Südafrika: Mit dem Rad gegen den Wind
Kapstadt - Der Wind bläst so stark, dass er die Schwerkraft auszuhebeln scheint. Obwohl es auf der R44 zwischen Hermanus und Gordon’s Bay bergab geht, bewahrt nur schiere Muskelkraft im niedrigsten Gang vor dem Stehenbleiben. „Scheiß Wind“, schimpft der Radurlauber aus Deutschland. „Herrlich, was?“, entgegnet Reiseleiter Kevin, halb Deutscher, halb Südafrikaner – und somit dem Besucher in der Frage, wie man Dinge auch positiv sehen kann, um 50 Prozent voraus.
Es ist Tag elf unserer Radreise, die uns von Port Elizabeth auf meist wenig befahrenen Nebenstraßen nach Kapstadt führt – etappenweise auf dem bereitgestellten Achtgangrad, einen Teil der Strecke chauffiert uns Ben, ein Kenianer vom Stamm der Massai, mit dem Bus. Sämtliche Launen des Wetters liegen bereits hinter uns. Sonne, Hitze, Regen und Hagel – der südafrikanische Frühling ist unberechenbar. Die einzige Konstante ist der Wind, genauer: der Gegenwind. Er umweht das Kap der Stürme beständig aus westlicher Richtung, bis er den Radtouristen an den Nerven zehrt. Doch sehen wir es südafrikanisch: Wind macht den Kopf frei – und schärft den Blick auf die Landschaft. Eben das, was zählt beim Radfahren.
Der rund 750 Kilometer lange Küstenstreifen der Gardenroute gehört aufgrund seiner Artenvielfalt zu den sechs floristischen Königreichen. Das weite Grasland des Fynbos (Afrikaans, abgeleitet von feiner Busch) beheimatet mehr als 9000 Pflanzenarten; die Hälfte davon ist endemisch, also nur dort vorhanden. „Vorsicht beim Austreten“, rät Kevin. Denn neben Springbock und Antilope fühlen sich auch Puffotter und Kapkobra in dem dichten Bewuchs wohl. Am besten stapft man fest mit den Füßen auf den Boden – Vibrationen halten die Schlangen fern.
Welche Wesen mögen sich erst in dem lianenverhangenen Urwald der Bloukrans-Schlucht verbergen, in dem sich J. R. R. Tolkien für sein Meisterwerk „Herr der Ringe“ inspirieren ließ? Wir radeln weiter durch Schluchten und Halbwüsten sowie über Pässe – vorbei an zwei Ozeanen, an unzähligen Jacarandas, Bougainvilleas in Rot, Gelb und Orange, an Weinbergen, Aprikosen- und Granatapfelplantagen, Straußenfarmen, Pinguinkolonien, Eukalyptus und Gelbholzbäumen. Stuttgart 21 lässt grüßen: Einige der Hunderte Jahre alten Bäume wurden für den Bau der Autobahn N2 versetzt – zum Preis von für südafrikanische Verhältnisse unglaublichen 20 Millionen Euro.
So vielfältig und abwechslungsreich die Flora, so charakteristisch die verkohlten Hölzer inmitten der Farbenpracht. Reste der regelmäßig auftretenden Buschfeuer, die mangels hoher Bauwerke meist durch Blitzschlag ausgelöst werden. Nicht schön, aber auch das kann man anders sehen. „Der Fynbos braucht das alle paar Jahre, um sich zu erneuern“, erklärt Kevin. Der 33-Jährige versteht Radfahren in seiner zweiten Heimat nicht nur als Wahrnehmung der Sinne oder reinen Sport, sondern auch als Form der Begegnung und Kommunikation. Ausnahmslos jeder im Vorbeifahren wird gegrüßt, entweder durch Winken oder in einer der elf Landessprachen. Die Antwort „Lekker, lekker“ auf die Frage nach dem Befinden geht immer. Anders als in den meisten englischsprachigen Ländern ist „How are you?“ in Südafrika keine Floskel, sondern tatsächlich eine Frage.
Viele Radfahrer begegnen uns in den ersten Tagen am Ostkap nicht. Genaugenommen sind wir die einzigen. Die Einheimischen legen kurze Strecken traditionell lieber zu Fuß zurück (Schwarze) oder nehmen das Auto (Weiße). Der Radtourismus steht erst am Anfang. Eine Infrastruktur gibt es so gut wie nicht. Radsport und Radwege finden sich fast nur in Kapstadt; der einzige Radweg, der sich uns außerhalb der Metropole bei Stellenbosch auftut, hat deutsches Niveau – brüchig und mit Schlaglöchern.
