Sachsens Schmetterhand

Am 30. März ist der 100. Todestag von Karl May. Wir haben seine Villa in Radebeul besucht.
Franz Lerchenmüller aus Radebeul |
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Im Garten der Villa hält Der mit dem Wolf sitzt Wache.
Lerchenmüller Im Garten der Villa hält Der mit dem Wolf sitzt Wache.

Radebeul - Der Name ist so was von fehl am Platz. „Villa Shatterhand“ prangt in goldenen Lettern über dem weißen Bau in dieser sehr bürgerlichen Gegend Radebeuls, der Name des abenteuerlustigen Westmannes – fast ist es, als hätte Winnetou seinen Wigwam zum „Kristallpalast“ erklärt. Hier also lebte er bis zu seinem Tod am 30. März 1912: Karl May, der große Fantast, der zähe Arbeiter, der Menschheitsfreund. Gleich dahinter erstreckt sich ein Park, an dessen anderem Ende die „Villa Bärenfett“ steht. Die Blockhütte erinnert schon eher an den Wilden Westen. Ein bunter Totempfahl bewacht den Eingang, ein lebensgroßer Krieger aus Glasfiber, schon etwas angestoßen, hat sich mit einem Wolf im Arm auf der Erde niedergelassen. Nebenan üben sich Schulkinder im Bogenschießen, und aus „Sams BBQ“ riecht es nach Grillwürstchen.

Der 1926 errichtete Holzbau beherbergt die Indianersammlungen Karl Mays und eines seiner Bewunderer, des Artisten Patty Frank. Hinter dem Eingang lauern Bär und Puma im Halbdunkel. In Vitrinen liegen Mokassins und Tomahawks, Kinderwiegen und Pfeifen. Ein Shoshonen-Zauberer steht lebensgroß an der Wand, stoisch verharrt ein Irokese in Kriegsbemalung. Ein eigener Raum ist der Schlacht am Little Bighorn River gewidmet. Hier schlugen am 25. Juni 1876 Sioux und Cheyenne General Custer und seine Soldaten vernichtend. Eine Landkarte auf dem Fußboden zeigt das Gelände, Aussagen von Zeitzeugen und ein Schlachtgemälde vermitteln einen facettenreichen Eindruck des Dramas. Es ist ein fast liebenswert altertümliches Museum mit Glaskästen, Schrifttafeln und Objekten. Eröffnet wurde es schon 1928, in der DDR hieß es Indianermuseum. Denn Karl May war dort lange Zeit zwar nicht verboten, aber auch nicht erwünscht. Der Kopf-Weltenbummler hätte mit seinen Erzählungen eine eher unerwünschte Reiselust wecken können. Darüber hinaus war er Pazifist und Christ und galt trotzdem als der Lieblingsautor Adolf Hitlers.

"Sohn der Arbeiterklasse"

Erst Ende der 70er Jahre mutierte May, fünftes von 14 Kindern mittelloser Weber, zum wiedergefundenen „Sohn der Arbeiterklasse“. 1985 öffnete man die „Villa Shatterhand“ als Karl-May-Museum für das Publikum – und zog im ersten Jahr 350 000 Besucher an. Geboren wurde der Schriftsteller am 25. Februar 1842 im sächsischen Ernstthal. Das schmale Elternhaus ist heute ein kleines Museum mit einer imponierenden Sammlung ausländischer Buchausgaben – immerhin wurde der meistgelesene deutschsprachige Autor in mehr als 40 Sprachen übersetzt, über 200 Millionen Bände wurden verkauft. Seinen Landsleuten hat er in den Büchern immer wieder mal ein Denkmal gesetzt: Figuren wie die schrulligen Westmänner Sam Hawkens oder Hobble Frank prägten das Sachsen-Bild von Generationen von Lesern außerhalb der Landesgrenzen. Im fernen Damaskus ließ er einmal sogar Pressnitzer Musikanten Liedgut aus dem heimischen Sachsen vortragen. Mays Jugend verlief stürmisch, mit langen Jahren im Zuchthaus wegen Diebstahls und Hochstapelei.

Kräftige Angriffe aus der Presse

Erst als er Redakteur in Dresden wurde und seine ersten Bücher erschienen, brachte es der Märchenerzähler nach und nach zu Anerkennung und Wohlstand – und 1896 zur weißen Villa in Radebeul. Im Empfangszimmer hängt über der Büste des Hausherrn eines jener schwülstig-mystischen Gemälde seines Freundes Sascha Schneider, die auch die Titel der grün-goldenen Karl-May-Bände zieren. Im Erdgeschoss steht der Besucher einem Mythos gegenüber: Grober als gedacht ist Winnetous Silberbüchse, klobig wie eine Kanone wirkt der Bärentöter. In Radebeul mochte man Karl May, auch wenn er in juristische Händel um seine Werke verwickelt war und mit heftigen Angriffen aus der Presse zu kämpfen hatte. Er war Mitglied im Gewerbeverein, förderte Künstler und spendete für die Erhaltung des Bismarckturms. Begraben wurde er auf dem Friedhof von Radebeul-Ost unter einer Nachgestaltung des Nike- Tempels der Akropolis von Athen. Vorher aber galt er, wie es auf einer der Schrifttafeln heißt, in mancher Weinstube als „ein gerngesehener, geselliger Gast“.

Am prächtigsten ausgestattet ist die Bibliothek, mit lila Vorhängen, Tausenden von Büchern und einem orientalischen Kaffeetisch. Ein großes Fotoalbum liegt aus. Den Menschen, die ihm schrieben, antwortet er gern: „Bei den innigen Geistes- und seelischen Beziehungen, in welche sich meine freundlichen Leserinnen und Leser zu mir gestellt haben, würde es mir sehr lieb sein, wenn ich recht oft durch Beilegung der Fotografie für mein Leser-Album erfreut würde.“ Jedes Bild, das geschickt wurde, klebte er ein. Karl May als der erste Mensch, der sein Facebook pflegte – wer hätte das gedacht?


Anreise
Von Dresden mit der S 1 Richtung Meißen, Bahnhof Radebeul-Ost. Oder: Straßenbahn Linie 4 Dresden Weinböhla, Haltestelle Schildenstraße.

Übernachten
Direkt an der Sächsischen Weinstraße gelegen bietet das Hotel Stadt Radebeul (DZ+F ab 85 Euro) kostenlosen Internetzugang und einen Garten, in dessen Teichen bunte Fische schwimmen. Meißner Str. 216, 01445 Radebeul, www.hotelradebeul.de

Das kleine, aber feine Hotel Dittrichs Erben (DZ+F ab 80 Euro) liegt im Ortskern Altkötzschenbroda. Kinder können im Heu übernachten. Mit Fahrradverleih, BeautyLounge und Weinladen. Altkötzschenbroda 27, 01445 Radebeul, www.ferienhofradebeul.de

Essen und Trinken
Gehoben, aber bodenständig, so wird in „Schloss Wackerbarth“ gekocht, Wackerbarthstr. 1, 01445 Radebeul, www.schlosswackerbarth.de.

Karl-May-Museum und -Jubiläum
Geöffnet Nov.-Feb.: Di.–So. 10–16 Uhr, März–Okt.: Di.–So. 9–18 Uhr. Karl-May-Straße5, 01445 Radebeul, Tel.: 03 51 / 8 37 30 10, www.karlmaymuseum.de.

Am 30. März wird in Radebeul ein Kranz am Grab von Karl May niedergelegt, im Museum eine Sonderschau mit Handschriften des Autors eröffnet. www.karlmay2012.de.

Allgemeine Informationen
Touristinformation Radebeul, www.radebeul.de

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