Urteil zur Nachtarbeit: Welche Rolle spielt der Mindestlohn?
Erfurt - Welche Rolle spielt das Mindestlohngesetz für die vielen Schichtarbeiter in Deutschland? Damit beschäftigt sich das Bundesarbeitsgericht am Mittwoch in Erfurt.
Die Richter in den dunkelroten Roben wollen die Frage beantworten, ob Geringverdiener einen Anspruch darauf haben, dass der Mindestlohn als Basis für die Berechnung von Nachtschichtzuschlägen dient. Der Präzedenzfall für ein weiteres Urteil des höchsten deutschen Arbeitsgerichts zu der 2015 eingeführten Lohnuntergrenze kommt aus Sachsen.
Warum müssen sich die Bundesrichter noch immer mit dem vor gut zweieinhalb Jahren eingeführten Mindestlohngesetz befassen?
Es dauert einige Zeit, bis Streitfälle über die Arbeits- und Landesarbeitsgerichte bis zur letzten Instanz - dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt - gelangen. Drei Grundsatzurteile zum Mindestlohn, der nach zunächst 8,50 Euro aktuell bei 8,84 Euro pro Stunden liegt, gibt es nach Angaben einer Gerichtssprecherin bereits.
Nicht jedes stieß auf Beifall von Betroffenen und Gewerkschaften.
Ja, das gilt für das erste Urteil von Mai 2016. Danach können Arbeitgeber bestimmte monatliche Zahlungen anrechnen, um die gesetzliche Lohnuntergrenze zu erreichen. Anrechenbar sind beispielsweise Urlaubs- und Weihnachtsgeld, wenn sie als Entgelt für erbrachte Arbeitsleistungen vorbehaltlos gezahlt werden.
Was ist außerdem entschieden?
Nach zwei weiteren Urteilen können Arbeitnehmer auf Mindestlohn bei Krankheit und bei Bereitschaftsdiensten pochen, so eine BAG-Sprecherin. Im Fall eines Rettungssanitäters aus Nordrhein-Westfalen entschieden die Richter, das Mindestlohngesetz lasse keine Differenzierung zwischen regulärer Arbeitszeit und Bereitschaftsstunden zu. Damit gilt er auch für die Zeit, in der Arbeitnehmer auf ihren Einsatz warten. "Das BAG hat wesentliche Pflöcke schon eingeschlagen", so der Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing.
Worum geht es beim aktuellen Fall aus einem Unternehmen für Kunststofftechnik in Sachsen?
Eine Produktionsarbeiterin, die seit mehr als 25 Jahren in der Firma in der Region Bautzen arbeitet, verlangt, dass ihr Nachtzuschlag auf der Grundlage des Mindestlohns ermittelt wird. Das Arbeitsgericht Bautzen und das sächsische Landesarbeitsgericht stellten sich an die Seite der Frau. Ihr Arbeitgeber berechnete den tariflichen Nachtzuschlag von 25 Prozent nach einem älteren Metall-Entgelttarifvertrag in Sachsen, der nur einen Stundenlohn von 7,00 Euro vorsah. Die Firma war aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten.
Wie viele Arbeitnehmer könnte das Urteil betreffen?
Zehntausende - nicht nur in der Industrie gibt es viele Schichtarbeiter. Laut Gesetz steht ihnen ein angemessener Nachtarbeitszuschlag zu, um die Sonderbelastung zu vergüten, wie eine Arbeitsrechtlerin erläutert. Diese zweckgebundene Zahlung dürfe laut Rechtsprechung nicht mit dem Mindestlohn verrechnet werden. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung geht von etwa fünf Millionen Arbeitnehmern aus, die vor 2015 weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten.
Wie geht es mit dem Mindestlohngesetz weiter?
Der Bonner Arbeitsrechtler Thüsing sieht noch "Bedarf an Feinkorrekturen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes sollte präzisiert werden". Als Beispiel nennt er Praktikanten und Ehrenämtler. Ein Bundesrats-Vorstoß unter anderem von Thüringen und Brandenburg, die Anrechnung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld künftig zu verhindern, scheiterte 2016. In ihren Programmen zur Bundestagswahl haben viele Parteien Vorschläge, das Gesetz zu präzisieren oder es für Geringverdiener zu verbessern.
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