasgow beschert haben. Doch sind derlei Einlassungen in Schottland, wo das ganze Jahr über Whisky-Wetter herrscht, relativ. Auch an hellsten Sommertagen kommt hier für gewöhnlich der Moment, an dem sich der Himmel verdunkelt und man gerne ein Fleecehemd über den Rollkragenpullover zieht. Und immer weht ein Wind vom Meer her. Er macht begreiflich, warum in Schottland der Dudelsack benötigt wird, der sich akustisch gegen das Pfeifen des Windes zu behaupten vermag. Dass in den Gärten der Umgebung exotische Pflanzen wachsen, mag indessen tatsächlich für die segensreiche Wirkung des Golfstroms und die Abwesenheit längerer Frostperioden sprechen. Im Logan Botanical Garden, dem angeblich exotischsten und ganz in der Nähe von Knockinaam gelegenen Garten Schottlands, gedeihen zahlreiche Pflanzen aus der südlichen Hemisphäre. Logan ist nicht der einzige Garten auf der hügeligen Halbinsel; auch Ardwell besitzt einen üppig blühenden, ummauerten Garten.

Neben dem Parkplatz ist hier das Eintrittsgeld formlos in einer Kassette zu deponieren. Dann tritt der Hausherr aus der Tür - um sich zu erkundigen, wie dem Gast der Garten gefalle - und erzählt, dass derzeit acht weiße Tauben den hölzernen Taubenschlag auf dem gepflegten Rasen bewohnen. Die Halbinsel endet in einer windgepeitschten Steilküste am Mull of Galloway. Über diesen südlichsten Punkt des schottischen Festlands, wo sich der Golfstrom und der Solway Firth mit gefährlicher Wucht treffen, wacht ein 26 Meter hoher Leuchtturm, den Robert Stevenson, Großvater des Schriftstellers Robert Louis Stevenson, zwischen 1828 und 1830 erbaute. Seit 1988 ist der Turm unbemannt, doch ein Foto im kleinen Museum zeigt noch den letzten Wärter mit seiner Familie. Noch immer fordere die See ihren Tribut. So ist hier auch zu erfahren: Trotz modernster Technologie gebe es in diesen Gewässern keine absolute Sicherheit, und auch heute verlören Menschen in Sichtweite des Festlands ihr Leben. Von der Klippe unterhalb des Leuchtturms sieht man nach schottischer Lesart sieben uralte Königreiche: Galloway, Strathclyde, die Isle of Man, Irland, England, Wales - und den Himmel.


Anreise
Mit British Airways, www.britishairways.com , von diversen deutschen Flughäfen über London nach Glasgow. Im Sommerflugplan bietet FlyBe, www.flybe.com, eine Direktverbindung ab Stuttgart nach Glasgow. Von Glasgow aus erreicht man die Halbinsel in zwei Autostunden. Am Flughafen sind Mietwagenfirmen vertreten, bei Holiday Autos etwa kostet ein Wagen ab 189 Euro/Woche, www.holidayautos.de .

Unterkunft
In der Knockinaam Lodge kostet das DZ mit Frühstück, Abendessen und Morgentee (oder -kaffee) bei einem Aufenthalt von zwei Nächten ab 297 Euro. Adresse: Portpatrick, Dumfried and Galloway DG9 9AD, www.knockinaamlodge.com . Dramatisch liegt das Portpatrick Hotel auf einer Klippe; das DZ mit HP kostet hier bei einem Aufenthalt ab zwei Nächten ab 123 Euro. Heugh Road, Portpatrick, DG9 8TQ, www.shearings.com . Das Fernhill Hotel liegt im Fischerort Portpatrick; das DZ kostet ab 156 Euro. DG9 8TD, www.mcmillanhotels.co.uk .

Allgemeine Informationen
Visit Britain, Dorotheenstr. 54, 10117 Berlin, Telefon 0 18 01 / 46 86 42, www.visitbritain.de .

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