Istriens geheimnisvolle Unterwelt
Porec - Durch den Spaghettisaal zur weißen Madonna: Nahe dem Küstenstädtchen Porec kann man bei einem Ausflug tief in den Untergrund Istriens hinab steigen
Ein lauschiges Freiluftcafé mit Bänken und Tischen unter schattenspendenden Bäumen empfängt uns nach der kurzen Fahrt vom Küstenstädtchen Porec hinauf zum Dorf Nova Vas. Flatternd kündigt eine weiße Fahne die Tropfsteinhöhle Baredine an. Doch wo ist die Höhle? Zu sehen ist nur ein flaches Feld voller Weingärten und ein kleiner Hügel, auf dem ein Dutzend Leute vor einem Zaun Schlange steht. Ein Führer mit Taschenlampe öffnet die Tür - und einer nach dem anderem verschwindet vom Erdboden.
Die Tropfsteine werden immer länger
Die Jama Baredine ist keine klassische Höhle mit einem horizontalen Gang wie die meisten anderen Schauhöhlen, sondern eine Schachthöhle. Und für die Kinder ist sie erst einmal nur ein großes Loch in der Erde. Doch schon 15 Meter tiefer stehen sie staunend in der Eingangshalle: Zehn Meter ist sie hoch und gut 15 Meter lang. Weiter geht es, tiefer hinunter zum Roten Saal. Die Tropfsteine über uns und an den Wänden werden immer länger. Versteckte Lampen lassen sie rot schimmern, andere sind schneeweiß und scheinen von innen heraus zu leuchten.
Geduckt zwängen wir uns an einem Felsbrocken vorbei und kommen in einen Wald aus von der Decke hängenden Stalaktiten und vom Boden wachsenden Stalagmiten. Im Spaghettisaal hängen sie als dünne Röhrchen von der Decke, dann baut sich der weiße Turm von Pisa vor uns auf. Im vierten Saal bilden einhunderttausend Jahre alte dünne Tropfsteinfahnen einen weißen Vorhang mit zehn Meter Länge.
Steil führt die Eisentreppe weiter hinab.
Wie tief mögen wir wohl unter der Erde sein? Fast 60 Meter, meint der Führer. Und als ich erkläre, dass das so tief ist, wie zehn Häuser aufeinander gestellt hoch sind, schauen die Kinder etwas ungläubig und misstrauisch zugleich nach oben. Doch nicht lange. Denn der Figurensaal, der letzte und tiefste Höhlenraum, setzt den Höhepunkt.
Zweieinhalb Meter hoch ragt vor uns der "Schneemann" auf, ein mächtiger weißer Tropfstein. Daneben steht, noch weißer, die "Madonna". Durch den kleinen See um sie herum wirkt das Bild noch märchenhafter. In einer kleinen Schale davor liegt regungslos ein weißes längliches Tier, ein Grottenolm. Er lebt ausschließlich in der Dunkelheit von Karsthöhlen, erklärt der Führer, kann nicht sehen und hundert Jahre alt werden. Erst als er weiter erzählt, dass früher die Menschen glaubten, Grottenolme seien Drachenbabys, nehmen die Kinder ihn genauer in Augenschein.
Nach knapp einer Stunde hat uns die Sonne wieder.
Die Kinder schwärmen aus zum Eselreiten und zum Klettern auf den Traktoren der kleinen Ausstellung mit Ackergeräten. Das ist die Gelegenheit für ein Glas Rotwein in aller Ruhe. Die dauert allerdings nicht lange. Aufgeregt kommen die Kinder vom Spielplatz zurück: "Da hinten kann man an einem Seil in eine Höhle klettern. Das wollen wir auch." Und sie zerren mich zu einem tiefen Loch, an dessen Wänden bereits Wagemutige mit Helm und Klettergurt an einem Seil baumeln. Wie die Höhlenforscher lassen sie sich mit der so genannten Single-Rope-Technik die senkrechte Wand hinunter, während sie sich mit den Füßen an ihr abstützen.
Na ja, für Kinder ist das wohl nichts. Da taucht plötzlich von unten ein Mädchen auf und klettert die Wand wieder hoch. Kurz taxiert der Kletterguide meine beiden Kinder. Sie sind noch ein bisschen zu klein. Aber ich könnte es doch versuchen, meint er und erntet Jubelschreie von den Kindern. Mit einem flauen Gefühl im Magen stehe ich kurz darauf am Abgrund, gesichert mit einem Karabinerhaken. Mit dem Rücken zum Höhlenschacht und den Füßen zur Wand hänge ich hoch über dem Höhlengrund. Das Seil hält. Hoffentlich funktioniert auch die Klemme, mit der man kontrolliert das Seil nachlassen kann. Nach ein paar Metern ist die Angst weg und ich "laufe" zügig die Wand hinunter. Wieder hinauf kostet es ein paar Schweißtropfen. Aber dafür bin ich dann, oben angekommen, für die Kinder ein kleiner Held - und für mich selbst auch.
Rainer Krause
Weitere Informationen zur Jama Baredine
Die Höhle Baredine liegt etwa sieben Kilometer östlich von Porec beim Dorf Nova Vas und ist von April bis Oktober täglich geöffnet. Über rund 230 Stufen geht es etwa 66 Meter tief in den Karst, die einfache Wegstrecke beträgt 150 Meter. Der Höhlenbesuch mit Führung dauert etwa 45 Minuten und kostet für Erwachsene 40 Kuna (5,50 Euro), für Kinder 25 Kuna (3,45 Euro). Das "Speleoclimbing", die Klettertour am Seil, kostet 40 Kuna (5,50 Euro), die Ausrüstung ist im Preis enthalten. Angeboten werden auch Höhlenexkursionen. Die Mitglieder des Höhlenvereins Proteus steigen dabei nach einer Einführung in die Klettertechnik mit einer Gruppe in eine noch unerschlossene Höhle hinab. Die Exkursionen dauern etwa fünf Stunden und kosten 350 Kuna (48 Euro) für Erwachsene und 250 Kuna (34,50 Euro) für Kinder inklusive Ausrüstung und Teilnahmezeugnis.
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