Auf den Punkt gebracht

Manchen Ureinwohnern Australiens gelingt es, das Elend aus Drogen hinter sich zu lassen.
Michael Deufel aus Alice Springs |
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Alice Springs - Die Hitze, der Staub, die Mücken - in Alice Springs, jenem kleinen Stück Zivilisation im endlos erscheinenden australischen Outback, wird man die Wüste nicht los. Nora Long ist das gewohnt, ungerührt sitzt sie im Schatten vor ihrem Haus. Auf ein etwa ein Quadrat­meter großes Stück Leinen tupft sie Punkte, zieht halbkreisförmige Linien. Ihre Bilder ähneln sich - und erzählen doch immer etwas anderes. Dot-Painting nennt sich die Kunst, mit der die Aborigines, die australischen Ureinwohner, die Geschichten von der Entstehung alles Irdischen aus der sogenannten Traumzeit festhalten. Nora Longs Garten ist eine Station auf der Reise zur 50 000 Jahre alten Kultur der Ureinwohner.

Start ist am Uluru, dem heiligen Berg der Aborigines im Northern Territory, den viele als Ayers Rock kennen. Der Fels ist kein einsamer Brocken in der roten Wüste, als der er auf Bildern oft dargestellt wird. Längst hat sich hier Massentourismus breitgemacht. Täglich landen Düsenjets aus Sydney, Brisbane, Adelaide und bringen Hunderttausende aus aller Welt her. Sie wollen das imposante Farbenspiel des Bergs bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang miterleben. Im Schnitt verbringt ein Tourist nur zwei Tage am Uluru.

Vom gewohnten Gefühl für Zeit sollte man sich verabschieden

Doch dafür braucht es Wetterglück. Manchmal verhindert bedeckter Himmel das Naturschauspiel. Doch für Enttäuschung ist keine Zeit. Phil Taylor, Reiseführer auf der mehrtägigen Fahrt durch den Outback, gibt Verhaltens­regeln an die Hand, die einem in der Wüste im Zweifel das Leben retten. Viel trinken, stets Sonnenschutz tragen, Creme gegen Mücken nicht vergessen. „Und fasst niemals etwas an, von dem ihr nicht sicher wisst, was es ist.“ Vom gewohnten Gefühl für Zeit sollte man sich verabschieden, rät Phil. „Sun grows up, sun comes down - die Sonne geht auf, die Sonne geht unter.“ Einziger Draht zur Außenwelt: Phils Satellitentelefon.

Im klimatisierten Allrad-Truck geht es zu heiligen Stätten der Ureinwohner, in sogenannte Communities in der Wüste, deren Bewohner dabei sind, das Land, das ihnen einst weiße Einwanderer nahmen, wieder als das ihre anzunehmen. Erste Station ist das Mount Ebenezer Roadhouse. In einem Atelier malen drei stille Aborigine-Frauen die jahrtausendealten Symbole auf ihre Leinenfetzen. Meist sprechen die Frauen über die Besucher, selten mit ihnen. Nicht fotografieren, warnt Phil. Viele Aborigines wollen das aus Glaubensgründen nicht. Weiter geht es ins Rainbow Valley, wo Ranger Ricky Orr Touristen zu den Kultstätten seiner Ahnen führt. Sie sind heute Teil eines Nationalparks. Ob Ricky pünktlich ist? Termine einzuhalten fällt vielen Aborigines bis heute schwer. Sun grows up, sun comes down - daran orientierte sich ihr Leben, seit sie Australien bevölkern.

„Hier habe ich meinen Stammesnamen Angale bekommen“

Ricky ist da. Er mit Wollmütze und im Kaki-Look und Phil, der mit sonnengegerbter Haut und Schlapphut jederzeit als Crocodile Dundee durchgehen würden, begrüßen sich wie alte Kumpels. „Hier habe ich meinen Stammesnamen Angale bekommen“, berichtet Ricky Orr. Er hat einen hellhäutigen Vater und eine dunkelhäutige Mutter. Kinder aus solchen Verbindungen hatten und haben es in Australien doppelt schwer. Ricky berichtet aus seiner Kindheit, zögerlich und doch eindrucksvoll - und stimmt nachdenklich. Phil steuert einen Lagerplatz an. Übernachten im Swag genannten australischen Feldbett am Lagerfeuer unter freiem Himmel gehört zu jeder Outback-Safari, roter Staub im Schlafsack inklusive. Phil brät Steaks und bäckt köstliches Zwiebelbrot, dazu gibt es Bier oder - stilvoller - trockenen Rotwein.

