Agriturismo-Urlaub: Amore, Gin und Schweinebraten
"Nimm wenigstens einen Apfel, Amore!" Eva heißt hier Grazia, und ihr morgens ohne Frühstück zu entkommen, ist eher schwierig. Von der Küche aus hat sie den perfekten Überblick über den Hof im winzigen San Donato mitten in der Toskana. "Ich bin mit vielen Geschwistern aufgewachsen", erzählt sie, "deshalb bin ich erst zufrieden, wenn es allen gut geht". Das heißt in Italien: Alle sind angenehm satt und fühlen sich mindestens wie zu Hause.
Toskanische Küche: Zwischen Bodenständigkeit und Raffinesse
"Familiäre Atmosphäre" nennt sich das in den Reiseprospekten, Grazia und ihr Mann Riccardo mussten darüber gar nicht erst nachdenken, als sie vor zwölf Jahren das "Podere Picciolo" in den Hügeln über der Kleinstadt Reggello gekauft haben. Beide waren lange genug in der Tourismusbranche beschäftigt und wussten genau, was sie auf ihrem zehn Hektar großen Anwesen nicht wollten.
Also sitzen die Gäste an einer langen Tafel auf der Terrasse, und wenn Grazia abends auftischt, ist das für die meisten der Höhepunkt des Tages. Italienisch Bodenständigem mit gewissen Raffinessen kann keiner widerstehen. "Unser Podere gibt alles her, Gemüse und Obst sowieso, auch das Olivenöl ist unsere eigenes", erklärt Riccardo, "und den Rest besorgen wir in der nahen Umgebung.

Wobei sich "besorgen" ein bisschen zu schnöde anhört. Der Hausherr ist so etwas wie ein Scout oder besser eine Spürnase für sehr gute, solide hergestellte Produkte. "Ohne Sperenzchen", sagt er dann tatsächlich, und man merkt schnell, dass ihm ein schönes, präzises Deutsch mit amüsanten Alltagseinsprengseln über die Lippen geht.
Von Köln in die Toskana
Vierzig Jahre hat er in Köln gelebt und dort für verschiedene Reiseunternehmen gearbeitet, dann selbst eine Firma gegründet und Touren nach Italien angeboten. "Ich weiß, wie der Hase läuft", ist wieder so eine Redewendung, die er genussvoll zelebriert, und schon ist man mit Riccardo mitten in einem Gespräch über Gott und die Welt. Und über die Regierung in Rom.
Zwanzig Jahre lang hat er beim Deutschlandfunk eine Sendung für Italien gemacht – mit Nachrichten aus Germania. Da kommt man nicht umhin, Vergleiche zu ziehen. Und wahrscheinlich gibt es nur wenige, die den Deutschen dieses Italien mit all seinen politischen Kuriositäten und Kapriolen so fundiert erläutern können – Stirnrunzeln inklusive –, um doch immer wieder bei den Vorzügen auf anderen Gebieten zu landen.

Über Weine kann Riccardo bis tief in die Nacht philosophieren, und wer ihm eine Karte unter die Nase schiebt, erfährt aus dem Stegreif, was wo wächst und wie man an feine Tropfen gelangt. Oder wo es den besten Schinken gibt, in der Casa del Procciutto in Vicchio nämlich, wo man im nahen Florenz noch traditionelle Trippa, also Kutteln, bekommt oder in Arezzo ein Eis zum Dahinschmelzen.
Fernab vom touristischen Trubel
Das Podere liegt in wohltuendem Abstand zu den touristischen Zentren, man hat hier seine heilige Ruhe und braucht dennoch nicht lange, um in die Uffizien zu kommen, in Leonardos Geburtsstadt Vinci mit ihrem famos gemachten Museo Leonardiano oder nach Poppi, wo in der imposanten alten Burg Hunderte Zinnfiguren an die Schlacht von Campaldino im 13. Jahrhundert erinnern: Die Florentiner Guelfen haben seinerzeit die Ghibellinen von Arezzo vernichtend geschlagen, und kein Geringerer als Dante Alighieri saß beobachtend im Sattel.
Wer es drauf anlegt, findet an jeder Ecke bedeutende Kultur, das hat der Toskana Unmengen Touristen beschert, im Leonardo-Jahr 2019 noch einige mehr als sonst. Entsprechend hart traf die Menschen neben unzähligen Corona-Opfern der Lockdown im März. Gerade die kleineren Orte ohne jede Industrie leben vom Fremdenverkehr, betont Riccardo.

