Harte Briten geh'n im Winter ins Wasser

In dem Seebad an der englischen Südküste baden die Schwimmer eines alten Traditionsclubs bei jedem Wetter - sogar jetzt.
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Palace Pier im Seebad Brighton
srt 2 Palace Pier im Seebad Brighton
Mitglieder des Brighton Swimming Clubs bei ihrer Lieblingsbeschäftigung
srt 2 Mitglieder des Brighton Swimming Clubs bei ihrer Lieblingsbeschäftigung

Brighton - In dem Seebad an der englischen Südküste baden die Schwimmer eines alten Traditionsclubs bei jedem Wetter - sogar jetzt.

"Und?", fragt David Sawyer in den Sturm. Während er noch auf die Antwort warten muss, fangen seine Augen schon an zu leuchten. Wieder einmal wird er auch an diesem Morgen der beste Schwimmer von allen gewesen sein. Er, mit seinen 67 Jahren nicht gerade der Jüngste, wegen seiner Arthritis schon seit Jahren über einen Stock gebeugt. Doch dieser David Sawyer existiert nur an Land, denn im Wasser wird er zum Fisch. Sawyer ist längst wieder angezogen und steht abgeschirmt vor den Kabinen des Brighton Swimming Club, als sein Kollege Paul Smith noch fröstelnd gegen den Regen anläuft. Sawyer war es, der noch weit vor sieben Uhr in der Früh als erster im Wasser war und dort das Palace Pier, diese Kirmes auf Stelzen an der Küste Brightons, umschwamm: hin auf der Ostseite, zurück auf der Westseite. Ganz einfach, als sei es nichts.

Durchtrainiert bis in den kleinen Finger

"Nein, keine Chance", muss hingegen Smith auf Sawyers Frage gestehen, als er endlich ankommt. Er habe sich heute einfach nicht zur Umrundung aufraffen können. Die beiden Männer, Smith einen Kopf größer als Sawyer und als Schwimmlehrer durchtrainiert bis in den kleinen Finger, blicken auf die englische See, in der sich die Wellen an diesem Morgen schon weit vor dem Pier schäumend im Wind brechen - nicht die besten Bedingungen für ihre allmorgendliche Schwimmübung, da sind sich die beiden einig. Doch für sie noch lange kein Grund, um mit der guten alten Tradition zu brechen.

Eine Stadt der Exzentriker

Das Seebad Brighton an der englischen Südküste hat seit jeher den Ruf, eine Stadt der Exzentriker zu sein. Und diese Extravaganz kam von ganz oben ans Meer, denn es war der damalige Kronprinz, der sich dort Anfang des 19. Jahrhunderts ein Lustschloss baute, das in der britischen Architektur nicht nur zu jener Zeit seinesgleichen suchte. Der Royal Pavilion ganz in der Nähe des Piers ist ein exotisches Fantasiegebilde in indisch-chinesischer Üppigkeit, der bald Ort rauschender Gelage wurde. Und so folgte dem lebensfrohen Prinzen an den Wochenenden und in den Ferien schnell die feine Gesellschaft Londons in das Seebad: um dort all das zu tun, was sie sich Zuhause niemals getraut hätte. Bis heute blieb Brighton so in den Köpfen vieler der Urlaubsort für ein "Dirty weekend", ein liederliches Wochenende, an dem man ein wenig über die Stränge schlägt und für ein paar Tage neben der Spur leben kann. Mit diesem Image jedenfalls ist Brighton zu Englands Touristenziel Nummer eins geworden.

Seit 150 Jahren werfen sie sich in Brightons Fluten

Mitten in diesem sinnenfrohen Gewusel war es der Ur-Ur-Ur-Großvater von David Sawyer, der hier 1860 Großbritanniens ältesten noch immer bestehenden Schwimmklub gründete. Und seit fast 150 Jahren werfen sie sich so in Brightons Fluten: Nicht nur an den milden Sonnentagen, an denen es ihnen viele gleichtun, sondern zu jeder Jahreszeit, bei jeder Temperatur und jedem Wetter.

Drahtig, agil und mit leuchtenden Augen

500 Mitglieder sind sie auf dem Papier, "von denen die meisten dann aber doch das Hallenbad bevorzugen, gerade im Winter", sagt Sawyer - und der wahre, harte Kern, das seien eben sie: 20 Freidenker, die jeden Morgen die Straßen Brightons hinunter zum Pier strömen und sich in den von der Zeit mitgenommen Kabinen umziehen. Hinter verdrahteten Fenstern, die die kleinen Räume auch jetzt im Winter nur wenig wärmer als die Umgebung werden lassen. "Eigentlich die beste Vorbereitung für das eisige Wasser", sagt Yvonne Luna. Sie ist eine der wenigen Frauen an diesem stürmischen Morgen. Drahtig, agil, mit leuchtenden Augen, sieht sie wie fast alle hier deutlich jünger aus, als sie wirklich ist. Und wie fast alle, wird auch sie selbst bei Minusgraden so gut wie nie krank. Ist es also das Eiswasser, das schützt und konserviert? "Ich denke, wir sind einfach junge Geister, sonst kämen wir nie auf die Idee, so etwas überhaupt zu tun," meint Luna. "Das konserviert", sagt sie. Und zwinkert.

Da draußen ist jeder für sich allein

Wer selbst einmal mitschwimmen möchte, sollte nur ein sicherer Schwimmer sein. Zwar tragen alle bunte Badehauben, um sich möglichst ein wenig im Auge behalten zu können, aber das ist in der rauen See manchmal gar nicht so leicht "Da draußen ist letztlich doch jeder für sich allein", sagt Paul Smith. Während David Sawyer schon längst wieder nach Hause gehumpelt ist, geht es für den Rest der Gruppe, als alle wieder angezogen sind, dann noch in eines der Cafés von Kemp Town. Zwei Querstraßen von der peitschenden See entfernt wärmen sie sich an dampfenden Kaffees. Wie jeden Morgen, noch vor der Arbeit. Für sie der perfekte Einstieg in den Tag.

Stefanie Adamzcyk

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