Dr. Beach, der Strandpapst

Der US-Wissenschaftler Stephen Leatherman kürt jährlich die zehn besten Strände der USA.
von  Claudia Schuh aus Miami

Miami - Wer Dr. Stephen P. Leatherman sieht, könnte vieles vermuten, nicht aber unbedingt, dass er hauptberuflich Wissenschaftler ist. Wissenschaftler klingt nach Bügelfaltenhose und eng gebundener Krawatte, nach kompliziert gebauten Wortgirlanden und Stubenhocker-Blässe. Braun gebrannt steht der Mann mit dem vollen, braunen Haar und dem trainierten Körper vor einem, mit Shorts und rotem Polohemd. Barfuß. Er liebt die pralle Sonne und das klare Wort. Seinen großen Zeh gräbt er in den feucht-warmen Sand ein. Sand ist ganz, ganz wichtig für Leatherman. Es ist Teil seines Forschungsgebiets. Denn Stephen Leatherman testet Amerikas Strände. Und zwar nach wissenschaftlichen Kriterien. Sein Urteil wird jährlich ähnlich gebannt erwartet wie die Namen, die vom Nobelpreiskomitee in Stockholm verkündet werden. Daher ist er in Amerika bekannt als „Dr. Beach“. Stranddoktor, besser noch: Strandpapst. Sonne muss der Professor für Umwelttechnik abhaben können. Denn die knallt gewaltig im Sunshine State Florida, wo er lebt und lehrt. Leatherman ist Direktor der Abteilung Küstenforschung.

Er arbeitet im „Laboratory for Coastal Research“ an der Florida International University in Miami. Dort hält er Kurse, die „Strände und Wellen“ heißen und mehr nach Feierabend am Strand klingen als nach harter Forschungsarbeit. Seit 1991, also seit bereits über 20 Jahren, gibt er jedes Jahr die Liste der Top-10-Strände heraus. 16 Bücher hat er bereits geschrieben, tausende Aufsätze dazu verfasst. Alle drehen sich um das eine: seine Küstenwissenschaft. Dass seine Datenerhebung auch praktischen Nutzen abwirft, zeigt seine neu geschaffene Website (www.beachfinder.org), mit deren Hilfe Strandliebhaber lohnenswerte Strände finden können - je nach Vorlieben für Surfer, Naturliebhaber oder Familien mit Kindern. „Meine Konferenzen finden nicht in Hotels in Miami statt, sondern am Strand.“ Geschätzt die Hälfte des Jahres, erzählt Leatherman, sitze er nicht hinterm Schreibtisch, sondern am Meer. Gerade ist er einige Autostunden vom Atlantik entfernt an der anderen Seite von Florida: In Pinellas County. Diese Region liegt um die Städte St. Petersburg und Clearwater herum und ist eine Halbinsel mit 26 Gemeinden, kilometerlangen weißen Sandstränden und über 20 vorgelagerten Inseln entlang dem Golf von Mexiko. Als die spanischen Seefahrer 1528 im Westen Floridas an Land gingen, nannten sie den Flecken „punta pinal“, also „Ort der Pinien“. Heute lebt der Landstrich überwiegend vom Tourismus und vermarktet sich als „Floridas Beach”. Die Sonne scheint im Schnitt 361 Tage im Jahr - und geht obendrein meist spektakulär unter. Das ist jeden Abend ein Ereignis, das von der populären Pier 60 in Clearwater zu beobachten ist.

