Wiedersehen auf Kreta: Ist das noch die Samaria-Schlucht

35 Jahre Tourismus haben die griechische Insel Kreta verändert - eine nostalgische Wanderung mit einem Hauch Nostalgie.
von  Abendzeitung
Rastplatz in der Samaria-Schlucht, Foto: Rohm
Rastplatz in der Samaria-Schlucht, Foto: Rohm © srt

Chania - 35 Jahre Tourismus haben die griechische Insel Kreta verändert - eine nostalgische Wanderung mit einem Hauch Nostalgie.

Der Einstieg der Samaria-Schlucht ist nicht wieder zu erkennen. Wo vor 35 Jahren ein kleines Holzschild in der Sonne bleichte, steht heute ein riesiger Parkplatz mit einem griechischen Kaffeehaus im modernen Hochgebirgsstil. Weiter oben am Fels klebt ein futuristischer Betonestaurant. Direkt vor uns haben sich mehrere dunkelblau uniformierte Parkranger mit Sprechfunkgeräten vor der massiven Holzhütte aufgestellt, hier werden fünf Euro Maut kassiert.

Mitte der 70er Jahre: Die erste Reise auf eigene Faust ging nach Kreta. Am aufregendsten damals war die Wanderung durch die Samaria-Schlucht, jenen vierzehn Kilometer lange Einschnitt, der sich von der 1200 Meter hohen Omalos-Ebene im Westen Kretas durch eine atemberaubend wilde Landschaft an die Südküste windet, nach Agia Roumeli am Libyschen Meer. Was hat sich in den vergangenen 35 Jahren verändert?

Kleinbusse halten im Minutentakt und spucken Wanderer aus

Früher gelangte man nur per Taxi zur Samaria-Schlucht, heute fährt täglich ein Linienbus von der Hafenstadt Chania zur Omalos-Ebene. Am Eingang der Schlucht zeigen sich die meisten Wanderer von Temperaturen um Null Grad überrascht, in Chania waren es noch milde 15 Grad. Eilig werden lange, hauchdünne Thermohosen aus den Rucksäcken geholt. Im Minutentakt halten Kleinbusse, spucken Gruppen von Wanderern aus, die nach einem schnellen Erinnerungsfoto rasch mit dem Abstieg beginnen. Die meisten wollen die Nachmittagsfähre von Agia Roumeli erreichen, die sie ins zwölf Kilometer entfernte Sfakia bringt, dem nächsten Ort mit Straßenanbindung am Ende der Schlucht. Von Sfakia werden die Schluchtdurchquerer nach der anstrengenden Tagestour dann zurück zu den Hotels an der Nordküste gefahren.

Die steilen Fels-Serpentinen des Einstiegs sind jetzt durch stabile Holzgeländer und Drahtnetze gegen Steinschlag gesichert, das ist neu und, wie die vielen Steine in dem Drahtmaschen beweisen, auch sinnvoll. Es gibt Feuerlöscher, und jeden Kilometer sitzt ein Park-Ranger auf einer Bank. Bei mehr als 1500 Wanderern pro Tag während der Hochsaison von Mai bis September sind mehrere verknackste Füße an der Tagesordnung, erzählt ein Ranger. Im Notfall werden die Invaliden per Maulesel nach Agia Roumeli transportiert, dort gibt es mittlerweile einen Hubschrauberlandeplatz.

Hell leuchten die gigantischen Felswände im Morgenlicht

Wir genießen den Anblick gigantischer Felswände, die im Morgenlicht hell leuchten, erkennen den armomatisch-harzigen Duft wieder, den die Pinienwäldchen verströmen. Nur die mobil telefonierenden Wanderer stören, die daheim gebliebenen Freunden oder Verwandten ihre Eindrücke live aus der Samaria-Schlucht übermitteln. Der verlassene Ort Samaria empfängt uns als Freizeitzentrum mit Bänken, Tischen, Abfalltonnen und landschaftlich gut integrierten Toilettenhäuschen. Selbst in der Nebensaison gleichen die Rastplätze einem Heerlager mit hunderten Lunchpaket-Essern. Am späten Nachmittag erreichen wir mit einem Pulk von Wanderern die Portes, die spektakuläre schmalste Stelle der Schlucht. Nur fünf Meter trennen die beiden Felswände, die sich mehrere hundert Meter in die Höhe türmen. Armdicke schwarze Plastikrohre liegen im trockenen Flussbett, sie transportieren Wasser von den Bergen hinunter nach Agia Roumeli.

