Faulenzen und nicht bewegen!
Zu Hause interessiere ich mich für alles Mögliche. Für die schulischen Leistungen meiner Kinder zum Beispiel. Oder für die Fußball-Bundesliga. Mich interessieren sogar die Details der nächsten oder übernächsten Rentenreform, ich kenne keine Schmerzgrenze. Im Urlaub aber, da bin ich ganz anders. Da werde ich zum Ignoranten. Ich will einfach meine Ruhe. Die Kultur und Geschichte des jeweiligen Landes, in das ich reise, sind mir so was von egal. Werfen Sie von mir aus den ersten Stein auf mich. Das juckt mich nicht, denn auch tote Steine sind mir völlig wurscht.
Ich bin schlimmer als der schlimmste Massentourist. Ich schaue mir keine Kirchen an, keine antiken Theaterstätten und keine Pharaonengräber. Mich kriegt man in keinen Bus, der Sehenswürdigkeiten abfährt. Ich stapfe nicht in sengender Hitze durch staubige Ruinen, um mir von irgendjemandem erklären zu lassen, was früher hier mal so alles los war. Die Sätze „Da muss man mal gewesen sein“ und „Das muss man mal gesehen haben“ verfangen bei mir nicht.
Ich will einfach nur in ein nettes Hotel. Ich will bedient und bekocht werden. Ich will keinen Müll runtertragen, kein Kinderspielzeug vom Boden aufsammeln und keine Wäsche waschen. Dazu vielleicht noch einen Berg oder einen See. Gegen ein Meer habe ich auch nichts einzuwenden. Vor allem aber will ich lesen und möglichst mal nichts, aber auch gar nichts von meinen Kindern und von meinem Chef hören. Kurzum: Ich will die Ruhe, die ich daheim nicht kriege.
Faulenzerhotel. Als ich hörte, dass es in Österreich so etwas gibt, nahm ich sofort Witterung auf. Nichts gegen Sport- oder Wellnesshotels, aber schon vom Namen her klingen die zu anstrengend für einen, der so rein gar nichts tun will – nicht mal sich massieren lassen. Mich braucht keiner zu entspannen, das kann ich selber. Vielleicht haben die Menschen in diesem Faulenzerhotel für einen wie mich Verständnis, dachte ich und drückte ein Auge zu bei deren Slogan: Wir ruhen Sie aus!
Meine Frau, ansonsten für mich ein rätselhaftes Wesen, ist in Sachen Urlaub ganz bei mir. Auch sie hat es am liebsten ruhig. Also fuhren wir los für zwei Tage, ohne Kinder, um uns mal ganz dem Nichtstun hinzugeben. Das Faulenzerhotel liegt im Örtchen Friedersbach im österreichischen Waldviertel – irgendwo zwischen Zwettl und Krems. Näheres kann ich nicht sagen, wir sind blind unserem Navi gefolgt, und zum Nachschlagen bin ich gerade echt zu faul. Am Eingang des Hotels steht eine Sänfte, auf der steht, dass der Gast König sei. Man kann sich damit vom Bahnhof abholen oder abends nach ein paar Gläsern Wein aufs Zimmer tragen lassen. Aber wie kommen die mit uns die Treppe hoch? Schwankt das nicht fürchterlich? Und was würden die anderen Gäste denken?
Wir nahmen die Sänfte als Zeichen dafür, dass man es hier mit dem Ausruhen ernst meint. Aber allein schon der Gedanke, uns vor aller Augen tragen zu lassen wie die hochnäsigen Römer in den Asterix-Comics, verursachte bei uns eine innerliche Anspannung. Und das konnten wir überhaupt nicht gebrauchen. Sänfte? Zu aufregend. Einer der schönsten Momente im Urlaub ist, wenn du nach langer Reise endlich in deinem Hotelzimmer bist, dich angezogen aufs Bett wirfst und weißt, du könntest jetzt einfach hier so liegen bleiben – tagelang. Es sind nicht die schlechtesten Urlaube, die man in einem Hotelzimmer verbringt. Wir waren mal für ein Wochenende in Zell am See. Wir wollten Skifahren, aber es schneite unentwegt. Am Ende reisten wir wieder ab, ohne unsere Skier aus dem Auto geholt zu haben. Ein Skiurlaub ohne Skifahren kann sehr erholsam sein.
Das Waldviertel in Österreich ist eine schöne Gegend. Sanfte Hügel, einige Seen und natürlich viel Wald. Wir hätten gleich mal ein bisschen nach draußen gehen können. Wir hätten aber auch im Hotel herumwandern können, uns an der Rezeption ein iPod ausleihen und uns damit ein Buch vorlesen lassen. Oder uns in den sogenannten Faulenzergarten fläzen mit Liegen, Hängematten, kleinem Teich und so. Aber das, pardon, wäre Faulenzen für Anfänger gewesen. Den Profi erkennt man daran, dass er alles um sich herum zwar wohlwollend zur Kenntnis nimmt, letztlich aber liegen bleibt. Die wahre Erholung ist der Ausflug, an dem du nicht teilnimmst, das Angebot, das du ausschlägst. Man könnte, wenn man wollte. So muss es sein. Gibt es allerdings gar keine Angebote, die man ausschlagen kann, so handelt es sich eindeutig um einen Reisemangel.
Und was haben wir dann die ganze Zeit in diesem Hotelzimmer und auf diesem Bett getrieben? Nicht, was Sie denken! Wir haben gelesen, ein paar SMS geschrieben und über das Faulenzen philosophiert. Was man dazu noch so alles brauchen könnte. Waschlappen im Bad zum Beispiel. Dann müsste man nicht mehr unbedingt duschen, bevor man wieder unter die Leute geht. Wir erörterten auch die Frage, ob ein Frühstücksbüfett für ein Faulenzerhotel angemessen ist. So ein Büfett erfordert viel Laufbereitschaft – und das schon am frühen Morgen. Gott sei Dank konnte man sich in diesem Faulenzerhotel auch das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen, wenn man es rechtzeitig sagte, und zwar bis 16 Uhr. Und das Abendessen wurde serviert. Während wir so philosophierten, bedienten wir uns zwischendurch auch ein bisschen an der Minibar. So ein Vier-Sterne-Standard erleichtert das Faulenzen doch ungemein.
Als wir dann schließlich wieder gehen mussten, lasen wir im Vorbeigehen noch einmal den im Hotelflur aufgehängten Spruch: „Gott hat uns die Zeit geschenkt. Von Eile hat er nichts gesagt.“ Darunter stand, dass es sich hierbei um ein deutsches Sprichwort handle. Wirklich? Noch nie gehört. Das ist kein typisch deutsches Sprichwort, dachte ich, der Sache werde ich auf den Grund gehen. Allerdings erst, wenn ich wieder zu Hause bin.
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