Wieviel ist das Geld wert?
MÜNCHEN - In den USA gibt es nun sogar schon eine Deflation – warum manche Menschen dennoch glauben, dass sie immer weniger kaufen können. Die AZ klärt die wichtigsten Fragen.
Preise und Psyche: Viele Menschen hatten in den letzten Monaten das Gefühl, dass ihre Kaufkraft immer weiter schrumpft (siehe Grafik). Zwischen Wahrnehmung, tatsächlichen Preissteigerungen oder nun sogar Preissenkungen geht die Schere weit auseinander. Hans Wolfgang Brachinger von der Uni Fribourg (Schweiz) ist Experte auf diesem Gebiet – und erklärt, wie die gefühlte Inflation unseren Konsum beeinflusst und was eine Deflation bedeuten kann.
Kommt jetzt eine Deflation?
Ein neues Krisengespenst geht um: Deflation. In den USA sanken die Preise im März im Vergleich zum Vorjahresmonat um 0,4 Prozent – zum ersten Mal seit 1955 gibt es in den USA keine Inflation mehr. Auch in Deutschland fürchten viele den Preisverfall: Im März sind bei uns bereits die Großhandelspreise um acht Prozent eingebrochen, das kann sich jetzt auch auf die Verbraucherpreise durchschlagen.
Warum ist Deflation so schlimm?
Für den Verbraucher ist die Deflation zunächst positiv, für die Wirtschaft aber ein Horrorszenario: Unternehmer rechnen mit sinkenden Erträgen, stecken deshalb Investitionen zurück und Konsumenten kaufen weniger, weil sie mit immer weiter sinkenden Preisen rechnen. Von einer wirklichen Deflation spricht man aber erst, wenn der Preisverfall lange anhält.
Gibt es auch in Europa eine Deflation?
Nein, sagt Hans Wolfgang Brachinger. Zwar hat Deutschland eine der niedrigsten Teuerungsraten in ganz Europa – über zwölf Monate bis einschließlich März 2009 verzeichnete die Bundesrepublik einen Durchschnittswert von nur 2,2 Prozent. Verglichen mit dem Vormonat fiel die Teuerungsrate im März von einem Prozent auf 0,5 Prozent.
Allerdings ist der Verbraucherpreisindex in den Monaten Februar und März 2008 – den aktuellen Vergleichsmonaten – stark angestiegen. Deshalb fällt der jetzige Vergleich so extrem niedrig aus.
Anders als die amtliche Statistik unterscheidet Brachinger bei den Verbraucherpreisen zwischen zwei Arten von Gütern: den kaufhäufigen und den kaufseltenen. Erstere sind Dinge, die man ständig kauft und braucht, wie Brot, Butter, Benzin – und die beeinflussen vor allem unsere Inflationswahrnehmung, weil der Akt des Kaufens eben so häufig ist. Die kaufseltenen Güter sind Luxusartikel wie Fernseher, Digitalkameras, Möbel, der teure Wintermantel. Entscheidend sind die kaufhäufigen Güter. Die kauft man sowieso, Preise hin oder her. Sind die Preise hier stabil, ist das gut für das allgemeine Kaufverhalten: „Muss ich nicht mit einem höheren Preis für Butter und Brot rechnen, gönne ich mir im Frühjahr vielleicht einen Sonnenschirm für die Terrasse.“
Brachinger hält die Deflations-Angst für unbegründet: „Bei Gütern wie Fernsehern und Digitalkameras haben wir seit Jahren schon eine kräftige Deflation. Niemand glaubt deshalb, dass die Menschen die Käufe aufschieben. Sie kaufen dann, wenn sie es sich leisten können und wenn sie eine niedrige Inflation wahrnehmen.“
Welche Produkte werden tatsächlich teurer?
Preissteigerungen gab es zuletzt bei Gas und Strom, außerdem bei Alkohol und Tabak. Außerdem verteuerten sich gegenüber 2008 Bekleidung und Schuhe.
Wie wichtig ist die Psychologie?
Extrem wichtig, hat Brachinger herausgefunden. Je nachdem, wie hoch oder niedrig die Konsumenten die Inflation empfinden (siehe Infokasten), geben die Menschen viel oder wenig aus, weil sie auch ihre Kaufkraft als hoch oder niedrig empfinden. Dabei muss die Wahrnehmung gar nicht der Realität entsprechen (siehe Grafik). Eine niedrige Inflation begünstigt das Kaufklima, eine hohe ist eher schlecht. „Die gefühlte Inflation ist so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Deshalb schimpft auch im Moment keiner.“ Und deshalb muss man sich um den Konsum eigentlich keine Sorgen machen.
Wie sinnvoll sind dann überhaupt Konsumanreize wie die Abwrackprämie?
„Die wirkt sicher positiv auf die Konsumneigung der Menschen“, sagt Hans Wolfgang Brachinger. „Sie wirkt aber nur bei denen, die Ersparnisse haben. Das untere Drittel der Bevölkerung hat keine Ersparnisse und profitiert somit nicht von der Abwrackprämie. Sie trägt also in gewisser Weise zur Spaltung der Gesellschaft bei.“
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