Agia Roumeli ist nicht wieder zu erkennen

Am Strand des Ortes, wo damals ein einziges Haus stand, strahlen heute etwa vierzig Hotels in den Nationalfarben Weiß und Blau. Bevor die Nachmittagsfähre ablegt, tönt der Ort wie ein Einkaufszentrum. Lautsprecher befeuern die Tavernen, Cafés und Restaurants mit Folklore-Musik. Still wird es erst, nachdem die Schiffsirene zum Aufbruch geblasen hat.

Nach kurzem Suchen findet sich das Haus, das wir vor vielen Jahren nach siebenstündiger Wanderung mit vollem Gepäck, hungrig und durstig erreichten. Stark verändert und enorm ausgebaut steht hier heute das Paralia, das größte Hotel-Restaurant in der ersten Reihe, ausgestattet mit einfachen Zimmern, einem großen Restaurant und einer Strandbar mit Gyros-, Pita- und Cocktail-Angebot.

Postgarten-Sonnenuntergang und nostalgische Erinnerungen

Ein paar naturverbundene Camper genießen auf der riesigen, leeren Veranda einen Postkarten-Sonnenuntergang, eine ältere Dame aus Riga, deren Familie ohne sie auf die Fähre gestiegen ist, telefoniert verzweifelt mit ihrer Tochter auf dem Schiff. Das nächste fährt erst um elf Uhr am nächsten Tag. Die Frau aus Riga kann kaum Englisch und hat kein Geld dabei.

Nikos, ein Mittfünfziger mit dickem Schnauzbart, betreibt mit seiner Frau Heleni und seinem Bruder Manolis Hotel und Restaurant. "Life has changed", sagt Nikos in hartem Englisch und holt ein verblichenes Foto aus der Küche. Man sieht ein einzelnes Haus umgeben von Steinen und Thymiansträuchern. Mehr als dreißig Jahre sei das her, sagt Heleni. Ich zeige ihnen: Dort auf der Veranda haben wir geschlafen. Nikos lacht und gibt den ersten Anisschnaps aus. Später serviert er Meerbarben, selbst geangelt. Dazu gibt es Backkartoffeln und einen Salat mit Tomaten, Gurken, Zwiebeln und Feta. "Alle Produkte werden von uns selbst erzeugt", erklärt er stolz, und weiß: Genau das wollen Touristen hören.

Alte Gastfreundschaft trotz Massentourismus

Gastfreundschaft gehört noch immer zu den wichtigsten Tugenden, in Agia Roumeli, trotz aller massentouristischen Veränderungen. Souverän regelt Nikos mit seinem gebrochenen Englisch per Handy die Probleme der Dame aus Riga mit deren Tochter. Sie soll die Mutter nächsten Mittag an der Fähre abholen und dem Kapitän 30 Euro für eine Übernachtung mit Abendessen und Frühstück sowie das Ticket für die Überfahrt geben. "Man muss den Menschen helfen", sagt Nikos und fügt hinzu, "hoffentlich bauen sie nie eine Straße hierher." Dann gibt er noch eine Runde Anis aus.

Franz Michael Rohm

Service Kreta

Griechisches Fremdenverkehrsamt, Neue Mainzer Str. 22, 60311 Frankfurt, Telefon 069/2578270, info@gzf-eot.de, www.gnto.gr. Die Samaria-Schlucht ist in der Regel von Mitte April bis Ende Oktober geöffnet. Bei Regen oder schlechtem Wetter wird die Schlucht auch während der Sommermonate geschlossen. Infotelefon Verwaltung Samaria-Schlucht in Chania Tel. 0030/28210/84200. Zwei Busse fahren täglich vom zentralen Busbahnhof in Chania zur Omalos-Ebene, einer um 7.30 Uhr, der andere um 8.30 Uhr. Am besten bucht man Hin- und Rückfahrt, Chania – Samaria-Schlucht – Sfakia - Chania, etwa 13 Euro, Fahrzeit jeweils etwa 70 Minuten.

Tipps für die Übernachtung

Unterkunftstipps in Chania: Hotel Christina, Nea Chora Tel. 0030/28210/76206, Zwei-Personen-Studio mit Frühstück, ab 55 Euro, www.christina-apps.gr; in Agia Roumeli: Hotel Paralia, Tel. 0030/28250/91408. Einfache Zimmer bei Nikos Lykogiannis, Doppelzimmer ab 30 Euro, Frühstück ab 2,50 Euro. Zahlreiche andere Hotels und Pensionen, rund 600 Betten insgesamt. Mehrmals täglich Fähren nach Osten, Richtung Sfakia, von dort mit dem Bus zurück nach Chania. Die Fähre von Agia Roumeli nach Sfakia kostet zwölf Euro.

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