Auf einen Stopp bei Bobby

Auf den Shetlandinseln überraschen die Bewohner mit verrückten Ideen und Wettbewerben.
von  Claudia Ottilie aus Haroldswick

Haroldswick - Als wären all die Superlative, die der Status „nördlichste Insel im ganzen Britenreich“ mit sich bringt, nicht genug, kriechen auch noch Männer in Jutekleid und goldfarbenem Helm über das Dach eines Langschiffes und schwingen heroisch ein Bügeleisen. „Debbie, warum steht da ein Wikinger auf dem Dach?“, frage ich die junge Frau mit dem krausen Rotblondschopf, die samt Kinderanhang lachend um ein Langschiff herumspringt und munter die Kamera klicken lässt. „Fotowettbewerb fürs Unst Fest!“, ruft sie. „Und warum hat der Mann einen Bügeltisch und ein Bügeleisen bei sich?“ Debbie prustet los: „Das ist das Thema unseres Fotowettbewerbs. Das Bügeleisen muss immer im Bild sein.“

Der Aushilfswikinger Logan spaziert später im Schottenrock durch die Lobby von Debbie Strangs Saxa-Vord-Hotel, hier auf der nördlichsten aller Nordinseln Schottlands. „Ich hatte echt Schiss, dass das Dach einkracht“, erinnert er sich an den morgendlichen Job. Er hält sich tatsächlich öfter als Nordmann verkleidet am Wikingerschiff Skidbladner auf, allerdings nicht auf dem Dach. Dann führt er Touristen und einheimische Familien im Schiff herum und zeigt das alte Wikingerleben, wie es auf den Shetlandinseln vor 900 Jahren stattgefunden hat.

Unter 500 Einwohnern muss man sich was einfallen lassen

Nur weil er mit Bügeleisen auf Schiffs­dächer klettert, ist Logan noch lange nicht verrückt. Auch Debbie, die sich das ausgedacht hat, ist Herrin ihrer Sinne. Aber unter 500 Einwohnern muss man sich etwas einfallen lassen, um die langen Tage des Mittsommers zu füllen. Ein Fotowettbewerb auf Facebook soll die Gemeinschaft zusammenschweißen und der Welt da draußen das kleine Eiland sympathisch machen. Gesellige Kaffeekränzchen, Strick-Workshops und ausgelassene Fiddler-Abende gehören genauso zur traditionsreichen Gemeinschaftsförderung wie das jährliche Schmücken der einzigen Bushaltestelle auf den Inseln, die es mittlerweile sogar zu einer Toptouristenattraktion gebracht hat.

Hatte ich nicht gestern in dieser Bushaltestelle, der einzigen weltweit mit eigener Website, auch das Bügeleisen neben der Couch gesehen? Da hatte wohl noch jemand eine heiße Idee, um am Fotowettbewerb teilzunehmen. Bobby’s Shelter, wie sie den Unterstand hier oben nennen, wechselt jährlich die Dekoration mottogetreu um Sessel, Tisch und Computer herum. Man passiert sie in einer Kurve auf dem Weg vom Saxa-Vord-Hotel zur Valhalla-Brauerei von Sonny Priest in Baltasound.

Der nordische Name seiner Brauerei kam ihm so nebenbei in den Sinn, ähnlich wie die Schnapsidee überhaupt, dunkles Ale auf einer 500-Einwohner-Insel zu brauen. Seit 14 Jahren macht der ehemalige Feuerwehrmann in Hopfen und Malz - subventioniert von der Gemeinde, denn Abwanderungen kann sich die kleine Insel heute wie damals kaum leisten. Sonny nuschelt etwas von „Das Bildungssystem ist schuld“, die Kids würden so gut ausgebildet, dass sie nach der Schule zur Uni aufs Festland gingen und dann nie wieder kämen. „Keiner will mehr altes Handwerk lernen.“ Das bedauert auch Rhoda Hughson im Heritage Center, während sie alte Klöppelarbeiten zeigt. Die „Spitzen“-Arbeit verschwindet zunehmend hinter Vitrinentüren, obwohl sie zur jahrhundertealten Tradition der Inselgruppe gehört. „So wie das Fiddeln. Nur wenige Jugendliche wollen Geigespielen lernen“, berichtet die Seniorin, die als Führerin die Besucher über traditionellen Bootsbau und geologische Besonderheiten von Unst informiert. Warum man hier eher Geige als Dudelsack spielt, wo man doch auf schottischem Boden steht? Der Einfluss von Kelten und Skandinaviern überwiegt, denn zu Schottland und dem Vereinigten Königreich gehören die fast 100 kleinen, wie zufällig in den Atlantik geworfenen Felsbrocken erst seit 1469.

