Zu milde? Vorsicht!
"Ein gerechtes Urteil kann es nicht geben. Ein angemessenes schon": Frank Müller, der Leiter der AZ-Aktuell-Redaktion, zum Urteil für den U-Bahn-Schubser.
Wie wahrscheinlich ist es, dass der heute 70 Jahre alte Rentner, über dessen Verurteilung Sie gerade auf Seite 1 gelesen haben, noch einmal eine vergleichbare Tat begeht? Vermutlich gleich null. Wäre deswegen eine Bewährungsstrafe das angemessenere weil gnädigere Urteil gewesen?
Und nun derselbe Fall, anders herum betrachtet: Wie leicht hätte dem Mädchen, das er vor die U-Bahn stieß, etwas Schlimmes passieren können. Sind da zwei Jahre und neun Monate nicht ein Witz?
Beides stimmt, und die Frage, was nun wirklich gerecht wäre, führt tief in die Moral- und Rechtsphilosophie. Es kann in einem solchen Fall kein Urteil geben, das alle Seiten als richtig empfinden. Ein solches zu verlangen hieße, unser Justizsystem zu überfordern. Denn zur Schaffung von Frieden und Ausgleich auf der Erde ist es nun einmal nicht gemacht.
Doch trotzdem löst dieses Münchner Urteil besonderes Unbehagen aus. Die rege Debatte über den Fall auf abendzeitung.de zeigt es: Viele haben das Gefühl, dass das Urteil zu große Milde walten lässt. Der Adressat solcher Kritik kann freilich nicht das Gericht sein, das den Fall U-Bahn-Schubser handwerklich korrekt aburteilte und seinen Spielraum vernünftig nützte. Sondern vielmehr unser Strafrecht insgesamt, das noch immer zu wenig unterscheidet zwischen Sachbeschädigung und Diebstahl hier und Körperverletzung und Gewalt dort. Ohne den gewöhnlichen Einbrecher in Schutz nehmen zu wollen: Der Angriff auf Leib und Seele eines Menschen ist schon nochmal ein anderes Kaliber.