Verbraucherschützer gegen "Igel"-Verkaufe
MÜNCHEN Aufgeregt hüpft der Verkaufstrainer auf der Bühne herum, andächtig lauschen ihm Zahnärzte. Eindringlich erklärt ihnen Frank Frenzel, wie sie ihren Patienten teure Zusatzleistungen andrehen können – selbst jenen „depressiv-hängerigen“ Zeitgenossen, die gerade in persönlichen Krisen sind. „Patientenberatung nach Maß“:
Verkaufstrainings wie dieses, für das im Internet per Video Werbung gemacht wird, sind in der Ärzteschaft gang und gäbe. Für rund 1,5 Milliarden Euro im Jahr verkaufen Ärzte ihren Patienten „Individuelle Gesundheitsleistungen“ – im Abrechnungs-Jargon „Igel“. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) kritisiert jetzt die mangelnde Aufklärung in Arztpraxen: Die Patienten würden viel zu wenig über die Kosten aufgeklärt, die ihnen mit den „Igel“-Leistungen entstehen.
Vorausgegangen war eine Online-Umfrage des VZBV, an der sich 1700 Verbraucher beteiligten: Demnach erinnerte sich nur jeder Vierte daran, über Risiken aufgeklärt worden zu sein. Über den individuellen Nutzen fühlte sich nur gut jeder Zweite informiert. Ausreichende Bedenkzeit gab es bei 51 Prozent der Fälle. „Viele Ärzte nutzen das Vertrauen der Patienten aus, wenn sie vom Helfer zum Verkäufer werden“, sagte Verbandsvorstand Gerd Billen. Er forderte die Bundesregierung auf, das Patientenrechtegesetz nachzubessern. Der „Igel“-Bereich solle strengeren Regeln unterliegen.
„Selbstzahlerleistungen sollen der Gesundheit dienen, nicht die Selbstbedienungsmentalität mancher Ärzte befeuern“, forderte Billen. Spitzenreiter bei diesen Leistungen sind laut der VZBV-Umfrage Glaukomfrüherkennung (Grüner Star), Ultraschall, PSA-Test (Prostata) und zahnärztliche Behandlungen. Mit 82 Prozent seien die meisten dieser Behandlungen nicht auf Initiative der Patienten zustande gekommen. In fast jedem zweiten Fall sei das Praxispersonal direkt am Verkauf beteiligt gewesen. In vielen Fällen lassen Mediziner auch ihre Sprechstundenhilfen von Verkaufstrainern schulen. Bis vor kurzem gab es dafür sogar Fördermittel vom Staat. Erst vor kurzem stellte Berlin die Auszahlung von Zuschüssen für diese Seminare ein. Die Begründung: Eine aktive Vermarktung von „Igel“-Leistungen sei mit ethischen Grundsätzen nicht vereinbar.
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