Tirol: Hochalpiner Kindertraum

Früher wurden Kinder aus Tirol zum Arbeiten nach Deutschland geschickt. Heute kommen Familien zum Bergurlaub nach Serfaus und Fiss.
von  Stephan Brünjes aus Serfaus

Serfaus - Der kleine Hermann aus Serfaus bricht mit seinem Vater auf - zu einem Ausflug, vermutet der Zehnjährige: Erst mit dem Zug von Landeck nach Bregenz, dann per Schiff nach Friedrichshafen. Dort ist der Marktplatz voll mit 1000 Kindern oder mehr. Hermann jagt den Tauben hinterher, bis sein Vater ihn beiseitenimmt und einem Mann vorstellt: „Hermann, mit dem musst jetzt gehen, und bleib brav!“ In diesem Moment, im März 1914, ist aus dem Serfauser Jungen ein sogenanntes Schwabenkind geworden, vermietet an einen oberschwäbischen Bauern zur Feldarbeit für acht Monate und den Lohn von 80 Mark. Der Grund: „Ich war eines von 14 Geschwistern. Meine waren Eltern so arm, dass sie nicht alle ernähren konnten“, erinnert sich Hermann Mangold. So ging es vielen Tiroler Familien vor gut 100 Jahren. Den Jungen und Mädchen blieb damals nur der „Weg der Tränen“ - für die meisten ein Kindheitstrauma. Heute ist es genau umgekehrt: Familien aus Deutschland reisen hoch nach Serfaus, Fiss und Ladis, denn für den Nachwuchs sind die Dörfer ein Kindertraum. Zwischen Landeck und dem Reschenpass liegen sie 1200 bis 1400 Meter hoch wie auf einer großzügigen Sonnenterrasse, umsäumt von Zweitausendern.

Fiss und Ladis noch mit dörflichem Charakter, Serfaus deutlich geprägt von ausladenden, vielfach erweiterten Alpin-Hotels mit immer neuen Wellness- und Delikatess-Angeboten. Die Bergwelt drum herum gehört ganz den Kindern. Ein Konzept, das vor gut zehn Jahren „handgestrickt“ begann: Waren in anderen alpinen Dörfern noch geschotterte Wanderpfade mit dürrem Hinweis „kinderfreundliche Strecke“ Standard, da bot Serfaus schon intelligente Animation auf Schritt und Tritt. Richie und Stefan, zwei kernige Bergbuam, kreierten eine Fünftagewoche als Mix aus Kindergeburtstag und Pfadfinderlager, machten aus lauffaulen Gästekindern begeisterte Langstreckenwanderer - mit einem einfachen Trick: Die Animateure lasen Kapitel für Kapitel einer fesselnden Fantasy-Geschichte vor und fragten die Kinder, wie sie wohl weitergeht. Klar, dass jeder die Fortsetzung hören wollte und im Laufschritt zum nächsten Vorlesepunkt stürmte. Längst haben die Macher vom Tourismusverband dieses Konzept professionalisiert: Der österreichische Jugendbuchautor Thomas C. Brezina schrieb unter dem Titel „Abenteuerberge“ drei geheimnisvolle Geschichten, die Familien wandernd entschlüsseln können.

Wasserläufe umleiten und Goldsucher spielen

Mal geht es um ein angeblich in den Bergen abgestürztes (und dort wirklich im Boden steckendes) Sportflugzeug, mal um ein mysteriöses Hexenhaus. „Murmli“, das pausbäckige, leicht schielende Serfauser Maskottchen mit grünem Hut, dürfte längst im Teenie-Alter sein, muss aber weiter wacker Dienst tun als Namensgeber von Kinderclub, Murmli-Song und neuerdings dem Murmli-Wasser, einem XXL-Abenteuerspielplatz gleich neben der Mittelstation der Komperdellbahn. Auf der Fläche von zwei Fußballplätzen, durch die ein Wildbach fließt, können Kinder Wasserläufe umleiten, Goldsucher spielen und auf einem Floß über einen knöcheltiefen Teich fahren oder einfach mal in Sand und Lehm buddeln. In einer Murmli-Höhle, gestaltet aus Betonröhren, können sie das unterirdische Leben der Erdhörnchen nachempfinden und sie gleich füttern. Fiss, der Nachbarort, hat ebenfalls aufgerüstet und setzt in seinem Sommer-Funpark auf spektakuläre Spaßgeräte wie den „Fisser Flieger“: rein in den Schutzanzug und einklinken unter einem drachenähnlichen Fluggerät, das nun vier Passagiere, unter dem Flügel hängend, mit 40 km/h rückwärts in die Startposition zieht. Dort losgelassen, saust der „Fisser Flieger“ an einem Seil mit bis zu 80 Sachen über die grünen Wiesen der Möseralm.

