Wie Temu und Shein dem Einzelhandel vor Weihnachten zusetzen

Viele Menschen in Deutschland kaufen ihre Weihnachtsgeschenke bei asiatischen Shoppingportalen - zum Ärger des Handels. Wie groß ist der Schaden?
von  Christian Rothenberg, dpa
Das Weihnachtsgeschäft ist für den Einzelhandel eine besonders wichtige Zeit. (Symbolbild)
Das Weihnachtsgeschäft ist für den Einzelhandel eine besonders wichtige Zeit. (Symbolbild) © Thomas Frey/dpa

263 Euro - so viel Geld möchten die Menschen in Deutschland im Schnitt für Weihnachtsgeschenke ausgeben. Das geht aus einer YouGov-Umfrage hervor. Gute Aussichten für den Handel könnte man denken. Das Weihnachtsgeschäft kommt jedoch bislang nicht recht in Schwung. Die Branche hat nicht nur mit der Kaufzurückhaltung zu kämpfen, sondern auch damit, dass viele ihr Geld woanders ausgeben. Vor allem asiatische Portale nehmen den Einzelhändlern Umsätze weg, wie mehrere Untersuchungen zeigen:

Jeder Fünfte kauft Weihnachtsgeschenke bei Temu, Shein & Co.

Gut jeder Achte in Deutschland (12 Prozent) hat laut YouGov bereits Weihnachtsgeschenke bei Temu, Shein oder AliExpress gekauft. Fast jeder Zehnte (9 Prozent) plant dies noch. Besonders gefragt sind Mode, Weihnachtsdeko, Spielzeug und Haushaltswaren. Die Hälfte der Käufer gibt bis zu 100 Euro bei den Portalen aus, ein weiteres Viertel zwischen 100 und 199 Euro, 14 Prozent geben mehr aus.

Umsätze von bis zu einer Milliarde Euro

Der Handelsverband Deutschland (HDE) schätzt, dass Temu und Shein im November und Dezember hierzulande einen Umsatz von bis zu einer Milliarde Euro erzielen. "Diese Verkäufe entgehen den Händlerinnen und Händlern in Deutschland", sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Jeder verlorene Euro hinterlasse Spuren, da das Weihnachtsgeschäft über den Erfolg des Geschäftsjahres entscheide.

Insgesamt rechnet der Verband in den beiden Monaten mit 126 Milliarden Euro Umsatz - inflationsbereinigt wäre das etwa so viel wie im Vorjahr. Die Wochen vor dem Heiligabend sind für die Branche die wichtigsten des Jahres, aber viele Unternehmen erwarten ein schwaches Geschäft. Laut einer Händler-Umfrage des HDE rechnet nur jeder Zehnte damit, dass das Weihnachtsgeschäft besser verläuft als im Vorjahr. Jeder Zweite geht von einer Verschlechterung aus. 

Modebranche besonders betroffen

"Temu und Shein belasten vor allem die Modehändler, die im vergleichbaren Preissegment tätig sind, also vor allem preisorientierte Formate, aber durchaus auch mittelpreisige Modehäuser", sagt Axel Augustin, Geschäftsführer des Branchenverbandes BTE. Der Verband schätzt, dass der Branche wegen der asiatischen Shops in diesem Jahr über drei Milliarden Euro Umsatz entgehen. Im Weihnachtsgeschäft sei das besonders schmerzhaft, so Augustin. Die Modebranche kämpft bereits seit längerem mit einer schwachen Nachfrage.

Rabattaktionen verlieren an Reiz

Wie groß die Anziehungskraft von Temu, Shein & Co. ist, lässt sich auch rund um den Black Friday beobachten. Laut einer Studie des Handelsforschungsinstituts IFH Köln verlieren die Rabatttage Ende November für viele Kunden zunehmend an Reiz. Jeder Dritte gibt dies in einer Umfrage an, bei Jüngeren sogar jeder Zweite. Ein Teil der Verbraucher verzichtet bewusst auf die Aktionstage. Ein Grund: Asiatische Shops bieten das ganze Jahr über niedrige Preise. 23 Prozent der Befragten sagen das, unter Jüngeren noch mehr.

Preisbewusstsein versus Bedenken

Wie ist der Erfolg der asiatischen Online-Plattformen zu erklären? Die Weihnachtszeit ist erneut stark vom Sparen geprägt. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Oliver Wyman wollen 39 Prozent der Verbraucher weniger für Weihnachtseinkäufe ausgeben. 

Temu und Shein punkten vor allem mit niedrigen Preisen, sagt Ralf Deckers vom IFH Köln. Zudem bieten die Portale Produkte, die hierzulande kaum zu finden seien. Laut YouGov-Umfrage kaufen Konsumenten dort, weil sie eine riesige Auswahl finden (71 Prozent), regelmäßig angebotene Rabatte nutzen (54 Prozent) und Freude am Stöbern haben (44 Prozent).

Die Vorbehalte zeigen sich in den Gründen, die von Menschen angegeben werden, die dort nicht bestellen. 45 Prozent zweifeln an der Qualität, 41 Prozent sorgen sich um ihre Gesundheit. 32 Prozent bemängeln fehlende Sicherheitsstandards, 27 Prozent nennen ethische Bedenken wie Arbeitsbedingungen oder Umwelt. 23 Prozent möchten lokale Händler unterstützen, 19 Prozent fürchten das Risiko von Plagiaten und Fälschungen.

Rainer Münch, Handelsexperte bei Oliver Wyman, sagt: "Trotz aller Kritik haben sich Temu und Shein bei den Verbrauchern in Deutschland fest als Einkaufsstätte etabliert." Das Preis-Leistungs-Verhältnis sei für viele unschlagbar.

Asiatische Portale wachsen immer weiter

Die großen asiatischen Anbieter Temu, Shein und AliExpress haben ihr Geschäft deutlich ausgebaut, wie Zahlen des E-Commerce-Verbandes Bevh belegen. Die drei Unternehmen erzielten 2025 in Deutschland pro Quartal zusammen über 800 Millionen Euro Umsatz - deutlich mehr als in den Vorjahreszeiträumen. Ihr Marktanteil im deutschen Onlinehandel beträgt inzwischen rund fünf Prozent. 

Laut HDE werden täglich etwa 400.000 Pakete von Shein und Temu nach Deutschland verschickt. Der Verband beklagt mangelhafte Produktqualität und unfaire Wettbewerbsbedingungen. Er fordert eine strengere Regulierung, schärfere Kontrollen sowie mehr Personal für den Zoll.

Zahl der Insolvenzen im Einzelhandel steigt

Der deutsche Einzelhandel steckt in der Krise, die Lage spitzte sich zuletzt zu. Von August 2024 bis August 2025 registrierte Allianz Trade 2.490 Insolvenzen – der höchste Wert seit Oktober 2016. "Der kometenhafte Aufstieg" der asiatischen Portale erhöhe den Wettbewerbsdruck auf hiesige Einzelhändler enorm und habe zum Anstieg der Insolvenzen beigetragen, sagt Branchenexperte Guillaume Dejean.

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