Gotland: Kalk erwischt

Gotland ist ein Kalksteinplateau, das sich nach der letzten Eiszeit aus der Tiefe erhoben hat.
Olaf Tarmas aus Visby |
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Visby - Im Sommer kommen die Null-Achter. 08, das ist die Vorwahl von Stockholm, in Schweden aber auch eine Rohrzange, bei der sich die Backen besonders weit öffnen. Die Null-Achter, das sind die Leute vom Festland, die aus der Hauptstadt, die immer so viel reden und essen und trinken. Sie kommen nach Gotland, weil sie dort finden, was sie daheim nicht haben: Ruhe, Weite - und Sonne, viel mehr Sonne als im Rest von Schweden. Die Festland-Schweden und wir - zwei Welten, so sehen das viele Gotländer. So sieht es auch Verena Harbort, obwohl sie selbst noch gar nicht so lange auf der Ostseeinsel lebt. 2005 erst ist sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter aus Kiel hierhergezogen. Für sie war es die Verwirklichung eines Traums: ein Leben außerhalb der Stadt, in einer intakten Dorfgemeinschaft, inmitten von Wäldern, Weiden und betörenden Meerblicken. Verena Harbort war so begeistert von „ihrer“ Insel, dass sie sich um einen Job als Gotland-Guide bewarb.

Dem Faible für solides Handwerk und Gestaltung begegnet man überall

Auch wenn ihr manchmal spitze Bemerkungen über die „Null-Achter“ entfleuchen - im Grunde liebt sie nichts mehr, als Besuchern ihre neue Heimat zu zeigen. Wie zum Beispiel Visby, die alte Hanse- und Hauptstadt Gotlands, in der wir uns treffen. Im Zentrum ist Visby ein ummauertes Dorf geblieben, eine Ansammlung niedriger Holz- und Steinhäuschen, von denen keines die imposante Stadtmauer mit ihren 27 Türmen überragt. Die einzigen Ausnahmen sind die alten „Packhäuser“, ehemalige Lagerhäuser der hanseatischen Kaufleute, die mit ihren stolzen Treppengiebeln bis heute weit über die Ostsee hin sichtbare Wahrzeichen sind. Und die Türme des Mariendoms. Verena Harbort schwärmt von den bauchigen, fein gedrechselten hölzernen Turmhauben der Kirche. Sie versteht etwas davon - Jan, ihr Mann, ist Holztreppenbauer und Feintischler. Gegen Wind und Wetter, so erzählt Harbort, werden die Hauben mit einem speziellen Sud imprägniert, der aus Fichten- und Tannenwurzeln gewonnen wird - „eine lokale Erfindung“, wie Harbort weiß. Sie zeigt den knubbeligen, bei Hitze weichen Teer an einem der benachbarten Bohlenhäuser, ebenfalls eine Besonderheit. „Keinen einzigen Nagel braucht man für den Bau eines solchen Hauses“, erklärt Holzliebhaberin Harbort stolz. „Alles gotländische Stecktechnik!“ Dem Faible für solides Handwerk und Gestaltung begegnet man in Visby überall. In vielen der schlichten Häuschen mit ihren bunten, sorgfältig gearbeiteten Holztüren und den Rosenstöcken vor den Fenstern haben sich Ateliers und kleine Werkstätten eingerichtet. Man findet Goldschmiede, Keramiker und Schafsfell-Designer, die die dunkle Wolle der Gotland-Pelzschafe verarbeiten.

Drumherum Cafés, kleine Galerien und Restaurants - auch die Portemonnaies der „Null-Achter“ können sich besonders weit öffnen. Trotzdem ist Gotland insgesamt erschwinglich und bodenständig geblieben. Außerhalb von Visby erst recht. Auf Schritt und Tritt macht man inmitten der vermeintlichen Inseleinsamkeit überraschende Entdeckungen. In ehemaligen Höfen, in umgebauten Scheunen oder Ställen haben sich Ateliers und Hofcafés eingenistet, wo man vom Bio-Safranpfannkuchen bis zum Fertighaus so manches erstehen kann. Ein echter Gotlandurlaub beginnt für viele ohnehin erst dann, wenn man das beschauliche Visby hinter sich lässt und ein noch beschaulicheres Ferienhaus auf der Insel gefunden hat, in der Nähe der Strände, Steilklippen und Wäldchen. „Kriechwälder“ nennt Verena Harbort die Dickichte aus knorrig-kurzen, windgeformten Kiefern, die auf der ganzen Insel wachsen. Und sie hat einen Tipp für alle, denen Gotland noch nicht abgeschieden genug sein sollte: Farö, die kleine Insel im Norden Gotlands. Nichts als Sonne und Wind, winzige Holzhäuschen, schwarze Schafe - und die berühmten „Raukar“, rätselhaft anmutende Kalksteinsäulen. Die Landschaft der von nur wenigen Menschen bewohnten Insel strahlt, noch mehr als Gotland, etwas Sanft-Entrücktes aus. Spätestens dort findet dann auch der quasseligste Null-Achter zur Ruhe.


Anreise
Direktflüge nach Visby gibt es samstags von Berlin-Tegel mit Air Berlin, www.airberlin.com ; von Stuttgart aus ist in Berlin ein Zwischenstopp. Ansonsten erfolgt die Anreise mit Stopp in Stockholm-Arlanda.

Fähre: Von Nynärshamm bei Stockholm mit Shuttle vom/zum Flughafen, oder von Oskarshamm verkehren Autofähren; Fahrtzeit rund drei Stunden. Die einzige Möglichkeit, nach Farö zu gelangen, ist eine Pendel-Autofähre, die alle halbe Stunde von Farösund auf Gotland ablegt (Fahrtzeit fünf Minuten). Manchmal staut sich dort der Verkehr. Wer mit Fahrrad oder Bus (Linie 20) anreist, kommt schneller an Bord.

Unterkunft
Hübsche Ferienhäuschen am Meer, gebaut aus gotländischen Eichenbohlen, können gebucht werden unter www.borum.nu , sie kosten zwischen 440 und 820 Euro pro Woche. Der beliebteste Spot für einen Strandurlaub ist Sudersand an der äußersten Nordspitze Farös.
Infos dazu unter www.sudersand.se

Allgemeine Informationen
Weitere Informationen, Buchung von Flügen, Fähren und Unterkünften etc unter: www.destinationgotland.se

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