In Michels Schuppen

Der Kinderbuch-Klassiker „Michel aus Lönneberga“ von Astrid Lindgren wird 50 Jahre alt. Ein Besuch auf Katthult im Småland.
Petr Jerabek aus Vimmerby |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Vimmerby - Es ist, als könnte Michel jeden Moment vorbeilaufen. Als könnte er gleich zum Tischlerschuppen rennen oder seine Schwester Ida am Fahnenmast hochziehen. Schon auf dem Weg vom Parkplatz zu dem kleinen fernsehbekannten Hof ist man mittendrin in der Welt des liebenswerten schwedischen Lausejungen. Saftige Weiden, ein paar Birken und ein alter småländischer Weidenzaun säumen den Weg.

Zwischen den Bäumen ist bereits das malerische rote Holzhaus zu sehen. Seit vor mehr als vier Jahrzehnten in Gibberyd die Filme über Michel aus Lönneberga gedreht wurden, ist der Bauernhof für viele Astrid-Lindgren-Fans zum Reiseziel geworden. Tausende Menschen aus aller Welt pilgern Jahr für Jahr in das Dorf, etwa 25 Kilometer westlich von Lindgrens Geburtsstadt Vimmerby. Dieser Sommer ist für Michel-Anhänger ein besonderer - der Junge mit dem Engelsgesicht, der jede Menge Unheil anrichtet, wird 50 Jahre alt: 1963 erschien in Schweden das erste Michel-Buch. Ein Jubiläum, das in Lindgrens und Michels Heimat Småland ausgiebig gefeiert wird. Wobei die Schweden einen Jungen namens Emil hochleben lassen.

Eine Verwechslung sollte vermieden werden

Michel heißt er nur in der deutschen Übersetzung, weil der Verlag eine Verwechslung mit Erich Kästners „Emil und die Detektive“ vermeiden wollte. Der Erfolg der Michel-Bücher und -Filme wirkt sich in Småland längst auf die Realität aus: An der Straße nach Gibberyd weisen mittlerweile Schilder den Weg nach „Katthult“. Der kleine, gepflegte Hof inmitten typisch småländischer Natur ist in Privatbesitz und bewohnt, doch von Mitte Juni bis Mitte August dürfen Besucher in Michels Idyll eintauchen: im Tischlerschuppen die Holzmännchen an den Wänden betrachten, die Michel während seiner Strafaufenthalte hier geschnitzt haben könnte. Im alten Klohäuschen sitzen, in dem der Junge seinen Vater eingesperrt hat.

Oder am Gatter stehen, an dem sich der pfiffige Michel so manche Krone verdiente, wenn er es für vorbeifahrende Bauern öffnete. Während die Erwachsenen in Kindheitserinnerungen schwelgen und das Haupthaus von allen Seiten fotografieren, zieht es den Nachwuchs zu den Tieren: In einem Freigehege tummeln sich Hühner, hinter dem Weidenzaun grasen Kühe, es gibt Schweine sowie ein begehbares Kaninchengehege. Beim Besuch des Hofladens verwandelt sich anschließend manch kleiner Besucher in Michel - und marschiert mit blauer Schildmütze zurück zum Parkplatz.

So nachhaltig Gibberyd durch die Filme das Michel-Bild geprägt hat, so wichtig war der Hof Näs in Vimmerby für die Entstehung der Bücher. Hier ist Astrid Lindgren geboren und aufgewachsen, mit ihren Geschwistern über Wiesen und durch Wälder gezogen und hat selbst den einen oder anderen Streich ausgeheckt. „Ihre Kindheit, das Spielen hier in Näs, ihr Elternhaus - all das hat Astrid zu ihren Büchern inspiriert. Das ist das Herz vieler Geschichten“, erläutert Anna Aspenskog vom Kulturzentrum „Astrid Lindgrens Näs“. Hier erzählte Lindgrens Vater Samuel August Ericsson der Tochter von seiner Kindheit.

„Viele dieser Erzählungen finden sich in den Michel-Büchern“, sagt Aspenskog. Den vielfältigen Verflechtungen zwischen Wirklichkeit und den Geschichten geht zum Jubiläum eine Sonderausstellung mit dem Titel „Der Weg zu Michel“ nach, die von Mitte Juni an in Näs zu sehen sein wird. „Für jede Person gibt es ein Vorbild in der Wirklichkeit“, betont Aspenskog. „Viele Dinge, die uns in den Büchern nur verrückt erscheinen, sind wirklich passiert.“ Und passiert sind sie überwiegend hier, in und um Näs. In Lindgrens originalgetreu eingerichtetem Elternhaus, das im Rahmen von Führungen besichtigt werden kann. Auf den Wiesen rund um 200 Jahre alte Ulmen, in den Scheunen und Schuppen. Vielleicht kletterte schon die kleine Astrid genau auf jenen Baum, von dem heute ein mehrere Meter langes Seil hängt, an dem sich Kinder geschickt in die Krone hangeln.

