Yoga: Die ersten Schritte zu sich selbst
Inzwischen ist es ja fast so: Alles ist Yoga, jeder macht Yoga, sogar der kanadische Premier, die deutsche Fußballnationalmannschaft, nur nicht Donald Trump.
Über 2,7 Millionen Deutsche praktizieren laut einer Studie von 2014 Yoga. Tendenz steigend. Übrigens auch bei den Männern. Doch trotz des Yoga-Booms ist vieles noch unklar und mit Klischees behaftet. Was also ist Yoga, was will und was kann es und wo kommt es eigentlich her? In der neuen AZ-Serie stellen wir Ihnen die Vielfalt des Yoga vor.
Fangen wir so an: Es ist der. Der Yoga. Nicht das. Und er, also der Yoga, ist gerade so beliebt wie seit Jahrtausenden nicht mehr. Das muss ihm erstmal jemand nachmachen. In einer Welt, die sich so schnell zu bewegen scheint, dass einem schier der Atem ausgeht, will man mit all den Ereignissen, Entwicklungen, Events und Trends Schritt halten, möchte man den Überblick nicht verlieren.
Die Sehnsucht, dass das Leben gut und noch besser werden kann
Da fragt man sich doch, wie etwas, das über 3.000 Jahre alt ist, in so modernen, rasanten und aufgeklärten Zeiten Bestand haben, wie es immer noch aktuell sein kann.
Was also ist es, was gerade an die drei Millionen Deutsche dazu veranlasst, sich auf eine Matte zu stellen, zu setzen oder zu legen, um Yoga zu praktizieren?
Es ist vermutlich diese Mischung aus praktischem Üben mit dem eigenen Körper, ansprechender Philosophie, verhaltenspsychologischen Gedanken und erfahrbarer Spiritualität, die all denjenigen Antworten und Lösungsmodelle bietet, die die Hoffnung, die Sehnsucht und den Glauben noch nicht verloren haben, dass alles gut oder zumindest besser werden kann, als sich das eigene Leben gerade präsentiert. Dass der Körper weniger schmerzt, dafür beweglicher wird. Dass die Emotionen nicht mehr so verrückt spielen und das Geschnatter und Gezeter der täglichen Gedanken im Kopf endlich leiser, endlich ruhiger wird. Dass dieses anstrengende, stressbeladene, manchmal auch kranke Dasein vielleicht entspannter, gesünder, heiler und relaxter sein kann. Dass alles doch einen Sinn hat. Irgendwie.
Yoga gibt in einer oft unverständlichen Welt simple Antworten. Er sagt: Eigentlich ist alles ganz einfach, wir haben es nur kompliziert gemacht. Er sagt: Du hast dich ziemlich weit von dir, von dem, wer und was du wirklich bist, was du wirklich möchtest und kannst, entfernt. Komm zu dir zurück. Dann geht es dir wieder gut. Das ist – im Prinzip – alles. Und auf dem Weg zurück muss sich kein Mensch verrenken, wie es nur möglich zu sein scheint, wenn man direkt in eine Artisten- oder Tänzerschule hineingeboren wurde. Man braucht auch keinen sexy, immerjungen Körper, kein schickes Outfit oder teures Equipment, um bei sich anzukommen. Lediglich die Bereitschaft, den ersten Schritt zu tun, dann auf dem Weg zu bleiben, sich uneitel, dafür selbstmögend (von Liebe zu sprechen ist anfangs ja oft noch sehr schwer) in den Mittelpunkt der eigenen Betrachtungen zu stellen, sich darüber immer besser kennenzulernen.
Denn Yoga ist ein Work In, kein Work Out. Schöne Muskeln, ein beweglicherer Körper und tatsächlich mehr Gesundheit sind bei regelmäßigem Üben allerdings eine durchaus angenehme Begleiterscheinung. Aber was ist dieses Selbst, zu dem man mit dem Yoga-Work-In kommen kann oder soll? Dieses Selbst steht für die Idee oder das Bewusstsein, dass wir eine Seele sind, die einen Körper hat. Nicht umgekehrt.
Yoga zählt zu den sechs klassischen Philosophie-Systemen Indiens
Die Erkenntnis oder noch besser Erfahrung eines unsterblichen Kerns, einer kreativen Kraft, eines höheren Bewusstseins, eines göttlichen Funkens, wie auch immer man es nennen mag, kann zu einer veränderten Sichtweise auf die Welt und der eigenen Existenz in ihr führen. Weshalb Yoga auch ein sogenanntes darshana, eine Sichtweise, ist, das zu den sechs klassischen Philosophie-Systemen Indiens zählt – und ursprünglich eine spirituelle Praxis war.
Natürlich kann nicht jeder mit dem spirituellen Gedanken etwas anfangen oder mit der Idee einer unsterblichen Weltenseele im eigenen Körper. Nicht jeder will an einen oder mehrere Götter glauben. Muss ja auch niemand. In einem gesunden Yoga-Verständnis geht es auch nie um blindes Glauben, sondern darum, Erfahrungen zu machen. Und die macht man am eindrücklichsten im sprichwörtlichen "eigenen Leib", weshalb die Körperübungen des Hatha-Yoga ein erster Weg sind, bei sich anzukommen.
Wer also beginnt, immer wieder mal etwas bewusst und achtsam für sich selbst zu tun und sich dabei und auch im Alltag regelmäßig selbt so neutral wie möglich betrachtet, der lernt sich, sein Verhalten, seine Glaubensmuster, seine inneren Bewegungen und Reaktionen auf äußere Ereignisse kennen – und bemerkt, was ihm gut tut und was eher nicht.
Letzteres können überholte Denkweisen, Ansichten, blind übernommene Traditionen, Lebensweisen, Ernährungsgewohnheiten, Menschen im eigenen Umfeld, Filme, Bücher oder Zeitschriften sein und auch Musik, die man hört. Vielleicht sieht man auch, wie sehr das eigene Verhalten Auswirkung auf die unmittelbare und allgemeine Mit- und Umwelt hat.
All das kann dazu führen, dass man beginnt, sein Leben Schritt für Schritt zu verändern, dass man anfängt, aus dem oft abgestumpften Alltag mit seinen zahlreichen unbewussten, automatischen "Täglich-grüßt-das-Murmeltier"- Momenten auszubrechen. Dass man sich lebendiger, authentischer, selbstbestimmter, freier und zufriedener fühlt. Dass man achtsamer und bewusster lebt und handelt. Der Yoga stellt dafür eine ganze Reihe an unterstützenden Mitteln- und Methoden zur Verfügung, so dass jeder seinen Weg zu mehr innerer Weite, Freiheit, Gesundheit und Lebensfreude finden kann. Am bekanntesten und beliebtesten ist das, was heute unter dem Überbegriff Hatha-Yoga in verschiedensten Formen und Stilen von den meisten Menschen praktiziert wird.
Das Ergebnis: innerlich zufrieden und gelassen sein
Das Ergebnis einer regelmäßigen Beschäftigung mit Yoga und all seinen Aspekten kann sein, dass man innerlich so zufrieden und gelassen wird, dass man seine Mitwelt in Frieden sein lassen kann. Wer an diesem Punkt angelangt ist, das sagen die Yogis, hat ein großes Stück Freiheit gewonnen – und für ein bisschen mehr Frieden auf der Welt gesorgt.
Ist das nicht ein guter Grund, mit Yoga zu beginnen?