Die anschließend überreichten Fotos beweisen: Nicht jede Dauerwelle hält während des Fluges, aber der Spaß ist jedem ins Gesicht geschrieben. Gleich daneben startet eine Rodelbahn. Sie führt zwei Kilometer ins Tal, durch Piratenschiffe und Dino-Höhlen, als Sommervariante auf einer Schiene. Doch Winter ist auch, Schneeballschlacht und Snowtubing in Autoreifen sind selbst bei 28 Grad kein Problem - dank der Kunstschnee-Anlage, die den weißen Haufen auf der grünen Wiese nicht schmelzen lässt. „Wir wollen so viele spannende Angebote machen, dass Eltern sich einen ganzen Tag mit ihren Kindern im Sommer-Funpark aufhalten können“, sagt Simon Schwendinger, Marketing-Chef bei den Fisser Bergbahnen. Das klappt sicher nicht immer, aber für einen halben Tag reichen die Attraktionen sicher. Und wo bleibt die Erholung für Eltern inmitten dieser hochalpinen Rummelplätze? Im rückenfreundlichen Liegestuhl. Oder im Strandkorb. Oder in einer Hängematte. Und zwar stets mit Blick auf die buddelnden, badenden oder balgenden Kinder. Die wahre Urlaubsfreude wartet jedoch in der Fisser Genussgondel: rot-weiße Lederbänke, Gardinen, Kissen und in der Mitte ein Tisch mit weißem Tuch. „Bitte einsteigen“, heißt es morgens um kurz nach neun am Gipfelrestaurant der Bergbahn.

Mit weißen Handschuhen servieren Cindy und Verena Champagner, Lachs und Käsevariationen, Cornflakes und Cappuccino, Brötchen, Butter und was sonst noch zu einem Luxus-Frühstück gehört. Schnell noch ein Erinnerungsfoto, dann schnappen die Genussgondel-Türen zu. Die Fahrt im wahrscheinlich kleinsten Restaurant der Welt beginnt. An der Mittelstation fragt Ferdi, ob’s noch ein Ei sein darf. Dann ruft er kurz auf dem Berg an, und oben wird’s weich gekocht in die Gondel gereicht. Knapp zwei Stunden dauert die entschleunigte Schlemmerreise. Sie endet mit Pralinés als Abschiedsgeschenk im Bergrestaurant. Bei diesem süßen Finale fällt der Blick auf Fotos und Gemälde an der Stirnwand. Hart in den Bergen schuftende Menschen, mit Heukiepen auf den Buckeln und Gesichtern, die vom Leben gezeichnet sind. Nein, die Zeiten der Schwabenkinder sind nicht vergessen.


 

Anreise
Mit dem Auto erreicht man die Urlaubsregion am besten über die Inntal-Autobahn A 12 in Tirol, durch den Landecker Tunnel auf die B 180, in Ried dann abbiegen Richtung Fiss/Serfaus/Ladis.

Unterkunft
Man kann wählen zwischen Zimmern mit Frühstück bis zur Vollpension im Vier- und Fünf-Sterne-Hotel mit exklusiven Wellness-Angeboten. Eine Woche für zwei Erwachsene und zwei Kinder bis 14 Jahre in einer Frühstückspension gibt’s ab 525 Euro, in einem Drei-Sterne-Hotel mit Halbpension ab 945 Euro.

Attraktionen
Die „Super.Sommer.Card“ bekommt man gegen Vorlage seines Gästeregistrierungsscheins, den das Hotel oder die Pension ausstellt. Mit der Karte können Bergbahnen, Kinder-Ganztagsanimation sowie Wanderbus kostenlos genutzt werden. Die Spielzone „Murmliwasser“ ist kostenlos, im Fisser Sommer-Funpark kosten einige der Attraktionen wie etwa der „Fisser Flieger“.

Essen und Trinken
Die Genussgondel kann man nicht nur für das Frühstück buchen (49 Euro/Person), sondern auch für ein Sechs-Gänge-Menü (69 Euro/Person, Tel. 00 43 / 54 76 / 63 96. Außerdem bietet der Crystal Cube ein weiteres Restaurant-Highlight:

Ein verspiegelter Würfel auf einem Felsgrat, gerade mal 20 Quadratmeter groß. Wer ihn für bis zu acht Personen mietet, kann hier ein spezielles Mehrgänge-Menü mit 360-Grad-Rundumblick auf einige der höchsten Alpengipfel genießen.

Historisches
Das Dorfbuch von Serfaus bietet Interessierten ein Kapitel über den „Weg der Tränen“, eine Ausstellung im nahe gelegenen Schloss Landeck informiert über das Schicksal der „Schwabenkinder“ (wieder geöffnet ab dem 10. April, www.schlosslandeck.at).

Allgemeine Informationen
Serfaus-Fiss-Ladis-Information, Tel. 00 43 / 54 76 / 62 39, www.serfaus-fiss-ladis.at

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