Ein Lob dem Reiseleiter
Von den Fähigkeiten des Reiseleiters hängt einiges ab. Deshalb buchen viele ihre Studienreise nicht nur nach geografischen Aspekten, sondern auch ausgerichtet an den Terminen des langjährigen Lieblingsreiseleiters. Wieso soll man da ein Risiko eingehen? Was gibt es nicht alles im weiten Feld der Reiseleiterei? Kulturverwirrte Dauerbrabbler und kulturlose Shoppingfetischisten, Teppichverkäufer mit Fremdenführerschildchen, unausgelastete Skilehrer in der Sommerpause, egomanische Selbstverwirklicher in der Findungsphase und verhinderte Heizdeckenverkäufer mit einer Bildungsferne, die nur noch ein Routenplaner ermitteln kann.
Aber man muss auch eine Lanze brechen für all die Studienreiseleiter, die genau das Gegenteil davon sind und ihrer Verantwortung nahezu bis zur Selbstaufgabe nachkommen. Es sind die allermeisten! Sie sind für alles verantwortlich, für den Zustand der Welt genauso wie für das individuelle Glück der ihnen anvertrauten Weltenforscher. Sie tun ihr Bestes und erhalten dafür im Regelfall von ihren Gästen Respekt, Dank und das Geld, das wir Trinkgeld nennen.
Das ist eine sehr vernünftige Form der Anerkennung. Über eine lyrische Nachbetrachtung der gemeinsamen Erlebnisse freut sich der Reiseleiter natürlich auch. Wenn das Gedicht zum Trinkgeld dazugelegt wird. Denn wir wissen ja: Von Lyrik allein kann man nicht leben. Weder der Dichter noch der Bedichtete. Sprechen wir noch über die größte Herausforderung, die einem Studienreiseleiter immer wieder begegnet und aus einem Traumberuf sehr schnell die Hölle machen kann. Schauen wir auf das Ideal, an dem mehr Studienreiseleiter zerbrechen als Schiffe auf allen Riffs dieser Weltmeere.
Frauen beherrschen die Wüste nicht
Wer macht die Hochglanzkataloge, in denen Reiseleiter als omnipräsente Übermenschen vorgestellt werden, die bei Sonnenuntergang gelassen auf einem Felsvorsprung sitzen und mit klarem Blick über die Weite einer Wüstenlandschaft schauen. Dieser Mann auf dem Bild strahlt kompetente Lässigkeit aus. Bei Wüstenbildern ist es immer ein Mann. Bloß keine Gleichberechtigung an der falschen Stelle. Frauen beherrschen die Wüste nicht. Diesem Wüstenfuchs traut man es locker zu, dass er mit der einen Hand die im Weg liegende Klapperschlange zur Seite räumt, während er mit der anderen auf eine geologisch interessante Gesteinsformation in der Ferne deutet und mit amüsierter Stimme erzählt, wie er dort vor ein paar Jahren einen Puma erwürgen musste, um die Sicherheit der mitreisenden Gäste sicherzustellen.
Dann muss er aber abends am Lagerfeuer dem mitreisenden Vorsitzenden des Tierschutzbundes Kleinkaltental erläutern, dass er das gefährliche Tier nur betäubt hat. Der Puma habe in den Jahren danach einen großen Bogen um Studienreisegruppen gemacht und nachweislich noch viele kleine Pumakinder gezeugt. Er bekommt heute in einem regionalen Hospiz für Pumas sein Gnadenbrot und träumt davon, Reiseleiter zu fressen.
Das Hospiz ist übrigens eine gemeinnützige Einrichtung, die der Reiseveranstalter mit Spenden unterstützt. Dann wird aus dem Pumalogen ganz schnell ein profilierter Geologe, und dieser erklärt auf die Schnelle noch die einzelnen Sedimentschichten in der Ferne. Katalogreiseleiter können alles und wissen alles. Aus gut unterrichteten Kreisen wird kolportiert, dass man bei der nächsten Kataloggeneration wahrscheinlich mit Reiseleitern rechnen sollte, die Flügel haben werden.
Die Einnahmen sind im Bereich zwischen Mindestlohn und Hartz IV
Diese Märchenreiseleiter aus Tausendundeiner Nacht werden von Werbestrategen gemacht. Also von Menschen, die zu Hause bleiben und somit auch nicht am Profil des Unerreichbaren zerbrechen können. Erfahrene Reiseleiter würden es nie wagen, zu viel zu versprechen, denn sie sind dabei, wenn Katalog und Realität auseinanderdriften. Kein Dauerregen ist so grausam wie ein falsches Versprechen in der Katalogausschreibung, kein Taifun fordert den Reiseleiter so stark wie ein pittoreskes Hotel am Rande der Stadt, das einfach eine Bruchbude am Arsch der Welt ist.
Dieser Grand Canyon zwischen Erwartung und Wirklichkeit ist die Pest der Reiseleiter. Risikozuschlag gibt es nicht. Diese hochgebildeten Universalgenies mit all ihrer riesigen Verantwortung werden in keinster Weise als solche bezahlt. Bei den Einnahmen liegen sie eher im Bereich zwischen Mindestlohn und Hartz IV. Wenn sie überhaupt Arbeit haben. Denn wenn der Job kurzfristig abgesagt wird, dann liegen die Reiseleiter sogar erheblich darunter. Ziemlich genau bei null. Schlechtwettergeld gibt es nur auf dem Bau, und für Subventionen der öffentlichen Hand fehlt die entsprechende Lobby. Das alles trägt weder zur sozialen Absicherung noch zur Motivation bei, Protestaktionen werden immer wahrscheinlicher.
Dabei mag man sich einen weltweiten Generalstreik aller Studienreiseleiter gar nicht vorstellen. Es wäre eine Katastrophe. Die Welt würde tagelang unerklärt bleiben, Tausende von Gruppen würden ohne Sinn und Ziel auf den großen Plätzen dieser Welt herumirren. Die meisten Reisenden würden vergessen, warum sie aufgebrochen sind. Die schiere Verzweiflung könnte die Touristen zum Gebet bewegen, doch sie haben noch nie eine Kirche ohne Reiseleiter betreten. Gerichte würden in Eilverfahren die Unzulässigkeit von Studienreiseleiterstreiks feststellen, weil das verursachte Chaos zu Unruhen führen könnte.
Reiseleiter sorgen für Ordnung in den Weltstädten und kümmern sich darum, dass die Zahl derer, die unsere Welt noch mehr durcheinanderbringen als alle Studienreisegruppen zusammen, in Grenzen gehalten wird: die Individualtouristen. Man sollte Ihnen ein Denkmal errichten. Sie haben es sich verdient, diese Studienreiseleiter.
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