Erinnerungen an das Unfassbare
(srt) "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Kaum waren Walter Ulbrichts Worte 1961 gesagt, da wuchs es auch schon heran, das Monster aus Beton und Stacheldraht. Am 13. August 2011 jährte sich der Bau der Berliner Mauer zum 50. Mal. An der innerdeutschen Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland waren Stacheldrähte und Selbstschussanlagen schon neun Jahre früher in Stellung gebracht worden. Erst im November 1989 fielen die Sperren - Deutschland war friedlich wiedervereinigt. Doch wo ist heute noch etwas zu sehen von dieser Leistung, um die die Welt Deutschland beneidet? So viele negative Erinnerungen sind damit verbunden, und so steht kaum mehr etwas von der Mauer als Mahnmal für künftige Generationen. Oder doch? Wir haben uns auf den Weg gemacht - und einiges gefunden.
Eastside Gallery Berlin: Mauerbild mit Bruderkuss
Wo ist hier bitte die Mauer? Natürlich will sie jeder Berlin-Besucher sehen. Doch von ihrem einstigen Verlauf zeugt heute in Wirklichkeit meist nur noch eine Doppelreihe Silbernägel im Straßenbelag. Den interessantesten Rest bildet heute die East-Side-Gallery zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke. 118 Künstler machten sie 1990 zur längsten Freiluftgalerie der Welt. Zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls im November 2009 wurden die teilweise arg ramponierten Kunstwerke von den zumeist selben Künstlern restauriert. Berühmt ist Dimitrij Vrubels "Bruderkuss" von Breschnew und Honecker. Kaum ein Liebespaar lässt es aus, sich engumschlungen vor ihm ablichten zu lassen.
Mödlareuth: "Little Berlin"
20 Kilometer hinter Hof liegt "Little Berlin". Unter diesem Namen erlangte Mödlareuth während des Kalten Kriegs traurige Berühmtheit. Der kleine Ort hat nämlich eine bayerische und eine thüringische Seite. Und so leuchteten riesige Scheinwerfer auf Todesstreifen und Selbstschussanlagen im Dorf. Die extreme Situation ist bis heute mit Händen zu greifen. Denn gleich nach der Wende entschloss man sich, die gespenstische Kulisse als Deutsch-Deutsches Grenzmuseum zu erhalten. Und so drohen sie weiter, die ehemaligen Grenzanlagen und Stacheldrahtzäune. Unübersehbar sind auch die beiden Beobachtungstürme, in denen bis 1989 die DDR-Grenzer jedes Hüsteln eines der 50 Einwohner in Mödlareuth/West belauerten. Zwischen Mauer und Stacheldraht wird die einstige Situation mit Schautafeln verdeutlicht, daneben kann man einen ausrangierten Hubschrauber sehen. Noch bis Ende Oktober zeigt die Sonderausstellung "Bevor die Mauer fiel" wenig bekannte Fotos des zivilen Protests in der DDR.
Katharinenberg: Plattenwege und ein Grenzturm
Zwischen Eschwege in Hessen eHesHessenund dem thüringischen Mühlhausen liegt der Grenzturm Katharinenberg. Hin kommt man nur über die Plattenwege, auf denen einst die Grenzpolizei unterwegs war. Eine Ausstellung zeigt den Aufbau der Grenzanlagen und das Leben im Sperrgebiet: Die Zufahrtstraßen wurden von der Polizei kontrolliert, Besucher brauchten einen Passierschein. Wegweiser waren entfernt, Wanderkarten existierten nicht. Zahlreiche Familien aus dem Ort, die bei der Obrigkeit als "politisch unzuverlässig" galten, wurden 1952 zwangsumgesiedelt, darunter auch der damals achtjährige Erich Montag. "In unserem neuen Dorf waren wir als Verbrecher abgestempelt", erzählt er. Erst nach drei Jahren durfte die Familie in die alte Heimat zurückkehren. "Sag nichts in der Schule", lautete die Devise für die Kinder, und manchmal klingelten Fremde nachts an der Tür: "Die fragten nach dem Weg in den Westen. Wer Auskunft gab, der wurde verhaftet", sagt Montag. Die Spione der Stasi waren eben überall.
