Extra-Schicht und Zechen-Lichtkunst
Essen - Auf in den Pott: Alles was Sie über die Europäische Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet wissen müssen.
Malochende Kumpel, staubige Zechen und jede Menge Kohle - dafür stand das Ruhrgebiet früher. Heute sind die Bergwerke stillgelegt, die Stahlhütten zu Freizeitarenen umgebaut. Dieser Wandel soll 2010 seine Krönung erfahren: Das Ruhrgebiet ist Kulturhauptstadt 2010. Doch was wird man da sehen können? Und wann lohnt es sich besonders hinzufahren? Wir haben es ausfindig gemacht.
Wo findet die Ruhr2010 statt?
Beworben hat sich Essen, stellvertretend fürs gesamte Ruhrgebiet. Erstmals gewann den Titel keine Stadt, sondern eine ganze Region, die mehr als hundert Kilometer lang und siebzig Kilometer breit ist. Das Ruhrgebiet, genauer gesagt der Regionalverband Ruhr, besteht aus 53 Gemeinden mit mehr als fünf Millionen Einwohnern. Die wichtigsten Städte sind (von Osten nach Westen) Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund. Und alle machen mit.
Worum geht es eigentlich?
Die Region präsentiert sich und gleichzeitig die europäische Idee, öffnet also letztlich eine gigantische Wundertüte. Das Motto heißt entsprechend allgemein "Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel". Künstler, Initiativen, Institutionen haben mehr als 2000 Ideen eingebracht - und nun wird gefiltert, was davon finanzierbar ist. Das Spektrum reicht von hoher Kunst bis zur Loveparade (am 17. Juli in Duisburg), von der Eckkneipe bis zur Sterneküche, vom Schrebergarten bis zum Landschaftspark, vom Konzerthaus bis zum Fußballstadion.
Was ist konkret geplant?
Das Programm verändert sich laufend: Ständig entstehen neue Projekte, andere müssen - meist wegen fehlender Finanzierung - beerdigt werden. Aber natürlich ist die Umsetzung einiger Vorschläge bereits fix. Dazu gehört die "Emscherkunst", eine 35 Kilometer lange Ausstellung mit Skulpturen und einem Unterwassergarten entlang der sogenannten Emscherinsel zwischen dem Fluss Emscher und dem Rein-Herne-Kanal. Eine andere Leitidee ist das "Henze-Projekt": eine Hommage von 40 Ensembles für den Komponisten Hans Werner Henze in mehr als 50 Aufführungen - von der Internetoper bis zum Kinderprojekt. Dann gibt es auf der "Route der Wohnkultur" 50 ganz normale Wohnungen von der Zechensiedlung bis zum Designerloft können besichtigt werden. Und bei "Zwei Berge, eine Kulturlandschaft" treffen am Mechenberg bei Gelsenkirchen das Bauernehepaar Budde und Landschaftsarchitekt Paolo Bürgi aufeinander. Ein absolutes Highlight wird sicher auch der David-Chipperfield-Neubau des Museums Folkwang (moderne Kunst) in Essen, der am 30. Januar eröffnet.
Wo fängt man an?
Zur zentralen Drehscheibe für die Besucher wurde die 24-Meter-Ebene der historischen Kohlenwäsche in der Essener Zeche Zollverein ausgebaut. Hinauf führt die längste freischwebende Rolltreppe der Welt. Praktischerweise öffnet im selben Gebäude am 10. Januar auch das neue Ruhrmuseum mit einer großen Revue über Mythen, Bilder und Phänomene des Ruhrgebiets. Darüber hinaus wird es vier weitere Besucherzentren in Oberhausen (Centro), Bochum (Viktoria Quartier), Dortmund (Dortmunder U) und Duisburg (City Palais) geben. An diesen Besucherzentren wird der elektronische Veranstaltungskalender gepflegt, dort gibt es auch Eintrittskarten und Tipps zur Routenplanung.
Gibt es einen roten Faden?
