Erlebnisse einer Saftschubse

Annette Lies hat ihre Arbeit als Flugbegleiterin in zwei Romanen verarbeitet - Ein Interview.
Susanne Hamann |
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Frau Lies, früher galten Stewardessen als von anderen Frauen beneidete und von Männern verehrte Göttinnen der Lüfte. Heute nennt man sie oft despektierlich Saftschubsen. Was ist da passiert? 
Zum einen ist Fliegen nicht mehr so exklusiv wie früher und für immer mehr Gäste erschwinglich. Zum anderen ist der Bedarf an Flugbegleitern heute so hoch, dass keine utopischen Ansprüche mehr gestellt werden können. Man muss nicht mehr fünf Sprachen sprechen und Krankenschwester sein, sondern kann auch Stewardess werden, wenn man wie ich kleiner ist als 1,85 Meter und brünett. Woher der Begriff Saftschubse kommt, kann ich leider nicht sagen. Meine Flugbegleiter-Generation hat jedenfalls ein sehr ironisches Selbstverständnis und nimmt diese Bezeichnung nicht krumm. Zum Titel meiner Bücher wurde es, um zu zeigen, dass eine Stewardess sehr viel mehr können muss als Saft schubsen.

Die Hauptfigur Charlotte in Ihren Romanen „Saftschubse“ und „Saftschubse – Neue Turbulenzen“ hat sich das Leben als Stewardess trotzdem glamouröser vorgestellt.
Charlotte ist jünger und ein bisschen naiver als ich und wird dann von der Realität enttäuscht. Es kommt sicher auch darauf an, für welche Airline man arbeitet und welche Arbeitskonditionen diese im Einzelnen bietet. Ich hatte Glück und durfte in Luxushotels absteigen, Teilzeit fliegen und auch Gehalt und Spesen stimmten. Und an Weihnachten und Sylvester flog mein Schatz sogar gratis mit. Das wiegt den Stress auf der Strecke auf.

Welche schönen Seiten gibt es noch?
 Das Gefühl, morgens mit vielen Anzugträgern in der S-Bahn zu sitzen, die abends aus dem Büro wieder nach Hause gehen, während man selbst zur selben Zeit vielleicht schon über die Golden Gate Bridge radelt oder Tapas in Barcelona isst. Ein riesiges Privileg. Außerdem führt man interessante Gespräche mit Menschen, denen man sonst nie begegnen würde.

Welche Eigenschaften muss man in Ihrem Beruf unbedingt mitbringen?
Nerven haben wie Drahtseile und eine Engelsgeduld. Vor allem muss man seine eigenen Bedürfnisse – essen, trinken, schlafen, zur Toilette gehen – für bis zu zwölf Stunden komplett zurückstellen und dafür eine gut gefüllte Kotztüte entgegennehmen können. Der souveräne Umgang mit einer gut gefüllten Economy-Class sollte einem h a l bwe g s liegen und man darf keine Angst davor haben einer Amerikanerin zu erklären, dass man leider keine kalorienarmen Eiswürfel mehr da hat.

Und man muss gut Streit schlichten können?
Streit würde ich es nicht nennen, aber Konflikte an Bord gibt es viele, angefangen bei Rückenlehne und Körpergeruch des Vordermannes. Aber die Airlines bieten gute Trainings, in denen man lernt, Probleme diplomatisch zu lösen und die Gäste zufriedenzustellen. Im Lauf der Zeit bekommt man aber eine gewisse Routine, denn die Themen wiederholen sich. Sei es, dass es um Auswahlessen geht, das nicht mehr da ist, oder Anschlussflüge. Ich bin ein eher konfliktscheuer, sehr harmoniebedürftiger Typ, wie die meisten Flugbegleiter.

Können Sie auch mal richtig streng werden?
 Leider muss man das hin und wieder, denn wir Flugbegleiter kennen Gefahren, die die Gäste nicht erkennen. Zum Beispiel bei den elektrischen Geräten an Bord. Manchmal kommt man sich vor wie im Kindergarten, wenn man Gäste zum dritten Mal bitten muss, den Laptop auszuschalten oder das iPad und sie es dann bloß weglegen oder den leidigen Flugmodus zitieren, der zu Start und Landung auch nicht erlaubt ist.

Sie haben an Bord internationales Publikum. Gibt es unangenehme landestypische Verhaltensweisen?
 Unangenehm ist grundsätzlich niemand. Manche Kulturen haben allerdings spezielle Bedürfnisse, auf die man eingehen und die man kennen muss. Die Inder bekommen gerne ein Glas Wasser zur Begrüßung, von dem sie aufgrund dessen, dass es mehr eine Geste ist, dann nur einen Schluck nehmen. Islamische Kulturen beten an Bord und nutzen dafür Gänge und Küchen. Streng orthodoxe Juden weisen oft darauf hin, dass sie nicht mit Frauen in einer Reihe sitzen dürfen und benötigen kosheres Essen. Das alles erfordert Toleranz und kreative Lösungen.

Unsere Landsleute haben auch ihre Macken?
Die Deutschen haben eine recht ausgeprägte Beschwerdekultur, die leider oft den Eindruck macht, es ginge eher darum, etwas rauszuschlagen, und nicht darum, tatsächlich eine Lösung zu finden. Es wird gerne auf „hohem Niveau“ gemeckert. Generell kann man aber nicht nach Nationalitäten urteilen. Überall auf der Welt gibt es nette und weniger nette Menschen.

Welche netten Erlebnisse fallen Ihnen ein?
Das können schon kleine Sachen sein, wie ein Lächeln oder ein paar freundliche Worte. Wenn man Wertschätzung erfährt und einem ein Kind an Bord ein selbst gemaltes Bild schenkt.

 Ihr Alltag ist geprägt durch die Unberechenbarkeit. Wie pflegen Sie Beziehungen?
Ich denke, das ist ein Klischee. Als Stewardess sind private Beziehungen genauso möglich wie in allen anderen Berufen. Aber es kommt sicher auch auf den Partner an. Als Zahnarzt hat mein Mann einen ganz anderen Rhythmus als ich und dennoch verstanden, dass der Jetlag einem manchmal einen Strich durch gemeinsame Pläne macht. Summa summarum verbringt man jedoch sogar mehr Zeit zusammen als in anderen Berufen. Wenn man frei hat, hat man ja ganze Tage frei und muss sich nicht zwischen Meeting und Kita zerteilen.

Wie ähnlich ist Ihnen Ihre Romanheldin Charlotte?
 Sicher ist sie durch mich inspiriert, aber es ist kein autobiografischer Roman. Einige Sachen sind wahr, manche übertrieben oder erfunden. Die meisten Leser trennen das jedoch nicht und setzen mich eins zu eins mit der Romanfigur gleich. Auch die beschriebene Airline gibt es nicht. Teil zwei ist übrigens komplett erfunden, sonst bekäme ich sicher großen Ärger mit meiner Bank und meinem Mann. Denn darin geht Charlotte kräftig shoppen, muss eine Geburt an Bord bestreiten und bandelt mit einem Piloten aus Neuseeland an.

Die 33-jährige Werbekauffrau Annette Lies studierte Dramaturgie an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und arbeitete parallel als Flugbegleiterin. Ihre Romane „Saftschubse“ und „Saftschubse — Neue Turbulenzen“ sind im Heyne-Verlag erschienen (je 8,99 Euro).

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