Point Alpha: Grenzmuseum mit Gänsehaut
Wäre der Dritte Weltkrieg ausgebrochen, es wäre wohl in einem kleinen Waldstück am Nordrand der Rhön geschehen. Der Angriff des Warschauer Pakts wurde von den Amerikanern im "Fulda Gap" erwartet, wo das Territorium der DDR am weitesten in bundesdeutsches Gebiet hinein ragte. Verständlich, dass die US-Armee dort in den 50er-Jahren einen Beobachtungsposten einrichtete. Bis zur Wende war er von einer Eliteeinheit in ständiger Alarmbereitschaft besetzt. Der ehemalige Stützpunkt mitten im Biosphärenreservat Rhön ist heute ein Museum und Mahnmal des Kalten Kriegs - samt Beobachtungsturm, Unterkünften und den nur fünf Meter entfernten Grenzanlagen. Gleichzeitig wird in den ehemaligen Nato-Gebäuden die militärische Seite beängstigend deutlich: Beide Seiten standen sich bis zur Nasenspitze hochgerüstet gegenüber.
Helmstedt-Marienborn: Rasthof des Kalten Kriegs
Wo sind sie geblieben, die schaurigen Autobahnübergänge auf den Transitstraßen nach Westberlin, wo Millionen Autofahrer 40 Jahre lang schikaniert wurden? Darum, die unheimliche Erinnerung wachzuhalten, geht es im doppelten Zonengrenzmuseum Helmstedt und Marienborn an der A2. Besonders beeindruckend auf Helmstedter Seite ist das Stück nahezu original aufgebauter Zonengrenze mit dem typischen Streckmetallzaun, Warnschildern, Minen und Selbstschussanlage. Jenseits der ehemaligen Grenze liegt auf dem Gelände der heutigen Autobahntankstelle Marienborn-Süd die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Dort sind die einstigen DDR-Anlagen der Pkw- und Lkw-Einreisekontrollen original erhalten und bewahren die Erinnerung an die Kontrollen in den Zeiten des Kalten Kriegs. Die Grenzübergangsstelle, die bis Mitte 1990 in Betrieb war, steht unter Denkmalschutz. Gäste können allein über das Gelände streifen oder sich bei einer Führung die einzelnen Gebäude erläutern lassen.
Schlagsdorf: Sperrzonen im Grenzhus
Biotope, Wanderwege, "Grünes Band": Heute gehört der Natur ein Großteil der ehemaligen Grenze des Schreckens. Ganz im Norden bei Ratzeburg, ein paar Kilometer südlich der Ostseeautobahn, wird im kleinen Ort Schlagsdorf alles wieder beklemmend deutlich: Schutzstreifen, KFZ-Sperrgraben, Metallgitterzaun. Das "Grenzhus" zeigt in der Außenanlage aus originalen Bauteilen beängstigend sachlich, wie der Ort sich 1945 unversehens an der Demarkationslinie zwischen britischer und sowjetischer Besatzungszone fand, wie dann ab 1952 verdächtige Personen aus der Fünf-Kilometer-Sperrzone ausgesiedelt wurden, in den Siebzigern schließlich Beobachtungstürme, Stacheldrahtzaun und Minenfelder angelegt wurden. Schlagsdorf war praktisch komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Wer sich rechtzeitig anmeldet, der kann sich von Zeitzeugen durch die Anlage führen lassen oder eine geführte Wanderung im einstigen Todesstreifen unternehmen.
Weitere Informationen:
Eine Übersicht über diese und weitere Grenzmuseen gibt die Website www.nachkriegsmuseen.de
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