Die Strände Floridas sind jedes Jahr aufs Neue unter den Top 10

Einer dieser 20 vorgelagerten Inseln in Pinellas County heißt Caledesi Island. Die schätzt nicht nur Leatherman besonders, auch bei Honeymooner ist sie wegen ihrer Abgelegenheit populär. Nur per Boot kommt man an den Strand. Caladesi Island ist so etwas wie eine der letzten unberührten Inseln Floridas. Daher hat Dr. Beach den Küstenstreifen im Jahr 2008 zur Nr. 1 der USA nominiert. Und da er den Titel nicht zweimal in Folge vergeben darf, landete der Strand im Jahr darauf immerhin auf den zweiten Platz. „Jeder Strand kann nur einmal gewinnen. Danach kommt er in eine Art Ruhmeshalle, eine ‚Hall of Fame’, und darf nicht mehr antreten. Außerdem ändern sich Strände durchaus: Sei es durch Wirbelstürme oder andere Naturkatastrophen, sei es, weil die Stadtverwaltung ein Rauchverbot einführt.“ Was ist an Caledesi Island top? Dr. Beach: „Das kristallklare Wasser, der Reichtum an Vögeln, Delfine im Meer sowie weißer Pulversand, das macht diese Insel und diesen spezifischen Strand schon sehr besonders. Außerdem kann man dorthin nur mit dem Boot gelangen.“ Am Strand finden sich keine Surfer, dafür sind die Wellen zu flach. Umso mehr tummeln sich hier Familien und Naturliebhaber - das Schilf ist hoch und etliche Buchten versteckt. Aber auch andere Strände Floridas sind jedes Jahr aufs Neue unter den Top 10. Leatherman: „Das Wasser ist warm, der Sand weiß und feinkörnig. Du kannst neun Monate im Jahr schwimmen gehen. Und zwar überall in Florida - wir haben insgesamt 850 Meilen Strand.“ Und plötzlich klingt er fast poetisch: „Ich glaube sogar, dass es etwas damit zu tun hat, dass wir Salz in unserem Blut haben und deswegen Salzwasser uns magisch anzieht. Man kommuniziert direkt mit der Natur, wenn man am Meer ist.“

Leatherman wäre nicht Wissenschaftler, würde allein das subjektive Gefallen entscheiden. Entscheidend sind vielmehr harte Kriterien. 50 an der Zahl. Ausblick und Verkehrsanbindung spielen auch eine Rolle. Liegt eine Autobahn in der Nähe? Aber auch: Wie sauber ist der Strandabschnitt? Gibt es Mülltonnen? Wie sicher sind Strand und Wasser für die Badenden? Gibt es Strandwächter und Rettungsschwimmer vor Ort? „Alles ist für sich wichtig“, sagt der Stranddoktor, „am allerwichtigsten sind aber Wasser- und Sandqualität. Ist das Wasser nicht sauber, wird der Strand bei uns nicht gelistet.“ „Bei 50 Kriterien vergebe ich Punkte von eins bis fünf. Wenn ein Kriterium, zum Beispiel die Farbe des Sandes, zur vollsten Zufriedenheit erfüllt wird, vergebe ich fünf Punkte, das ist sehr gut. Ein Punkt hingegen ist sehr schlecht. Weißer Sand ist besser als dunkler, feiner ist besser als grober. Das Wasser muss warm sein, algenfrei und sicher: Zu starke Strömungen oder zu hohe Wellen bedeuten Punktabzug. Nicht unwichtig: die Infrastruktur wie Parkplätze, Toiletten, Duschen. Ist ein Strand besonders lang, gibt es Extrapunkte - das macht einen weiten Horizont. Auch ästhetische Kriterien fließen mit ein.“ Manches liegt auch unter der Wasseroberfläche: „Ob es scharfkantige Felsen gibt oder schnelle Strömungen. Und eben ob das Wasser sauber ist, da müssen wir genauer hinschauen.“ Ob es „den perfekten Strand“ überhaupt gebe? „Nein, der müsste ja volle 250 Punkte bekommen. Die Top-Strände liegen meist um die 230 Punkte, denn irgendetwas stimmt immer nicht.“

Aber nicht perfekt kann ja durchaus sehr liebenswert sein.


 Die Top-Strände der USA 2012
1 Coronado Beach San Diego, California

2 Kahanamoku Beach Waikiki, Oahu, Hawaii

3 Main Beach East Hampton, New York

4 St. George Island State Park, Florida Panhandle

5 Hamoa Beach, Maui, Hawaii

6 Coast Guard Beach Cape Cod, Massachusetts

7 Waimanalo Bay Beach Park Oahu, Hawaii

8 Cape Florida State Park Key Biscayne, Florida

9 Beachwalker Park Kiawah Island, South Carolina

10 Cape Hatteras, Outer Banks of North Carolina

Gewinner-Strände der Vorjahre
2011 Siesta Beach, Sarasota, Florida
2010 Coopers Beach, Long Island - Southampton, New York
2009 Hanalei Bay, Kauai, Hawaii
2008 Caladesi Island State Park, Dunedin/Clearwater, Florida
2007 Ocracoke Lifeguarded Beach, Outer Banks, North Carolina
2006 Fleming Beach Park, Maui, Hawaii
2005 Fort DeSoto Park, North Beach, St Petersburg, Florida
2004 Hanauma Bay, Oahu, HI
2003 Kaanapali, Hawaii
2002 St. Joseph Peninsula State Park, Florida
2001 Poipu Beach, Hawaii
2000 Kaunaoa Beach, Hawaii

Dr. Beach im Internet www.DrBeach.org, www.beachfinder.org

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