"Wir sind eben Shetländer"

Seit Wikingerkönig Christian I. das Landrecht auf dem Archipel an den schottischen König James III. abtrat, hielten Dudelsack und Schottenrock nur in geringem Umfang Einzug. „Zur Einweihung des Shetland-Museums 2007 war die norwegische Königin Sonja erschienen“, schmunzelt Cathy Hallet vom Museum der Inselhauptstadt Lerwick. Ob sie sich hier oben mehr skandinavisch fühlten? „Nein. Wir haben schottische Wurzeln, und wir haben skandinavische Wurzeln. Aber wir sind keins von beidem ganz. Wir sind eben Shetländer.“

Shetländer Sonny spricht daher kaum mit dem für deutsche Ohren schwierigen schottischen Akzent, sondern mehr mit dem, was die nordische Sprache Norn im 19. Jahrhundert auf den Inseln hinterließ - einen eigenen Dialekt, der die eigene Identität der Shetländer auch in dieser abgeschwächten Sprachform noch stark untermauert. Und der ebenfalls schwer zu verstehen ist. Sonny kennt noch die alten Geschichten von den Schlachten der Wikinger, die auf den Inseln lebende Skoten und Pikten zunächst beraubten, bevor sie selbst hier siedelten und sich unters Volk mischten. Unten in Lerwick auf der Hauptinsel, da will Cathy nichts von marodierenden und brandschatzenden Wikingerbanden hören, „sie waren viel zivilisierter als ihr Ruf“. „Aber Unst ist schon echtes Wikingerland“, behauptet Brauer Sonny. Ein Grund mehr, eine Brauerei nach der himmlischen Ruhmeshalle der Nordmänner zu benennen.


Anreise
Mit Easyjet (www.easyjet.de) zunächst nach Glasgow oder Edinburgh, von dort gelangt man mit Flybe (www.flybe.com) auf die Inseln. Per Fähre (12,5 Stunden) ab Aberdeen (www.northlinkferries.co.uk).

 

Unterkunft
Das Saxa Vord Resort auf Unst ist eine saubere und ruhige Jugendherberge mit Bar und Restaurant. Zimmer ab 25 Euro p. P./Nacht: www.saxavord.com

Das Busta House auf Muckle Roe ist ein altes Herrenhaus und bietet neben antiquierter Einrichtung ein ausgezeichnetes Restaurant, Zimmer ab 115 Euro p. P./Nacht: E-Mail: info@bustahouse.com

In Lerwick geben die Betreiber der Alder Lodge gern Auskünfte über Aktivitäten in der Stadt, Zimmer 42 Euro p. P./Nacht. E-Mail: alder.lodge@live.co.uk

Mit Blick auf die Nordsee, in direkter Nachbarschaft zum Flughafen (den man nicht sieht und selten hört), bietet das Sumburgh Hotel typisch britisch eingerichtete Zimmer mit dicken Teppichen und gemütlichen Sesseln. Zimmer 90 Euro p. P./Nacht. E-Mail: info@sumburghhotel.com

Allgemeines
Allgemeine Auskünfte erteilt Visit Scotland, www.visitscotland.com/de

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall im Hotel essen, das Saxa Vord bietet große Portionen, der Bestseller ist Fish & Chips (12 bis 20 Euro). Im Sumburgh Hotel wird moderne Küche mit Traditionellem kombiniert.

Auf keinen Fall Bobby’s Shelter versäumen. Die Bushaltestelle liegt zwischen Baltasound und Haroldswick an der A 968 auf Unst (www.unstbusshelter.shetland.co.uk).
 

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