Wie es jetzt läuft mit den Touristen? "Ende Juni sind die ersten Gäste wieder bei uns eingetrudelt", sagt Grazia, "andernfalls wäre mir die Decke auf den Kopf gefallen". Sie braucht den Umtrieb, hört den Leuten gerne zu, wenn sie von ihren Streifzügen erzählen.
Und nun erweist sich das Landhaus mit seinen gerade mal sechs Zimmern, die sie mit viel Liebe renoviert und ganz unterschiedlich eingerichtet hat, als Glücksfall. Man tritt sich nicht auf die Füße, kann sich zurückziehen in irgendeine Ecke des großen Gartens und ist doch nicht allein. Was ihr selbst gut tut, genießen auch die anderen. Oft sind es Stammgäste, die die Bussos seit Jahren begleiten und längst ihre Lieblingsgerichte haben.
Geheimtipp für Stammgäste
Im Ofen schmurgelt eine Lasagne vor sich hin, das Rezept stammt von Grazias Großmutter aus dem Piemont. Der Schweinebraten braucht noch eine Weile, so dass genug Zeit für einen Aperitivo bleibt. Riccardo holt den Gin und gießt ihn in gekühlte Gläser: "Das ist unser spezieller Klosterschnaps".
Die Mönche im gut zehn Kilometer entfernten Vallombrosa haben ein Händchen für Hochprozentiges, aber ihr Wacholderdestillat ist der Renner. Im "Vallis umbrosa", dem schattigen Tal mit seinen dichten Wäldern, haben sich vor fast tausend Jahren Benediktiner niedergelassen und den Orden der Vallombrosaner gegründet.

Kürzlich erst hat er mit Freunden aus Rom eine Motorrad-Tour durchs Chianti-Gebiet unternommen. Doch selbst bei Falorini, der sonst heftig frequentierten Macelleria am Marktplatz von Greve, hätten sie sofort einen Platz bekommen. Das legendäre Tatar vom Chianina-Rind sei zwar ein Traum gewesen, resümiert er, aber richtig gut hätte es erst geschmeckt, als noch ein paar Ausflügler dazu kamen.
Selbst im August ist es angenehm kühl um die Abtei herum, deshalb verbringen betuchte Florentiner seit Ewigkeiten dort die Sommerfrische. Und nun meint man, auch noch den Duft der alten Tannen aus dem kristallklaren Gin herauszuschmecken.
"Nicht schwafeln, Amore, das Fleisch wartet!"
Auf dem Tisch landet jetzt die Rotweinkaraffe, und die dampfende Lasagne vertreibt jeden Gedanken an dunkle Nadelbäume. Kater Romeo schleicht nervös um die Stühle und weiß doch, dass erst einmal die Gäste dran sind. Sanftes Abendrot hat sich mittlerweile übers Arnotal gelegt.
Grazia träufelt Olivenöl auf den Braten, während Riccardo über die Vorzüge autochthoner Rebsorten plaudert und für ein junges Paar aus dem Badischen Adressen und Routen auf einen Zettel kritzelt.
"Nicht schwafeln, Amore, das Fleisch wartet", flötet es mit feiner Ironie aus der Küche. Riccardo flitzt und kommt Minuten später mit einer virtuos tranchierten Arista alla fiorentina zurück. Zusammen sind die beiden wirklich unschlagbar.
Das Podere Picciolo von Grazia und Riccardo Busso bietet von April bis Ende Oktober Übernachtungen mit Frühstück ab 45 Euro pro Person und Tag. Das Abendmenü aus vier Gängen kostet 27 Euro.
Reservierungen unter der Telefonnummer: 0039-055 8652165
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