Besuch beim Vogelflüsterer

Florida - Eine private Initiative in Floria bietet Vogelfreunden ein einmaliges Erlebnis der Tierliebe. Jährlich kommen 100 000 Urlauber in die Vogelklinik von Ralph Heath.
Wer behauptet, der Mann habe einen Vogel, hat gar nicht mal Unrecht. Genauer genommen sind es Hunderte. Und diese machen mit Nachdruck auf sich aufmerksam. Das Zwitschern und Piepsen will nicht verstummen. Im Gegenteil: Wenn Ralph Heath mit einem Plastikeimer bewaffnet zum Strand von Indian Shores an der Westküste Florida schreitet, steigert sich das Geräusch in ohrenbetäubenden Lärm. In Sekundenschnelle umzingeln Hunderte von Pelikanen den stämmigen Mann mit dem graumelierten Haar, dem leichten Bauchansatz und den schwarzen Neoprenschuhen. Denn in seinem Eimer hat der 61-Jährige Sardinen, Heringe und andere Fische als kleine Häppchen für die versammelte Vogelschar.
Ein kleiner Mann mit großem Herzen für die gefiederten Zeitgenossen
"Wir sind die einzige kostenlose Touristenattraktion in Florida", lacht Ralph Heath mit Blick auf sein Lebenswerk. Heath ist so etwas wie ein Vogelflüsterer. Ein kleiner Mann mit großem Herz für die gefiederten Zeitgenossen. Eigentlich wollte er Arzt werden. Doch dann kam der 3. Dezember 1971, ein Tag, der seine Lebensplanung auf den Kopf stellen und sein Leben nachhaltig verändern sollte. An jenem Tage fuhr der Medizinstudent in seinem Auto den Gulf Boulevard in Redington Beach entlang, als er am Straßenrand einen verletzten Kormoran liegen sah. Kurz entschlossen nahm sich Heath des bemitleidenswerten Vogels an und päppelte Maynard, wie er sein "Findelkind" taufte, nach und nach wieder auf. Schnell verbreitete sich auf der Pinellas Halbinsel rund um St. Petersburg die Kunde, dass sich dort jemand liebevoll um kranke und verletzte Vögel kümmern würde. Plötzlich standen wildfremde Menschen vor Heaths Tür, um hilfsbedürftige Vögel in seine Obhut zu übergeben.
Und so eröffnete Ralph Heath wenig später auf dem elterlichen Grundstück in bester Strandlage von Indian Shores die private Vogelklinik Suncoast Seabird Sanctuary. Mittlerweile ist die karitative Einrichtung zu einer Hilfsorganisation für Vögel gewachsen, die heute einen Umsatz von einer Million Dollar pro Jahr stemmt und 25 fest angestellte Mitarbeiter beschäftigt. Seit den 1970er Jahren haben Ralph Heath und seine Helfer zusammen mit vielen Freiwilligen mehr als 200000 kranken und verletzten Vögel geholfen. Und täglich kommen 20 bis 30 gefiederte Patienten hinzu. Sie alle haben meist körperliche Gebrechen, die sie sich bei Unfällen zugezogen haben.
Vier von fünf Vögeln flattern bald wieder in die Freiheit
"Vögel haben leider keine Krankenversicherung", flachst Ralph Heath, dem die enormen Kosten Sorgen bereiten, zumal das nötige Geld allein durch Spenden aufgebracht wird. Pro Tag benötigt er allein über 500 Pfund Fisch. Und "es ist verdammt schwer, den Betrieb mit Fünf- und Zehn-Dollar-Spenden aufrecht zu halten". Doch der Erfolg gibt ihm Recht. Vier von fünf Vögeln können schon nach wenigen Wochen wieder in die Freiheit flattern. Andere, meist stark verkrüppelte Vögel, werden das Areal nie wieder verlassen, sie wären in freier Wildbahn nicht überlebensfähig. Über 500 solcher Dauergäste gibt es in der Vogelklinik.
"Nachdem sie sich an die Gefangenschaft gewöhnt hatten, war es interessant zu beobachten, dass sie schnell entdeckten, dass das Leben noch mehr zu bieten hat", freut sich Ralph Heath und ergänzt, dass in der Vogelklinik schon mehr als 1000 Baby-Pelikane zur Welt gekommen sind. Da ist Patty, ein brauner Pelikan mit nur einem Flügel, der schon vor 30 Jahren in Indian Shores Zuflucht gefunden hat. Da sind seine Artgenossen Roman und Ginger. Beide haben nur ein Auge, während Cindy und Jeffrey jeweils ein Fuß fehlt. "Es gibt wohl kaum eine Verletzung, die wir noch nicht gesehen haben", stellt sich Ralph Heath mit seinem Team täglich neuen Herausforderungen - Überraschungen garantiert.
Das Suncoast Seabird Sanctuary weist keine Vögel ab
Längst hat sich in den gesamten USA herumgesprochen, dass das Suncoast Seabird Sanctuary keine Tiere abweist. Und so hält sich in Florida hartnäckig das Gerücht, dass sich verletzte Vögel sogar selbst auf den Weg nach Indian Shores machen. Auf jeden Fall aber begrüßt die Vogelklinik jährlich mehr als 100000 nicht gefiederte Besucher aus aller Welt. Kein Wunder, denn trotz der teilweise bemitleidenswerten Geschöpfe ist es ein überaus spannendes Erlebnis, dem Vogelflüsterer bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Und spätestens beim Fütterungsritual am Strand gewinnt ein jeder unvergessliche Eindrücke von der etwas anderen Attraktion Floridas.
Karsten-Thilo Raab
Weitere Informationen
Suncoast Seabird Sanctuary, 18328 Gulf Boulevard, Indian Shores, Florida 33785, Tel. 01/727/391-6211, www.seabirdsanctuary.com. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Geöffnet ist die Vogelklinik täglich von 9 Uhr bis Sonnenuntergang.
Lage: Die Region St. Petersburg und Clearwater, zu der auch Inidana Shores gehört, liegt an der Westküste Floridas auf der Halbinsel Pinellas County und grenzt im Osten an die Tampa Bay und im Westen an den Golf von Mexiko.
Anreise: Von Frankfurt am Main und München aus bietet US Airways Flüge über Philadelphia und Charlotte nach Tampa an.
Unterkunft: Sunset Vistas Beachfront Suites, 12000 Gulf Boulevard, Treasure Island, FL 33707, Tel. 01/727/360-1600, www.sunsetvistas.com, direkt am Strand, Zwei- und Vier-Bett-Apartments mit Küche und Wohnzimmer ab 149 Dollar pro Nacht; Boca Ciega Condominium Resort, 8800 Bay Pines Boulevard, St. Petersburg, FL 33709, Tel. 01/727/319-8701, www.bocaciegacondoresort.com.
Essen & Trinken: The Hurricane Seafood Restaurant, 809 Gulf Way, St. Pete Beach FL 33706, Tel. 01/727/360-9558, www.thehurricane.com, erste Adresse für Fischgerichte; Columbia Restaurant, 1241 Gulf Boulevard, Clearwater, FL 33767, Tel. 01/727/596-8400, www.columbiarestaurant.com, exzellentes spanisches Restaurant am Sand Key in Clearwater Beach, Fischgerichte, Tapas und Steaks.