Alice Springs liegt vier Stunden Autofahrt vom Uluru entfernt, man fährt meist geradeaus und biegt einmal vom Lasseter Highway nach links auf den Stuart Highway. Die verschlafen wirkende 22 000-Einwohner-Stadt im Northern Territory ist ungefähr die geografische Mitte Australiens - und ein Zentrum der Aboriginal Art. Dort leitet der Franzose Thierry Thivisol die Ngurratjuta Iltja Ntjarra (deutsch: Viele-Hände-Kunstgalerie), eine der vielen Galerien in Alice. Er führt Besucher auch in den Vorgarten von Nora Longs Häuschen. Ihr Bild ist fertig. Anders als die Frauen im Roadhouse lacht Nora, schäkert mit Thierry. Was sie sagt, ist kaum zu verstehen. Sie beginnt das Gemalte zu tanzen und zu singen. Fotografieren, kein Problem.

Alkohol, Drogen und Krankheiten bestimmen das Leben in den Communities

Nach der zweiten Nacht im Outback geht es auf endlosen Sandpisten, sogenannten Dirt Roads, weiter. Während der Rüttelfahrt warnt Phil seine Mitfahrer vor: „Was ihr nachher sehen werdet, ist Dritte Welt pur.“ Einst ihrer Kultur und ihres Landes beraubt, gelingt es vielen Ureinwohnern immer noch nicht, wieder ein Leben annähernd jenem ihrer Ahnen zu führen. Obwohl die australische Regierung versucht, mit Milliardenprogrammen frühere Verbrechen wiedergutzumachen, bestimmen oft Alkohol, Drogen und Krankheiten das Leben in den Communities.

In Haasts Bluff begegnen einem Unrat, Autowracks und heruntergekommene Hütten, ebenso in Papunya. Letztere gilt dennoch als kulturelles Vorbild für viele andere Communities. In beiden Dörfern gibt es gut ausgestattete Kunstateliers. Den Erlös aus dem Verkauf der Bilder teilen sich Künstler und Verwaltung. Nora etwa würde laut Thierry in Paris für eines ihrer Bilder bis zu 1300 australische Dollar erhalten. Weil nach dem Verständnis der Ureinwohner Besitz zum Teilen da ist, erhoffen sich auch Stammesmitglieder, von der einträglichen Malerei zu profitieren.
Ein Kollege von Phil setzt die Reisegruppe vor Morgengrauen am Uluru ab. Dass zwei Kulturen mit völlig unterschiedlichen Wertvorstellungen gemeinsam existieren sollen, kommt einem nach drei Tagen Wüste wie die Quadratur des Kreises vor. Letzter Eindruck vom Outback: doch noch ein in grelles Rot getauchter heiliger Berg bei Sonnenaufgang.


Aboriginal Art
Aboriginal Art erzielt in Australien gut 235 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. Dot-Painting als Mitbringsel gilt für viele Australien-Reisende als Muss. Die Community Papunya gilt als Vorreiter für Aboriginal Art.

Reisen zu Aboriginal Art
Travel-Essence in Frankfurt (travelessence.de), einer der größten deutschen Reiseanbieter mit Ziel Australien und Neuseeland, organisiert mit Tourism Australia (tourism.australia.com) und Singapore Airlines (singaporeair.de) mehrtägige Trips zum Thema Kunst und Kultur der Ureinwohner, Übernachtung unter freiem Himmel im Outback und Abstecher nach Sydney inklusive. Preis pro Person inkl. Flug: ab 4080 Euro. Outback-Safaris können auch direkt bei Wayoutback (wayoutback.com) in Alice Springs gebucht werden (ab 390 Euro für 2,5 Tage).

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten Sie beim Hinflug einen Tag Pause (z. B. in Singapur) einlegen, weil der Outback-Trip anstrengend wird.

Auf keinen Fall sollten Sie Aborigines ungefragt fotografieren - und ebenso wenig die Traumstadt Sydney verpassen.
 

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