Kühlungsborn: Bilderbuchbrise

Kühlungsborn brachte es zum meistbesuchten Strandbad an der mecklenburgischen Küste. Eine Dampflok hat den Boom kräftig mit angeschoben.
von  Martin Cyris aus Kühlungsborn

Kühlungsborn - „Jetzt setz dich doch mal hin, Opa!“ Geistesabwesend nimmt der ältere Herr seine Hosenbeine in Kniehöhe zwischen Daumen und Zeigefinger, zieht den Stoff seiner Bundfaltenhose nach oben, gehorcht seiner Schwiegertochter und lässt sich auf einer Bank nieder. Der grauhaarige Mann äugt gen Osten, Richtung Heiligendamm. Denn von dort wird seine alte Liebe kommen: Molli. Schnaubend, mit weißer Rauchsäule, rollt das betagte Dampfross im Bahnhof von Kühlungsborn ein. „Den Zug kenne ick noch aus DDR-Zeiten“, schwärmt der Mann aus Mahlsdorf im Osten von Berlin. Damals verbrachte er als Jugendgruppenleiter seine Ferien an der Ostseeküste. Die Schmalspurbahn verbindet Bad Doberan mit Kühlungsborn.

„Molli ist für uns ein großer Erfolgsfaktor“, sagt Melanie Hunger, Sprecherin des Touristik-Service Kühlungsborn, „manche Gäste sind wie verrückt und kommen nur wegen ihr.“ Bilder der Bahn gingen 2007 um die ganze Welt. Damals transportierte sie als einziges Beförderungsmittel Journalisten aus aller Welt zum G-8-Gipfel nach Heiligendamm. Der Nachbarort von Kühlungsborn verfügt über den prominenteren Namen. Kühlungsborn aber über weitaus mehr Betrieb. Rund zweieinhalb Millionen Übernachtungen verzeichnete das Seebad im vergangenen Jahr. Mehr als jeder andere Ort an der Ostsee.

Eine Steigerung um satte 7,5 Prozent

Eine Steigerung um satte 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und gegen den Trend, denn in Mecklenburg-Vorpommern ging der Tourismus zuletzt leicht zurück. „Wir haben eine Bilderbuchentwicklung“, so Melanie Hunger. Kühlungsborn aalt sich nicht nur im Ostseeklima, sondern auch in seiner Beliebtheit. Da sind die geschützten Dünen am kilometerlangen Strandabschnitt. Der helle Sand und das tiefblaue Meer. Die bunten Strandkörbe und die leckeren Fischbrötchen mit zartem Matjesfilet. Die belebte Strandpromenade mit Strandbuden und Eisdielen. Und der verträumte Bootshafen, in dem die Segel der Yachten im Wind flattern. Schöne Dinge, die man auch andernorts an der Ostsee antrifft. Aber die Atmosphäre in Kühlungsborn ist einzigartig. Was auch an der alten Bausubstanz liegt.

Ein guter Teil der historischen Bäderarchitektur überlebte die maroden DDR-Zeiten. Nach der Wende wurde, der Bau- und Abrisswut in den Nachbargemeinden zum Trotz, auf Erhalt gesetzt. Kein Gebäude darf höher sein als die Bäume des Küstenschutzwaldes. Auch die katholische Kirche musste kleine Brötchen backen - beim Bau ihres neuen Kirchturms. Das hochhausfreie Ambiente scheint bei den Gästen hoch im Kurs zu stehen. Unter ihnen auch eine wachsende Zahl aus Süddeutschland und der Schweiz. „Wir lieben die Weite der Landschaft, die Dünen und die Architektur“, sagt ein Urlauber aus Zürich. „Und die bunten Strandkörbe“, ergänzt seine Frau. Kühlungsborn würden sie auf jeden Fall weiterempfehlen. Auch wegen der erfrischenden Brise: „Gesünder als die Hitze am Mittelmeer.“

Unter den ausländischen Gästen machen Schweizer gut ein Drittel aus. „Das Wort Velo hat sich hier schon eingebürgert“, sagt Martin Krause vom Touristik-Service. Unzählige Zweiräder parken in der Hochsaison entlang der Strandmeile. In Freiluftcafés lassen sich die Gäste den Wind durch die Haare wehen. Oder beobachten das Treiben an der Hafenpromenade. Ein bunter Haufen flaniert vorbei: Damen mit wasserstoffperoxidierter Mähne, frisierte Pudel an der Leine. Tätowierte Männer in Dreiviertelhosen, Fischbrötchen in der Hand. Junge Familienväter, mehrere Eistüten jonglierend. Bruno Nähring ist einer der wenigen hauptberuflichen Fischer, die in Kühlungsborn übrig geblieben sind. Es ist später Nachmittag, als der Kutter des 75-Jährigen einläuft.