Mehr als die Hälfte reist aus Deutschland an

Gleich daneben balancieren Mädchen auf Baumstämmen, die zu einem Nicht-den-Boden-berühren-Parcours angeordnet sind. Im Tischlerschuppen ein paar Schritte weiter können Kinder wie Michel nach Herzenslust schnitzen - und stellen dabei fest, wie schwer es ist, ein ansehnliches Holzmännchen hinzubekommen. Neben den historischen Gebäuden steht ein moderner Pavillon, in dem eine multimediale Ausstellung in Astrid Lindgrens Leben und Werk einführt. Sowohl Audioguides für die Dauerausstellung als auch Führungen durch das Geburtshaus werden auch in deutscher Sprache angeboten: Besucher aus Deutschland sind hier ohnehin in der Überzahl, wie Aspenskog erzählt.

Von den insgesamt 60 000 Gästen im vergangenen Jahr seien mehr als 30 000 aus Deutschland angereist. „Wir hoffen, dass dieses Jahr vielleicht sogar 40 000 Deutsche kommen.“ Während viele Ortsbezeichnungen in den Astrid-Lindgren-Büchern fiktiv sind, gibt es bei Vimmerby tatsächlich ein Dorf Lönneberga. Lindgren war noch nie dort, als sie die Michel-Geschichten schrieb, aber der Name gefiel ihr. Somit hat das Dorf mit den Büchern im Grunde nichts zu tun, auch wenn am Ortseingang vor 15 Jahren ein Tischlerschuppen samt großer Michel-Holzskulptur aufgestellt wurde.

Immer wieder hält ein Auto auf dem angrenzenden Parkplatz, Kinder werden rasch mit der Michel-Skulptur fotografiert - keine fünf Minuten später braust die Familie schon wieder davon. Deutlich mehr Zeit mitbringen sollte man für den Besuch von „Astrid Lindgrens Welt“ in Vimmerby. Der Freizeitpark lockt nicht mit Fahrgeschäften. Hier werden dank Dutzenden Schauspielern Lindgrens Bücher lebendig: An der nachgebauten Mattisburg befreit Ronja ihren Freund Birk, neben der Villa Kunterbunt mischt Pippi den Kaffeeklatsch der Familie Settergren auf, und vor einem Katthulthof im Kleinformat steckt Michel den Kopf in die Suppenschüssel.

Zum Michel-Jubiläum eröffnet Schwedens größter Theaterpark am 16. Juni eigens ein neues Zuhause für den Lausejungen: ein großes „Neues Katthult“ - mit Tieren, typisch småländischer Natur und einem Spielschuppen. Ein bisschen so wie das Film-Katthult in Gibberyd - nur dass einem hier tatsächlich Michel und seine Familie über den Weg laufen.


 

Anreise
Lufthansa von Frankfurt oder München nach Stockholm-Arlanda ( www.lufthansa.de ). Von dort sind es 335 Kilometer nach Vimmerby. SAS fliegt von Stuttgart, München und Frankfurt nach Kopenhagen ( www.flysas.com ), bis Småland noch 355 Kilometer.

Unterkunft
Am Marktplatz von Vimmerby liegt das Best Western Vimmerby Stadshotell ( www.vimmerbystadshotell.se , DT/F ab 185 Euro). Ideal für Familien mit Kindern ist Nybble Gård: ein idyllischer Bauernhof mit Familienherberge ( www.nybble.se , Zimmer mit vier bis sieben Betten und Gemeinschaftsbad für 82 bis 93 Euro, Zimmer mit eigenem Bad für 105 Euro).

„Astrid Lindgrens Welt“ verfügt über ein eigenes Feriendorf mit Chalets und Wohnmobil-Stellplätzen ( www.alv.se , ab 220 Euro)

Allgemeines
Schwedische Touristeninformation: www.visitsweden.de , Tel. 069 / 22 22 34 96.

Tourismusbüro von Vimmerby: www.vimmerbyturistbyra.se

Informationen zum Katthulthof (auch auf Deutsch): www.katthult.se .

Astrid Lindgrens Geburtshaus: www.astridlindgrensnas.se .

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.