Es Rentier(t) sich

Umeaa, die Stadt an der schwedischen Nordküste, die auch das „Tor nach Lappland“ genannt wird, ist dieses Jahr Europäische Kulturhauptstadt.
Olaf Tarmas aus Umeaa |
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Wäscheklammer-Skulptur vor der Kunstgalerie „Bildmuseet‘ in Umeaa.
tarmas Wäscheklammer-Skulptur vor der Kunstgalerie „Bildmuseet‘ in Umeaa.

Umeå - „Ümmeo? Wo soll das sein?“ So lautet häufig die Reaktion, wenn von Europas Kulturhauptstadt 2014 die Rede ist. Gerade mal 80 000 Einwohner zählt das schwedische Städtchen, das knapp 200 Kilometer südlich des Polarkreises, am Ufer des Flusses Ümeälven, liegt. Ganz schön klein und ganz schön abgelegen. Selbst in Schweden war das Erstaunen groß, als Umeå sich vor fünf Jahren sehr deutlich gegen Mitbewerber wie das altehrwürdige Lund durchsetzte. Doch in aller Stille hatte sich die Stadt in den Jahren zuvor zu einer Kultur-Bastion in subpolaren Gefilden gemausert: Das international renommierte Jazz- Festival hatte schon früher Größen wie Miles Davis und Nina Simone zu Gast, mit der „Norrlandsoperan“ leistete man sich ein eigenes Opernhaus samt festem Ensemble, und die Universität boomt, allen voran die Fachbereiche Kunst und Design.

Zugegeben: Ein wenig provinziell wirkt die Stadt noch immer, wenn man abends durch die Fußgängerzone schlendert und überlegt, in welche der drei Kneipen man sich setzen soll. Vor den bestenfalls dreigeschossigen Häusern türmen sich Berge geräumten Schnees. Doch gerade die Überschaubarkeit kommt Umeå in seinem Jahr als Kulturhauptstadt zugute: Es herrscht Dorf-Atmosphäre statt Großstadt-Anonymität. Es gibt Kunst und Kultur zum Anfassen ohne die Schwellenängste, wie sie schickere Metropolen leicht auslösen. Zur Eröffnung Ende Januar holten die Macher der Open-Air-Performance den weiten Naturraum der Arktis symbolisch in die Stadt. Wie ein Gruß aus den umliegenden Wäldern muten schon die im Stadtzentrum allgegenwärtigen Birken an - zu Tausenden hat sie die Stadtverwaltung nach einem Brand im Jahre 1888 zwischen die Häuserreihen pflanzen lassen, als Schutz gegen Funkenflug.

„Campus der Künste“

Ohnehin beginnt die Waldwildnis der Västerbotten-Region mitten im Stadtgebiet: „Gammlia“ heißt der von Langlauf-Loipen durchzogene Stadtwald, in dem die Einheimischen gerne Ski fahren. An seinem Rande liegt das Västerbotten-Museum, das zum Kulturjahr ein Zentrum für Dokumentarfotografie eröffnet. Gewidmet ist es dem Fotografen Sune Jonsson, dessen Schwarz-Weiß-Bilder des bäuerlichen Lebens jedem Zuschauer sofort verdeutlichen, wie karg das Dasein vor gar nicht allzu langer Zeit war. Auch die modernen, kantigen Gebäude des „Campus der Künste“, der Universität und der markante, siebengeschossige Turm der „Bildmuseet“-Kunsthalle am Ufer des zugefrorenen Flusses Ümeälven geben sich naturnah, zumindest von außen: Silbergrau schimmern die Paneele aus sibirischer Lärche, mit denen sie verkleidet sind.

„Ein diskreter und wunderschöner Bezug zu den Wäldern ringsum“, freut sich Brita Täljedal, eine Kuratorin der 2012 eröffneten Kunsthalle, die mittlerweile zu den führenden Ausstellungsorten für Gegenwartskunst in Schweden zählt. „Das ,Bildmuseet‘ hat sich zu einem sozialen Treffpunkt entwickelt, auch für Leute, die mit moderner Kunst zunächst nicht viel am Hut haben“, sagt Täljedal. „Das liegt an der fantastischen Aussicht, die man von den oberen Stockwerken hat.“ In der Tat: Der Blick über die Biegung des gefrorenen Flusses in seiner gleißend weißen Winterpracht ist majestätisch. Vor dem Museum ragt eine neun Meter hohe Skulptur einer Wäscheklammer aus dem Schnee wie der vergessene Hausrat eines Riesen.