„Klingt doch besser als Rosa Luxemburg“

Sein Enkel Paul hält das Steuerrad der „Steffie Nähring“. Das Schiff wurde nach des Fischers Frau benannt. „Klingt doch besser als Rosa Luxemburg“, grummelt der Senior-Kapitän, „oder Clara Zetkin“. Allgegenwärtige Schiffsbezeichnungen in DDR-Tagen. „Wie isses?“, erkundigt sich Roberto, Nährings Schwiegersohn, nach dem Fang. Er wartet auf der Kaimauer und hilft beim Vertauen. „Mau“ brummt Bruno Nähring. „Wenigstens ’ne Meerjungfrau hät-tet ihr mir mitbringen können“, kalauert Robert. Fischers Visionen. Ganz real ist dagegen der Rückgang des Fischereigewerbes, während der Tourismus blüht. Dabei gehört frischer Fisch zu Kühlungsborn, wie die Strandkörbe und die bunten Granit- und Kalksteine im Sand dazugehören. Doch die Fischbestände sind dezimiert, vieles wird aus der Nordsee zugekauft. Bruno Nähring lässt sich nicht unterkriegen. In seinem Familienunternehmen arbeiten drei Generationen zusammen.

Ans Aufhören verschwendet er keinen Gedanken: „Rheuma kenn’ ich nicht, nur Muskelkater.“ Mehr als 50 Jahre ist er zur See gefahren. Das bedeutet zwischen drei und vier Uhr morgens aufstehen, sechs Tage die Woche. Doch weder das frühe Aufstehen noch die Kälte noch die Herbststürme seien das Härteste an seinem Beruf. Nähring zögert keine Sekunde. Das Schlimmste seien die Behörden. „Die machen uns das Leben schwer“, klagt Nähring, „haben vom Fischerhandwerk keine Ahnung, aber knallen uns Auflagen vor den Latz, die wir dann erfüllen müssen, ob sie sinnvoll sind oder nicht.“ Kürzlich hat seine Familie ein weiteres Fischrestaurant eröffnet, das Black Marlin. Ob er Fisch überhaupt noch sehen könne?

„Klar. Für mich kann es höchstens zu wenig Fisch geben - in den Netzen.“ Auch die Besucher scheinen vom Fisch nicht genug zu bekommen. Nachgespült wird mit einem Likör aus Sanddorn. Die „Zitrone des Nordens“ wächst überall in der Umgebung. Die Abenddämmerung genießen viele bei einem Pils an einem der Strandkioske, etwa der Buhne 8. Der Name erinnert an Ballermann 6. Doch vom ausufernden Mallorca-Partytrubel ist Kühlungsborn weit entfernt. Kurz gesagt: Molli statt Malle.


Anreise
Mit Germanwings ab Stuttgart, www.germanwings.com , nach Rostock-Laage. Mit dem Auto von Stuttgart über die A 81 bis Würzburg, auf der A 7 bis Hamburg, auf A 1 und A 20 Richtung Rostock bis Ausfahrt Wismar, dort auf die A 14 Richtung Wismar, auf die B 105 wechseln Richtung Rostock.

Unterkunft
An der Stelle des Hotels Upstalsboom befand sich früher einmal das Kreiskrankenhaus. Heute erholt man sich im Wellness-Bereich der neuen Hotelresidenz oder auf der Terrasse mit Blick auf den Park bei einem Stück Torte aus der hauseigenen Konditorei, ab 70 Euro pro Person inkl. Frühstück, www.upstalsboom.de .

Seine Zelte direkt an der Ostsee aufschlagen kann man im Top Camping. Wohnmobilstellplatz ab 28 Euro inkl. zwei Personen und Nebenkosten, schöner alter Baumbestand, www.campingpark-kuehlungsborn.de.

Vom Fenster aus das Meer rauschen hört man im Hotel Schloss am Meer, einer restaurierten Seebäder-Villa direkt am Strand. DZ ab 180 Euro inkl. Frühstück. www.hotelschlossammeer.de.

Strand
Strandkorb ab acht Euro pro Tag, ab 50 Euro pro Woche. Fast acht Kilometer Sandstrand stehen zur Verfügung, eigene Abschnitte für Hundebesitzer und Sportfreaks. Die Promenade gilt mit über vier Kilometer Länge als längste Deutschlands.

Bäderbahn Molli
Die (bzw. der) Molli, die mecklenburgische Bäderbahn mit Dampflok, verkehrt bis Ende Oktober mehrmals täglich zwischen Kühlungsborn und Bad Doberan. Rückfahrkarte für Erwachsene 12 Euro, Kinder bis 14 Jahre 9 Euro. Fahrplan unter www.molli-bahn.de .

Was man tun und lassen sollte
Auf jeden Fall echten Kühlungsborner Wein probieren. Peter Weide vom Restaurant Vielmeer ist Wirt und Idealist - denn Idealismus braucht man, um einen kleinen Weinberg nur wenige Meter vom Ostseeufer entfernt zu bewirtschaften.

Auf keinen Fall zwischen Kühlungsborn-Ost und Heiligendamm-West mit Bikini oder Badehose aufkreuzen: Hier herrscht Freikörperkultur an einem der beliebtesten Ohne-alles-Strände Deutschlands.

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