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Am 1. Januar 1914 nahm ein Pilot in den USA den ersten Passagier mit. Der Anfang einer Erfolgsgeschichte - heute fliegen Milliarden Menschen pro Jahr.
von  Wolfgang Albers

Am 1. Januar 1914 standen 3000 Menschen am Kai von St. Petersburg in Florida. Was für ein Spektakel: Der Major Abram Pheil, der Ex-Bürgermeister der Stadt, kletterte in ein Wasserflugzeug - 400 Dollar, ein Vermögen, hatte er dafür auf einer Auktion geboten. Gerade mal gut zehn Jahre war es her, dass die Wright-Brüder einen Apparat die ersten wackligen Meter in die Luft gebracht hatten. Und jetzt startete der 25-jährige Anthony Jannus, schon einer der erfahrensten aus der noch so kleinen Gilde der Piloten, einen Benoist-Doppeldecker mit einem offenen, badewannenähnlichen Unterbau und einem 75-PS-Motor und zog ihn auf eine Höhe von 15 Metern - Kurs Tampa. Fünf Stunden brauchte ein Zug dahin, noch mehr ein Pferdewagen. Da hatte der Geschäftsmann Percival Fansler eine revolutionäre Idee.

Er schlug eine regelmäßige Verbindung durch die Luft vor. Mit dem Flug von Jannus und seinem Passagier nahm die St. Petersburg-Tampa Airboat Line den ersten Liniendienst der Welt auf. Und Percival Fansler rief der Menge zu: „Was gestern unmöglich war, ist heute Tatsache, während das Morgen das Unglaubliche bereithält.“ Da schien der Investor den Mund reichlich voll genommen zu haben. Zwar kauften 1205 Passiere ein Fünf-Dollar-Ticket und stiegen zu dem 23-Minuten-Flug neben dem Piloten ein, aber nach drei Monaten war das Unternehmen pleite. Auch weltweit sah das nicht nach einem Geschäftsmodell aus. Und doch hat Percival Fansler recht behalten wie kaum ein kühner Prophet sonst. Nach Angaben des Airport Council International, dem Dachverband der Flughafenbetreiber, benutzen jährlich über fünf Milliarden Menschen ein Flugzeug, pro Sekunde besteigen 158 Fluggäste eines. Das summiert sich zu mehr als 30 Millionen Flügen jährlich weltweit - also ungefähr ein Flug pro Sekunde.

800 000 direkte und indirekte Beschäftigte hierzulande

Über 700 Fluggesellschaften bieten ihre Dienste an, längst ist das Fliegen eine Grundvoraussetzung der Globalisierung und ein Motor der Wirtschaft. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft reklamiert über 800 000 direkte und indirekte Beschäftigte hierzulande und einen Beitrag von 57 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt. Wie Percival Fansler hatte auch Claude Grahame-White, einer der ersten britischen Piloten und Luftfahrtunternehmer, 1914 die richtige Vision: „Zuerst wird Europa, dann der Globus durch das Fliegen verbunden. Nationen werden so miteinander verknüpft, dass sie zu Nachbarn werden. Was Eisenbahnen für die Nationen getan haben, werden Flugrouten für die Welt tun.“

Aber die Anfänge waren hart. Als nach dem Ersten Weltkrieg die ersten wenigen Fluglinien in Europa eingerichtet wurden, mussten die Kunden unerschütterlich sein. Anfangs saßen sie in offenen Cockpits, völlig ausgesetzt den Elementen, und auch später in den Kabinen mussten sie sich dick einmummeln gegen die Kälte. Zwar wurden schon bald Filme gezeigt, aber der Krach der Motoren war so infernalisch, dass nur Stummfilme Sinn ergaben. Weil die Maschinen niedrig flogen, dem Wetter kaum ausweichen konnten und deshalb weitaus mehr als heute durchgeschüttelt wurden, entleerten die Passagiere reihenweise ihren Mageninhalt in die verschämt „Rülpsertassen“ genannten Speibehälter, die unter jedem Sitz standen. Als erste Fluglinie setzte deshalb die US-Linie Boeing Airtransport im Jahr 1930 Stewardessen ein, die alle ausgebildete Krankenschwestern sein mussten und Schwesternuniform mit weißem Häubchen trugen. In jenen frühen Jahren bildeten sich auch noch andere Strukturen aus, die bis heute fortwirken.

So zwang die deutsche Regierung im Jahr 1926 zwei private Betriebe, eine vom Flugzeugbauer Junckers, die andere von Reedereien und Finanziers, zu fusionieren - zur neuen Lufthansa. Die war dann gleich die größte Fluggesellschaft der Welt und wickelte 40 Prozent des weltweiten Flugverkehrs ab. Die Lufthansa setzte in einer Zeit, als Piloten ihre Route noch durch das Entlangfliegen von Straßen suchten (einmal kollidierten auch zwei Maschinen im Gegenverkehr), modernste Technik ein und markierte zum Beispiel Luftstraßen für Nachtflüge mit Leuchtfeuern. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Fliegen zum Massenphänomen, und da setzten die Amerikaner die Maßstäbe. Ihre Flugzeugindustrie entwickelte die Standards des modernen Reisens, und die US-Bürger machten Fliegen zum normalen Reisestil.

Schnelligkeit und Platz schufen die Kapazitäten zum Massenmarkt Flugreise

1957 war das Jahr, als erstmals mehr Menschen den Nordatlantik per Flugzeug als per Schiff überquerten - und bald waren die Ozeandampfer Geschichte. Stattdessen triumphierten Düsenflugzeuge und Jumbos wie die 1970 in Dienst gestellte Boeing 747 - Schnelligkeit und Platz schufen die Kapazitäten zum Massenmarkt Flugreise. Und die internationale Schickeria konnte eine Nacht in New York und die nächste in London feiern. „Jetset“ taufte das die Presse. „Auf einen Schlag haben wir die Erde geschrumpft“, erklärte PanAm-Chef Juan Trippe stolz. Und Boeing-Manager Tex Boullioun konnte 1983 sagen: „Große Städte und Urlaubsorte liegen heute in Gebieten, in denen sie durch Schiffe oder Züge nie entstanden wären.“ Mallorca, aber auch Fernreise-Resorts geben ihm recht.

Ach ja, und Stewardess konnte man nun nur mit Modelmaßen werden. Sex sells, sagten sich die Airlines, und National Airlines lancierte 1971 eine Anzeige mit dem Bild einer jungen Stewardess und dem Slogan: „Ich bin Linda. Flieg mich.“ Da dachte keiner mehr an Rülpsertassen. Das Fliegen hatte sich völlig verändert - und das Gesicht der Erde gleich mit. Im Kleinen wie auf den Fildern bei Stuttgart oder in Frankfurt am Main, wo Ackerland und Wälder Startbahnen weichen mussten. Und im Großen etwa in Grönland, wo der Treibhauseffekt, wesentlich vom Fliegen befeuert, das arktische Eis wegheizt.

Die Zukunft ist also offen. Einerseits steigert jede wirtschaftliche Entwicklung, siehe Indien oder China, den Flugverkehr. Andererseits stößt er an ökologische und ökonomische Grenzen - Unternehmen wie die Pan American Airlines, kurz PanAm, sind verschwunden. Einerseits unverzichtbar, andererseits höchst schädlich - der Luftverkehr hat wieder eine gewaltige Herausforderung zu meistern. Aber das ist er ja aus den letzten 100 Jahren gewohnt.

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