Istanbul: Die Offenherzige
Istanbul - Wer freitagnachts gegen halb zwölf die hippe europäische Altstadtseite von Istanbul nahe der Galata-Brücke erobern möchte, um eine der zahllosen Kneipen, Clubs und Bars zu besuchen, muss Geduld mitbringen. Sehr viel Geduld. Die Straßen rundherum sind total verstopft. Überall hupende Autos und voll besetzte gelbe Taxis, aus denen auch bei noch so frostigen Frühjahrstemperaturen junge smarte Männer und junge Frauen in atemberaubend kurzen Röckchen und High Heels hüpfen - ohne Strumpfhosen, versteht sich. It’s Partytime in der Metropole am Bosporus - mit 13,7 Millionen Einwohnern Platz vier unter den bevölkerungsreichsten Städten der Welt. Hier wird einem nichts geschenkt. Sich amüsieren zu gehen, ist fast genauso anstrengend wie morgens zur Arbeit zu fahren. Fremdenführerin Zümrüt, was so viel wie Smaragd bedeutet, braucht zum Beispiel mit dem Auto von ihrem Wohnviertel auf der asiatischen Seite der Stadt (wo ein Drittel von Istanbuls Bevölkerung lebt) bis zum Galata-Turm an der gleichnamigen Brücke auf der europäischen Seite in der Rushhour locker zweieinhalb Stunden - für etwas mehr als 25 Kilometer. Stop and Go, mehr ist nicht drin.
Dafür wirkt die in Köln aufgewachsene Türkin, die sich bei der Erkundung von Istanbuls bedeutenden Sehenswürdigkeiten als unverzichtbar erweist, immer erstaunlich gelassen. Zümrüt ist ein wandelndes Lexikon und versteht es, Touristen diesen riesigen, rund um die Uhr pulsierenden Organismus in kleinen appetitlichen Häppchen näherzubringen. Denn es kann einem schon angst und bange werden, wenn die Schlange wartender Besucher etwa vor der prächtigen Hagia Sophia, einst Kirche, dann Moschee und heute Museum, um zehn Uhr morgens bereits mehrere Hundert Meter lang ist. Die Fremdenführerin darf wie ihre Kollegen mit angemeldeten Gruppen direkt zum Ticketschalter und die Eintrittskarten holen - das spart locker eine Dreiviertelstunde Anstehen an der Kasse. Wer in dieser Stadt etwas sehen möchte, darf Menschenmassen ohnehin nicht fürch ten. Und zu sehen gibt es viel: den Topkapi -Palast, in dessen unzähligen Museumsräumen sich unter anderem zahlreiche Reliquien wie der Stab Mose oder diverse Stücke vom Bart des Propheten Mohammed befinden, die unterirdische Zisterne Yerebatan mit ihren 336 Säulen, aber zum Beispiel auch die Sakirin-Moschee in Üsküdar auf der asiatischen Seite Istanbuls - sie wurde, in der Türkei bisher einzigartig, von einer Frau gestaltet, der türkischen Designerin Zeynep Fadillioglu.
Im ersten Halbjahr 2012 kamen 4,2 Millionen Touristen
Istanbul wird immer beliebter bei Kunst- und Kulturinteressierten, Weltenbummlern und Kreuzfahrttouristen - vor allem bei deutschen Urlaubern. Im ersten Halbjahr 2012 kamen 4,2 Millionen Touristen, 18,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor im selben Zeitraum. Und es werden immer mehr. Das Flugzeug gehört zu den Hauptreisemitteln der Besucher. Im Norden Istanbuls plant die Türkei nun einen dritten Flughafen, der mit 150 Millionen Passagieren dreimal so viele Fluggäste abfertigen wird wie der größte deutsche Flughafen in Frankfurt; er soll 2017 seinen Betrieb aufnehmen. Doch auch der Seeweg holt auf: An der europäischen Seite des Marmara-Meeres entsteht ein neuer Hafen für Kreuzfahrtschiffe. Das Großprojekt „Istanbul Seaport“, rund 700 Millionen Euro teuer, soll nicht nur dazu beitragen, die Zahl der Transitreisenden zu erhöhen, Istanbul soll zu einem Ausgangshafen (Homeport) für internationale Kreuzfahrten ausgebaut werden. Besonders die Kreuzfahrtreisenden - drei bis vier Ozeanriesen liegen stets gleichzeitig im Hafen - sind sofort als solche zu identifizieren: „Die Gäste der ,Aida‘ sind die einzigen Menschen, die man in Istanbul sonntags in Gruppen mit dem Fahrrad fahren sieht“, berichtet Zümrüt mit leicht spöttischem Unterton, „eigentlich ist das hier lebensgefährlich, es gibt ja praktisch keine Radwege.“ Türken würden generell nicht gerne Fahrrad fahren oder wandern, sagt Zümrüt augenzwinkernd.
