Die Gespenster der Geschichte
Vor 100 Jahren wurde in Sarajevo Erzherzog Franz Ferdinand erschossen - die Stadt aber steht immer noch im Zeichen des Bosnienkrieges
Drei Mal spielte Sarajevo im 20. Jahrhundert eine Hauptrolle: 1984 als Gastgeber der Olympischen Winterspiele, von 1992 bis 1995 als belagerte Stadt im Bosnienkrieg, und natürlich vor 100 Jahren, als am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger und Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie auf Staatsbesuch in Sarajevo vom bosnisch-serbischen Nationalisten Gavrilo Princip erschossen wurden. Die darauf folgende internationale Krise gilt als Auslöser für den Ersten Weltkrieg.
Im makaberen Jubiläumsjahr werden in Sarajevo besonders viele Touristen erwartet. Und am 28. Juni 2014 findet in Sarajevo ein Gedenkkonzert der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Franz Welser-Möst und des Opernchors des Nationaltheaters von Sarajevo statt. Ein winziges Museum erinnert heute an die kurze Zeit der habsburgischen Herrschaft in Bosnien-Herzegowina (1878 - 1918), es liegt direkt an der Kreuzung, an der Gavrilo Princip die tödlichen Schüsse abgab.
Doch der Erste Weltkrieg spielt in Sarajevo eigentlich keine Rolle, die Touristen hier wandeln auf den Spuren eines anderen Konfliktes, der die Stadt tiefgreifend verändert hat. "Wir machen 95 Prozent der Touren auf den Spuren der Belagerung", sagt Tourenanbieter Mirza. 11 500 Menschenleben forderte die serbische Belagerung. 25 Euro pro Person kostet die "Rosen-Tour", ein Euphemismus für die Plätze, an denen Granaten die verheerenden Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet hatten. Die Explosionskrater wurden später von einer Bürgerinitiative mit rotem Kunststoff ausgegossen, als "Rosen".
Auch Daniel Craig und Orlando Bloom waren im Tunnelmuseum
Es gibt die "Sniper"-Tour zu den ehemaligen Stellungen der serbischen Scharfschützen und für 60 Euro die Bustour zu dem Ort, der als Sinnbild für die Gräuel des Bosnienkrieges steht: Srebrenica. Und natürlich landen alle Touristen staunend im Eingang des 800 Meter langen Tunnels, die unterirdische Fussweg-Verbindung zwischen der belagerten Stadt unter dem internationalen Flughafen, fast drei Jahre lang der einzige Weg, aus der Stadt zu fliehen und die dürftige Versorgung zu ermöglichen. Alle waren hier später im Tunnelmuseum, eine Fotogalerie zeigt Orlando Bloom, Morgan Freeman, Kevin Spacey, John Travolta oder Daniel Craig, der sich beeindruckt zeigt vom Überlebenswillen der vom Westen Jahre lang im Stich gelassenen Bevölkerung.
Susan Sontag kam noch während des Konflikts und inszenierte 1993 "Warten auf Godot". 2010 wurde der Platz vor dem Staatstheater nach ihr benannt. Das von Bill Clinton angetriebene 1995 Dayton-Abkommen beendete den Konflikt. Seitdem ist zwar der Krieg abwesend, der Geist des Friedens aber nicht eingezogen in das in die Teilrepubliken Srpska und die Föderation Bosnien und Herzegowina zersplitterte Land. Nicht nur Sarajevo war bekannt für das Zusammenleben aller Religionen. Heute ist das Land in ethnische Enklaven zersprenkelt. Bosnien-Herzegowina ist das, was politische Beobachter als einen "dysfunktionalen Staat" bezeichnen, ein Land, dessen Verwaltung und Regierung nicht funktionieren.
Trotz Krise: Sarajevo ist eine absolut sehenswerte Stadt
Die Regierung wird von einer sich bekämpfenden Dreierspitze aus den drei Hauptethnien besetzt, viele Posten werden nach Herkunft vergeben, nirgendwo in Europa dauert es länger, Dokumente für eine Geschäftsgründung zu beschaffen. Als einziger nationaler Kitt dient die Nationalelf um den aus Sarajevo stammenden Stürmerstar Edin Dzeko, die sich für die Fussball-Weltmeisterschaft qualifizierte. Die Fifa intervenierte, denn Bosnien hatte drei Fussballpräsidenten - für jede Ethnie einen. Aber man einigte sich. Dennoch ist Sarajevo mit seiner wieder aufgebauten Altstadt aus der osmanischen Zeit, den Relikten der Habsburger Herrschaft und dem architektonischen Sozialismus der Tito-Ära eine sehenswerte Stadt, und eine boomende in einem völlig gelähmten Land.
"Früher hat es keinen interessiert, welche Religion jemand hatte", sagt Mustafa, der im Holiday Inn serviert, das sich seine Berühmtheit als Journalisten-Hotel während der Belagerung heute teuer bezahlen lässt. Der Mittfünfziger gehört zu den "Jugostalgikern", den Tito-Verklärern. "Damals, zu Titos Zeiten, hat mein Vater gearbeitet, meine Mutter hat die drei Kinder gehütet und wir sind zwei Mal im Jahr in den Urlaub gefahren. Heute arbeiten meine Frau und ich, wir haben nur ein Kind und trotzdem reicht es vorne und hinten nicht. Irgendetwas muss passieren."
Diesen Satz hört man häufig, vor allem, wenn man mit Jüngeren ins Gespräch kommt in einer der unzähligen Bars der für ihr Nachtleben berühmten Stadt. Viele haben Jahre im Ausland verbracht, sprechen fliessend Deutsch oder Englisch und sitzen ohne Hoffnung auf einen adäquaten Job in der Stadt, die sie eigentlich lieben. Das Reden über Politik aber bleibt für sie ein vermintes Gelände.
Ist Versöhnung möglich? Wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, in einer schon zur Republika Srpska gehörenden serbisch-orthodoxen Kirche, kann man schon ins Zweifeln geraten. An einer Wand hängen die Fotos von serbischen Kriegsopfern, und viele Kerzen brennen unter zwei besonders grossen Fotos: Sie zeigen den ehemaligen Präsidenten der serbischen Nationalisten, Radovan Karadzic, und den serbischen General Ratko Mladic, beide in Den Haag angeklagt wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkrieges.
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