Acht Ausstellungen moderner samischer Künstler hat Brita Täljedal für das Kulturjahr geplant - entsprechend den acht samischen Jahreszeiten. Denn neben der Nähe zur Natur ist es die Kultur der Samen, die das Programm des Kulturstadt am Rande Lapplands prägen wird. Nicht als folkloristisches Beiwerk, sondern mit ambitionierten Kunst- und Musikprojekten. An der Norrland-Oper soll ein „Sami-Chinese-Project“ aufgeführt werden: Samische Joik-Lieder und Kehlgesänge asiatischer Völker gehen in der aufwendigen Performance eine Verbindung ein. Der Rathausplatz im Zentrum der Stadt soll sich gar in ein samisches Lager verwandeln, in dem traditionelle und avantgardistische Elemente sich ergänzen - am Computer entworfene, recycelbare Nomaden-Behausungen, in deren Mitte Holzfeuer lodern.

Den Kräften der Natur kann man sich nicht entziehen

Nicht jeder in Umeås Kulturszene teilt den Enthusiasmus, mit dem die samische Minderheiten-Kultur nach Jahrzehnten der Diskriminierung nun auf den Schild gehoben wird: „Da hat man wohl nach einem exotischen Aufhänger gesucht“, sagt der Galerist Stefan Andersson, dessen Freiluft-Skulpturenpark internationale moderne Kunst präsentiert. „Mit den samischen Jahreszeiten hat unser Programm nichts zu tun, wir stellen Künstler aus Kuba, England und Schweden aus.“ Den Kräften der Natur indes kann sich auch Andersson nicht entziehen. Manche der Skulpturen in seiner Open-Air-Galerie sind halb im Schnee versunken, andere verlieren sich zwischen den schlanken Birken- und Kiefernstämmen des waldigen Geländes.

Brita Täljedal vom „Bildmuseet“ findet die Schneemassen einfach nur wunderbar. „Es ist doch herrlich, wenn man zwischen den Kulturveranstaltungen den Kopf auslüften und Ski fahren kann“, sagt sie. Ihre Lieblingsjahreszeit dafür ist „Gijrradálvvie“ - das samische Wort bedeutet so viel wie „Frühlingswinter“ und dauert von Ende Februar bis Ende April. „Dann ist es nicht mehr so kalt, die Tage sind strahlend hell, man hört die ersten Vögel. Und trotzdem liegt noch genügend Schnee.“ Gut möglich, dass man die Kuratorin in ihrer Mittagspause im einsamen „Gammlia“-Wald auf Skiern antrifft - bevor es wieder zurückgeht in den kleinen Trubel des „Kulturhauptstädtchens“.


Anreise
Lufthansa, www.lufthansa.com , und SAS, www.flysas.com , fliegen täglich von München über Stockholm nach Umeå. Ab Mitte April gibt es Direktflüge ab Berlin-Tegel mit Malmö Aviation, www.malmoaviation.se .

Unterkunft
Das Hotell Gamla Fängelset beherbergt schon seit 1871 Gäste - als Gefängnis, eines der fortschrittlichsten und humansten seiner Zeit. Liebevoll renoviert dient es heute als Ein-Sterne-Museumsjugendherberge, durchaus mit Hotelqualität, Storgatan 62, DZ ab 70 Euro, www.hotellgf.se

Modern, poppig, zentral: Das 2013 eröffnete Hotel Winn wurde im Hinblick auf Umeås Jahr als Kulturhauptstadt gebaut, DZ ab 120 Euro, www.nordicchoicehotels.se

Allgemeine Informationen
Samische Traditionen und nordische Wildnis bestimmen Umeås Jahr als Kulturhauptstadt. Wenn man schon einmal so hoch im Norden ist, lohnt es sich, die Natur der Västerbotten-Region auf Skiern, Schneeschuhen oder mit dem Hundeschlitten zu erkunden.

Einen besonders schönen Blick in die Waldwildnis hat man aus den Baumhäusern des Mini-Resorts „Granö Beckasin“ am Fluss Ümeälven ( www.granöbeckasin.com ).

Husky-Touren kann man über Hedlunda Husky in Rickleå buchen, www.hedlundahusky.se . Infos zu Umeå und Umgebung: www.visitumea.se . Infos zu „Umeå 2014“: www.umea2014.se

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