Die Stadt der Regenbogen

Wie es findige Werbetexter schaffen, trotz Dauerregens Touristen in ihr Örtchen zu locken.
von  Helge Sobik

Prince Rupert - Auf diesen Slogan muss man erst mal kommen: weil er poetisch klingt, ein bisschen geheimnisvoll, fast märchenhaft und zugleich gnadenlos ehrlich ist. „City of the Rainbows“ - „Die Stadt der Regenbogen“ - nennt sich die Pazifikküstengemeinde Prince Rupert, mit 12 800 Einwohnern die nördlichste Hafenstadt der kanadischen Provinz British Columbia. Der Werbespruch kann nur eines gewesen sein: eine extrem schwere Geburt - oder eine geniale Eingebung.

Denn tatsächlich schifft es in Prince Rupert dauernd, nur ab und zu kommt zwischen zwei kräftigen Unwettern mal kurz die Sonne hinter den Wolken heraus, um Regenbogen an den Himmel zu zaubern. Nicht umsonst ist die Stadt landseitig von dichtem Regenwald eingefasst, und seeseitig sind ihr ebenso dicht bewaldete Inseln vorgelagert. Das üppige Grün hat seinen Grund: Der Himmel bewässert den Landstrich arg großzügig. Im Jahresschnitt fallen stolze 2500 mm Regen. Das ist eine Wassersäule von zweieinhalb Metern Höhe. Wer da Touristen anlocken will und sogar in der Lage war, von irgendwoher Fotos mit ganz und gar blauem Himmel für die eigene Image-Broschüre aufzutreiben, sollte das wahre Mehrheitswetter aber wenigstens dezent andeuten.

Mist" steht nicht immer für Nebel"

Allein schon, damit die Leute, die kommen, die richtige Kleidung im Koffer dabeihaben. Oder besser gleich am Leib. Der schöne Regenbogen-Spruch ist so eine Andeutung - subtil und zugleich klar. Voller Hoffnung auf Sonne und zugleich zwingend mit der Anmutung von Schauerwetter verbunden. Weil, das weiß jedes Kind, nur das Wechselspiel von beidem Regenbogen verursacht. Dasselbe Problem mit dem Klima wie mit der Ehrlichkeit in der Begriffsfindung hatten auch die Namenstüftler im unmittelbar angrenzenden Alaska. Nicht weit von Prince Rupert gibt es ein geradezu dramatisch schönes US-Naturschutzgebiet mit tief ins Küstengebirge eingeschnittenen Fjorden, mit Gletschern und Wasserfällen. Es regnet dort leider genauso häufig wie im nahen Kanada. Man entschied sich, es Misty Fjords National Monument zu nennen. „Mist“ ist auf Englisch „feiner Dunst“. Häufig wird der Begriff für Morgennebel verwendet. Misty bedeutet entsprechend wörtlich übersetzt so etwas wie „morgennebelig“ und suggeriert immerhin, dass sich der Nebel im Laufe des Tages lichten würde oder es zumindest ab und zu wirklich tun könnte. Oder wenigstens damals noch getan hat, als der Name festgelegt wurde.

Da schwingt ähnlicher Optimismus mit wie bei der Regenbogen-Idee aus Prince Rupert. Schade nur, dass das Wort Mist nicht überall auf der Welt diesen Klang nach romantischem Landschaftsgemälde und Geheimnis hat, nach Elfen und Zauberwald. Aber selbst das gerät in den Hintergrund, wenn man es riskiert nachzuschlagen, wie viel Regen hier fällt, nämlich die Kleinigkeit von - meteorologisch ausgedrückt - 4000 mm. Das sind Wassersäulen von vier Meter Höhe im Jahr. Der Morgennebel fließt also ab. Sozusagen. Senkrecht, in dicken Tropfen. Während des ganzen Tages. Und auch in der Nacht. Wie gut, dass die Gegend wenigstens so schön heißt.

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