So genussvoll die Landschaft das Radeln macht, die Straßen sind gewöhnungsbedürftig. Was nicht nur am Linksverkehr liegt oder daran, dass man auf Autobahnen Rad fahren darf. Obwohl die Ausgaben für den Straßenbau mit die größten im Staatshaushalt Südafrikas sind, besteht das Verkehrswegenetz noch immer zu über der Hälfte aus Schotterpisten.
Der Belag spiegelt wider, dass in Südafrika die ganze Welt zu Hause ist, die Erste wie die Dritte. Er bleibt auch 17 Jahre nach dem Ende der Apartheid ein Symbol für die Trennung des Landes: Als augenfällige Wegmarke zieht er Grenzen zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarzen und Weißen. In Gegenden wie dem Lake District bei Wilderness sind die Straßen nur dort geteert, wo überwiegend weiße Bevölkerung zu Hause ist, nämlich in den Städten. Weit draußen, zwischen Farmen und den Behausungen der Arbeiter, liegt Schotter. Das Gestein ist grob und staubig, die Fahrbahn wellblechartig geformt und schon lange nicht mehr eben geschippt. Quer ruckeln wir darüber, Zähne klappern, die Lunge ächzt. Der fragende Blick der Kinder am Straßenrand verrät: Was machen die da?
Sich trotz aller Beschwernis prächtig amüsieren! Denn wer Rad fährt, sieht mehr vom Land. Etwa die höchsten Bungeesprünge der Welt von der 214 Meter hohen Bloukrans Bridge, die sich nur zwischen zwei Büschen am Straßenrand hindurch erspähen lassen. Oder die Hai-Beobachterin, die versteckt oberhalb von Muizenberg Beach steht und per Funk durchgibt, wann die schwarze Fahne für Surfer gehisst werden soll. Nicht zuletzt das krasse Nebeneinander von Picobello-Kleinstädten mit Rosenziergärten und Rolltorgaragen sowie ärmlichen Wellblechsiedlungen. Genuss-Radeln weitet den Blick.
Zum Schluss unserer Reise versöhnen wir uns sogar mit unserem steten Begleiter. Auf der Kap-Halbinsel südlich von Kapstadt weht der Wind zum ersten Mal aus der richtigen Richtung, also von hinten. „Herrlich, was?“, strahlt Kevin und niemand widerspricht.
Anreise
Direktflüge gibt es von Frankfurt und München mit Lufthansa und Southafrican Airways. www.staralliance.com
Veranstalter
Der Radreiseveranstalter Rotalis mit Sitz in der Schweiz bietet Touren vor allem in Europa an. In den Wintermonaten geht es auch nach Neuseeland, Vietnam und Südafrika. Die Radreise durch Südafrika ist erst seit kurzem im Programm und wird zweimal im November und einmal im März angeboten. Die Reise dauert 16 Tage, neun davon auf dem Rad. Die Etappenlängen betragen 30 bis 40 Kilometer pro Tag. Räder werden gestellt. Das Gepäck wird im Begleitbus transportiert. Nennenswerte Anstiege sind selten, doch ist der Streckenverlauf insgesamt eher hügelig. Insgesamt ist die Route, die meist auf wenig befahrenen Nebenstraßen verläuft, ohne größere Schwierigkeiten zu schaffen. www.rotalis.de, Telefon: 08106/359191. Der Veranstalter Africanbikers bietet ebenfalls geführte Radtouren durch Südadfrika an. www.africanbikers.de
Allgemeines
Südafrika hat durch die Fußball-WM einen weiteren Schritt nach vorn gemacht. Die Infrastruktur entspricht vielfach europäischem Standard. Infos unter www.suedafrika.net, www.suedafrika-guide.de, www.reiseinfo-suedafrika.de
Reisezeit
Die Jahreszeiten verhalten sich umgekehrt zu denen Europas. Daher bieten sich Radreisen von September bis Anfang Dezember und im März/April bestens an. Zu diesen Zeiten sind Niederschläge selten und die Temperaturen an der Gardenroute moderat. In der Karoo sind 30 Grad und mehr aber nicht ungewöhnlich. Impfungen sind keine erforderlich, einzig im Krüger-Nationalpark besteht ein geringes MalariaRisiko.
Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall: Augen auf! Dann ist es in Südafrika nicht gefährlicher als anderswo. Zumindest nicht entlang der Reiseroute. Weniger zu empfehlen sind nächtliche Trips auf eigene Faust. Viele Straßen sind schwach beleuchtet und nachts menschenleer.
Auf keinen Fall: auf Sonnencreme verzichten. Die UV-Strahlung in Südafrika ist beträchtlich.
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