Kiew: Kirchengold und Minirock
Kiew - Es ist fertig. Rund 70 000 Sitzplätze. Feine Logen mit weißen Ledersesseln, darüber die Tribüne der Staatsgäste - wenn sie denn kommen sollten. Das Olympiastadion in Kiew erwartet die Fußballfans Europas. Vergessen, dass Jerome Valcke, der Generalsekretär der Europäischen Fußball-Union (Uefa), noch letztes Jahr in einem Brief an seine ukrainischen Kollegen mit dem Entzug der Europameisterschaft gedroht hatte, weil sich die Regierung unzulässig in die Angelegenheiten des ukrainischen Verbands eingemischt haben soll. Und auch die Rückstände beim Bau der Stadien und der Infrastruktur sind kein Thema mehr. Bald geht es los.
Der junge Dimitri, der Besucher durchs Stadion führt und schüchtern seine Englischkenntnisse ausprobiert, zeigt stolz die Umkleidekabine, in der schon die Trikots der ukrainischen Nationalelf hängen, den VIP-Bereich, das Pressezentrum.
Im Dezember 2008 begann der Umbau des Olympiastadions
1949 war das Fußball- und Leichtathletikstadion in seiner jetzigen Form eröffnet worden. Mal trug es den Namen von Stalin, mal den von Chruschtschow. Bei den Olympischen Boykott-Spielen 1980 in Moskau wurde hier in der Vorrunde gekickt. Im Dezember 2008 begann der Umbau. Am 8. Oktober 2011 erstrahlte es in neuer Pracht. Das Sheraton-Hotel, das auf dem Gelände silbern in den Himmel ragt, wird aber während der EM keine Gäste beherbergen. Das Fünf-Sterne-Haus wird erst im Januar 2013 fertig, das feine Hilton nur wenig früher. Vielleicht.
Was soll’s? Die Funktionäre der Uefa logieren im Hyatt und Interconti, seit wenigen Wochen hat zudem das Fairmont am Dnjepr-Ufer geöffnet. Das billigste Zimmer kostet hier 319 Euro - pro Nacht. Der Durchschnittslohn eines Hotelangestellten liegt bei 300 bis 400 Euro - im Monat. Das die Zimmerpreise während der EM überall in Kiew explodieren, findet hier keiner schlimm. Dafür fährt die Metro im 50-Sekunden-Stoßzeit-Takt mit nagelneuen Waggons. Ältliche U-Bahn-Lenkerinnen sollen während der EM durch junge Damen ersetzt werden. Ein Gerücht. Es hält sich.
Dabei lohnt ein Wochenend-Trip nach Kiew auch ohne Fußball. Gut zweieinhalb Stunden dauert der Flug von Frankfurt in die goldene Stadt. Am Wochenende promenieren Tausende auf dem für Autos gesperrten Kreschatik-Boulevard mit seinen kränkelnden Kastanien zwischen Bessarabischem Markt und Majdan-Platz - hin- und hergerissen zwischen westlichen Glitzerläden und sowjetischem Klassizismus-Protz.
"Kiew ist so sicher wie jede andere Großstadt in Europa"
Die Christ-Geburt-Kirche am Flusshafen oder der Andreassteig in der angegrauten Unterstadt Podil mit ihren Kleinkunstständen - Kiew bittet zum staunenden Flanieren. Die Andreaskirche aus dem Jahr 1744 ist ein Schmuckkästchen in Gold und Türkis, lustvoll barock inszeniert. Die Kuppeln des Michaelsklosters gleißen im Sonnenlicht. Fast wäre der Komplex ein Opfer sowjetischer Zerstörung geworden. Wie der Platz dann hätte aussehen können, zeigt der Bau des Außenministeriums, in dem bis 1990 das Zentralkomitee der Kommunisten residierte.
Nur wenige Hundert Meter entfernt breitet sich die Sophienkathedrale, die ehemalige Residenz des Metropoliten, aus - als Museum seit 1990 Unesco-Weltkulturerbe. Ihre Fresken und Mosaike zeugen von der reichen, bewegten Geschichte des Landes „am Rande“ (Ukrajina - von u kraj - bedeutet Grenzland). Nicht zuletzt gehört ein Besuch des Höhlenklosters mit mehr als 70 Gebäuden aus acht Jahrhunderten zu jeder Rundfahrt.
Aber Kiew lebt nicht nur in der Vergangenheit. Auf den Straßen sind die Haare der blonden Frauen so lang wie ihre Röcke kurz. In der Nobel-Disco D Lux reiht sich abends die Jeunesse dorée zwischen deutschen Luxuskarossen in die lange Schlange vor dem Eingang ein. Im Buddha-Club geht es handfester zu - wie in vielen Clubs und Kneipen.
„Was du willst, alles ist hier möglich“, sagt der Österreicher Christoph G. Ganster, der seit einem halben Jahr das Fairmont-Hotel führt. Natürlich hat auch der 36-Jährige mit Behördenwillkür, Zollschikanen, Korruption oder verschleppten Arbeitserlaubnissen zu tun. 36 Hotelangestellte kümmern sich allein um die Sicherheit. Aber Ganster sagt: „Touristen bekommen von dem nichts mit. Kiew ist so sicher wie jede andere Großstadt in Europa.“
Und so können sie kommen, erst die Fußballfans, danach die Touristen.
Anreise
Flug nach Kiew mit Ukrainian Airlines, www.flyuia.com, von Frankfurt (ab 227 Euro) oder von Berlin (ab 312 Euro). Mit Lufthansa ab Frankfurt (ca. 538 Euro, www.lufthansa.com).
EM 2012
Erstmals seit 1976 (damals in Jugoslawien) findet wieder eine EM-Endrunde im Osten Europas statt. Im Gegensatz zur EM 2008 in Österreich und der Schweiz wird die Endrunde in Polen und der Ukraine keine EM der kurzen Wege - die Entfernung zwischen den einzelnen Spielstätten beträgt bis zu 1600 Kilometer. Ticketportal der Uefa: ticketing.uefa.com.
Reiseangebote inklusive Eintrittskarten gibt es bei Dertour, dem lizenzierten Veranstalter für Deutschland, www.dertour.de, oder beim Sportreiseveranstalter Vietentours, www.vietentours.com.
Länderinfo
Die Ukraine hat 46 Millionen Einwohner, in Kiew leben ca. 2,8 Millionen. Staatssprache ist Ukrainisch, über 50 Prozent der Bevölkerung sprechen Russisch.
Auskunft
Hotels in verschiedenen Preisklassen, Restaurants und andere touristische Infos: www.kiev.info.