„Wir waren ursprünglich ein Nomadenvolk, wir haben das Umherziehen satt und sitzen lieber gemütlich am Grill.“ Oder gehen Fische fangen: An der doppelgeschossigen Galata-Brücke stehen abends bei jedem Wetter Hunderte Männer mit ihren Angeln am Brückengeländer, ein ungewöhnlicher Anblick mitten in der Stadt. In der Ebene darunter gibt es Imbissstände, es ist immer viel Betrieb hier. Wer beim türkischen Essen übrigens vorwiegend an Döner und Fritten denkt, der ist auf dem Holzweg. International wie die Bevölkerung Istanbuls ist auch ihre Gastroszene. Crossover- oder Fusion-Küche heißen die Stichworte, die Grenzen zwischen Kochstilen aus aller Welt verschmelzen hier zu abenteuerlichen neuen Geschmacksexperimenten.
Schon mal finnisch-türkisch gespeist? Eben. Das kann man im 18. Stockwerk des Hotels Marmara Pera mit grandiosem Blick auf Bosporus und Goldenes Horn, der rund sieben Kilometer langen, in die Stadt hineinragenden Bucht des Bosporus, im Restaurant Mikla. Auszug aus der Speisekarte: Luftgetrocknetes Rinderfilet mit Humus (würzige Kichererbsenpaste) und „Birdshit“-Creme, hinter der sich eine aromatische Paste aus unreifen Pistazien verbirgt. Doch kann man ebenso gut in einem Lokal wie dem Eminönü Hamdi mit traditionellen (günstigen) türkischen Gerichten schlemmen oder im Restaurant Matbah authentische ottomanische Küche genießen. Und wer immer noch nicht genug hat, der kauft sich im Großen Basar Baklava ein vor Zuckersirup triefendes, mit gehackten Mandeln oder Pistazien gefülltes Gebäck - und trinkt gleich noch einen starken türkischen Mokka dazu. So schmeckt Istanbul für jede/n anders, aber immer köstlich.
Anreise
Zum Beispiel mit Turkish Airlines, www.turkishairlines.de , direkt ab Stuttgart, München oder Frankfurt nach Istanbul, ab ca. 250 Euro. Günstige Istanbul-Flüge auch bei Germanwings, www.germanwings.com .
Unterkunft
Hotel Marmara Pera, zentral im historischen Trendviertel Beyoglu, hipper 70er-Jahre-Retro-Schick, www.themarmaracollection.com , DZ/F ab 149 Euro;
Night-out-Paket für Nachtschwärmer: Ü/F im DZ, zwei Eintrittskarten für die Babylon Lounge, Late-Check-out, ab 134 Euro, ab einem Aufenthalt von zwei Nächten buchbar.
Sultanahmet Palace Hotel, feines Boutiquehotel, www.sultanahmetpalace.com , DZ/F ab 230 Euro;
Ayasofya Mansions, restaurierte Holzhäuser hinter der Hagia Sophia, www.ayasofyakonaklari.com , DZ/F ab 110 Euro (Nebensaison).
Allgemeine Informationen
Türkisches Kultur- und Tourismusbüro, Baseler Str. 35-37, 60329 Frankfurt, Tel. 069 / 23 30 81; www.istanbul-tourist-information.com (deutsch), www.goturkey.com (englisch), english.istanbul.gov.tr (englisch).
Sehenswürdigkeiten
Hagia Sophia, erst byzantinische Kirche, dann Moschee, heute Museum, www.hagiasophia.com ; Sultan-Ahmed-Moschee („Blaue Moschee“), de.wikipedia.org ; Topkapi-Palast, ehemaliger Wohn- und Regierungssitz der Sultane sowie Verwaltungszentrum des Osmanischen Reiches, www.eslam.de .
Einkaufen: Shoppingmeile Istiklal Caddesi, de.wikipedia.org/wiki/Istiklal_Caddesi ; spätantike Zisterne Yerebatan („versunkener Palast“), de.wikipedia.org/wiki/Cisterna_Basilica .
Essen und Trinken
Restaurant Mikla, edel, finnisch-türkische Fusion-Küche, wunderbarer Rundum-Ausblick, www.miklarestaurant.com ; Matbah, ottomanische Küche, www.matbahrestaurant.com ; Hamdi, traditionelle türkische Küche, www.hamdirestorant.com.tr .
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