Warten, bis der Arzt kommt
MÜNCHEN Ein Praxistermin beim Internisten? Kein Problem, sollte man meinen. Aber die Test-Anrufer der Landtags-Grünen erhielten viele abweisende Antworten. Die harscheste gab’s in München: Dort ließ ein Internist dem Kassenpatienten mitteilen, leider könne überhaupt kein Termin vergeben werden – ein Privatpatient mit den gleichen Beschwerden wurde aber schon für den nächsten Tag in die Praxis bestellt.
Gesetzlich versichert? Dann nur Hilfe bei Fuß-Problemen. Bei insgesamt 610 Praxen Arztpraxen in ganz Bayern ließen die Landtags-Grünen Testanrufer nach einem Termin fragen. Mal gaben die verdeckten Tester an, sie seien Kassenpatienten, mal behaupteten sie, privat versichert zu sein. Das Ergebnis: In den meisten Praxen mussten Kassenpatienten länger auf einen Termin warten als Privatpatienten. In 14 Praxen hörten die vermeintlichen Patienten es sogar, für sie sei gar kein Termin frei. Ein Anrufer, der sich in einer Orthopädiepraxis wegen Rückenproblemen meldete, wurde gesagt, der Arzt sei nur im Bereich der Fußgelenke aktiv. Eine andere Testperson, die in der gleichen Praxis vorgab, Privatpatient zu sein, bekam „relativ zeitnah“ einen Termin.
Drei von zehn Ärzten verhielten sich korrekt. Weiße Schafe unter den niedergelassenen Ärzten gibt es laut der Untersuchung allerdings auch: Bei 30 Prozent der angerufenen Praxen unterschieden sich die Wartezeiten von Kassen- oder Privatpatienten kaum. Der Ausreißer: 280 Tage Wartezeit. Um so größer waren allerdings die Unterschiede bei den übrigen 70 Prozent. Im Schnitt wartete ein Kassenpatient 17 Tage länger auf einen Termin als ein Privatpatient. Einen deutlichen Ausreißer verzeichneten die Tester in Kaufbeuren: Bei einem dortigen Augenarzt gab es den Privattermin bereits nach 26 Tagen, der Termin für den Kassenpatienten wäre in 280 Tagen möglich gewesen.
Qualitätsunterschiede auch bei der Behandlung selbst? Waltraud Schopper, die Chefin der bayerischen Grünen, hat wenig Verständnis für die Ärzte: „Bei diesen Zahlen liegt der Verdacht nahe, dass manchen Medizinern der eigene Geldbeutel näher ist als das Wohl der Patienten.“ Die Politikerin bemängelt auch, dass Privat- und Kassenpatienten häufig in verschiedene Wartezimmer gebeten würden, es also auch für die Behandlung selbst „gravierende Qualitätsunterschiede“ gebe. Schopper fordert deswegen erneut eine „Bürgerversicherung“, also eine Abschaffung des Zwei-Klassen-Prinzips in der Gesundheitsversorgung. Nur wenn für die gleiche Leistung gleiches Geld gezahlt werde, würden Ärzte Kassenpatienten genauso gut behandeln wie Mitglieder der gesetzlichen Kassen.
Von Gesetzes wegen sind Kassenärzte dazu verpflichtet, mindestens 20 Stunden wöchentlich in ihrer Sprechzeit für Kassenpatienten da zu sein. Dies werde auch durch „zeitliche Plausibilitätsprüfungen“ kontrolliert, heißt es bei der Kassenärztlichen Vereinigung – auf welchem Weg und wie häufig genau, konnte die KVB am Freitag allerdings nicht mitteilen.
Ärzte: Die Befragung ist nicht repräsentativ. Die Vereinigung widersprach den Vorwürfen der Grünen: Wenn ein Arzt Kassenpatienten doch länger warten lasse als Privatpatienten, sei dies eine Folge des Sparzwangs im Gesundheitswesen. Überdies sei die Untersuchung der Grünen nicht repräsentativ. Eine Patientenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung habe Anderes ergeben: Demnach hätten 34 Prozent der Patienten in Bayern sofort einen Termin bekommen, weitere 20 Prozent binnen drei Tagen. Was die Kassenärztliche Vereinigung im Freistaat dabei allerdings nicht erwähnt, sind weitere Details der bundesweiten Patientenbefragung. Sie bestätigen im Prinzip die Kritik der Grünen: „Privat versicherte Bürgerinnen und Bürger kommen tendenziell schneller zum Zug als Mitglieder der gesetzlichen Kassen.“