Für den Ruhrgebiets-Neuling bietet sich die schon seit zehn Jahren existierende und entsprechend gut beschriebene "Route der Industriekultur" an. Entlang ihrer Ankerpunkte wie Welterbe Zeche Zollverein, Gasometer Oberhausen und Landschaftspark Duisburg-Nord sieht man die attraktivsten Industriedenkmäler des Ruhrgebiets und trifft ganz automatisch auch auf spannende Events und Ausstellungen, die sich vorzugsweise entlang der Route ansiedeln (www.route-industriekultur.de).
Wie kommt man vor Ort von A nach B?
Ein Problem: Mit dem Auto steht man meist im Stau und die öffentlichen Verkehrsmittel sind rückständig. Immerhin gibt es einen Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, der extra zum Kulturhauptstadtjahr das Ruhr2010-Ticket eingeführt hat. Damit kann man 48 Stunden lang entweder für 19 Euro in einem von sechs Teilbereichen oder für 48 Euro im gesamten Ruhrgebiet Busse und Bahnen benützen.
Wie bereitet man sich vor?
Da geht wohl wenig ohne Internet. Gedruckte Programmpläne sind meist schon inaktuell, bevor die Druckerschwärze trocken ist. Auf der Webseite www.ruhr2010.de wird der zentrale Terminkalender geführt.
Hans-Werner Rodrian
Die wichtigsten Termine!
Und wann ist der beste Zeitpunkt für eine Reise? Die Organisatoren haben sich vorgenommen, dass an jedem Tag mindestens eine Veranstaltung durchgeführt wird. Aber natürlich gibt es einige besondere Highlights.
Am 9. Januar 2010 startet die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 mit einem dreitägigen Kulturfest in Essen.
Vom 28. März bis 27. Mai geht dem Ruhrgebiet ein Licht auf. Eigentlich sind es sogar 60: In so vielen privaten Wohnungen im Landkreis Unna werden unter dem Motto "Open Light in private Spaces" 60 Tage lang Werke der Lichtkunst gezeigt. 60 bekannte Künstlerinnen und Künstler sind zu dem Kunstprojekt eingeladen. Die Aktion soll Auftakt für eine Lichtkunst-Biennale werden.
Am 22. Mai 2010 steigen die "SchachtZeichen" auf: An mehr als 400 ehemaligen Bergbauschächten im gesamten Ruhrgebiet werden dann 80 Meter hoch gelbe Heliumballone aufsteigen und bis 30. Mai die Position markieren. Und überall, wo ein Ballon eine Position markiert, wird am Boden über die Geschichte der Zechen informiert und natürlich auch ein bisschen gefeiert.
Am 4. und 5. Juni erhebt "!Sing" die Stimme. An dieser "musikalischen Bürgerbewegung" kann jeder teilnehmen. Mehr als 600 angemeldete Chöre mit zigtausenden Sängerinnen und Sängern laden Passanten und Bewohner zum Mitsingen ein. Am Abend des 5. Juni gibt es in der Arena Auf Schalke ein großes Abschlusskonzert.
Am 19. Juni findet die "Extraschicht" statt. Diese Nacht der Industriekultur gibt es bereits seit 2001. Im Ambiente stillgelegter Schachtanlagen und aufgelassener Kokereien wird die Nacht zum Tag, bereits ab 18 Uhr gibt es Konzerte, Performances, Ausstellungen an mehr als 50 Standorten.
Am 18. Juli wird unter dem Titel "Still-Leben Ruhrschnellweg" die Autobahn A40 auf 60 Kilometern gesperrt, um das größte und bunteste Straßenfest Europas zu feiern. An 20000 Biertischen erwarten Schulklassen und Kirchengemeinden, Rave-Gruppen und Gospel-Chöre die vorbeiflanierenden Besucher (www.ruhr2010.de/still-leben).
Im Oktober tourt das Melez-Festival durchs Ruhrgebiet: das erste Festival, das sich der Kultur der Gastarbeiter und Migranten in Musik und Tanz, Schauspiel, Literatur und Performance widmet.
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