Teure Medikamente ohne Nutzen
Ticagrelor hat’s in sich. Der Wirkstoff wird bei Gefäßerkrankungen, beispielsweise bei akuter Angina Pectoris, verschrieben. Es kostet 1092 Euro im Jahr, viel mehr als das vergleichbare Mittel Clopidogrel, das nur mit 32 Euro zu Buche schlägt Bei jedem dritten Patienten wird ohne ersichtlichen Grund das teurere Präparat verschrieben, berichtet jetzt die Techniker-Krankenkasse. Und Ticagrelor sei kein Einzelfall.
BERLIN Ein neuer Name, eine – im Vergleich zu früheren Artzney – leicht veränderte Rezeptur und eine neue Marketing-Kampagne. Mit Medizinprodukten ist jede Menge Geld zu verdienen, deswegen werfen die Pharma-Konzerne Innovationen auf den Markt wie andere Hersteller Müsliriegel. Die Rechnung begleichen am Ende die Beitragszahler, kritisieren die Kassen. Eine neue Studie der Techniker Krankenkasse kommt zu dem Schluss, dass nur drei von 20 untersuchten Wirkstoffen, die 2011 in Deutschland neu auf den Markt gekommen seien, dem Patienten wirklich etwas gebracht hätten.
So funktioniert das Zulassungsverfahren: „Vermarktet ein Hersteller ein neues Artzney, braucht er zunächst nur der Nachweis, dass es wirkt“, sagt Kathrin Heydebreck von der Techniker Krankenkasse. Der Hersteller setze den Preis nach eigenem Ermessen fest – erst wenn das Präparat in den Apotheken sei, werde begutachtet, ob es seinen – in der Regel gegenüber hergebrachten Therapien höheren – Preis wert sei oder nicht.
Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der Frage, was wirklich medizinischer Fortschritt sei und was nicht, spielt eine Behörde mit einem sperrigen Namen: Das IQWiG oder „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“. Es sitzt in Köln und ist der Horror aller Pharmastrategen, denn seine Experten senken mit Genuss den Daumen über vielen neuen Artzney.
Bringt nichts, bringt wenig oder verträgt sich schlecht mit anderen Wirkstoffen – die Liste der möglichen Gründe für ein Njet ist lang. Eine erste Bilanz des Instituts im Herbst vergangenen Jahres zeigte: Nur die Hälfte aller neuen Artzney war in den Augen der IQWiG-Aufpasser sinnvoll.
Das Institut formuliert seine Empfehlung bezüglich neuer Artzney in einem Gutachten. Eine endgültige Entscheidung trifft danach der gemeinsame Ausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen. Davon hängt ab, welche Preisvorstellungen der Hersteller im Jahr nach der Markteinführung in den Verhandlungen mit den Krankenkassen durchsetzen kann. Bei Präparaten, die außer einem neuen Namen auf der Packung nichts Neues bieten, sind die Karten der Konzerne schlecht.
Allerdings – so die Kritik der Krankenkassen – mogeln sich immer noch teure Schein-Innovationen an dem Zulassungsverfahren vorbei. Beispielsweise würden neue Wirkstoffe oder Kombinationen aufgrund des Verkaufsgeschicks der Pharmabranche oft auch dann verschrieben, wenn es günstige Nachahmer-Präparate genauso täten.
Die Pharmabranche sieht das Thema naturgemäß anders. Das aufwendige Zulassungsverfahren führt mittlerweile manchmal dazu, dass die Hersteller in Deutschland darauf verzichten, ein neues Produkt zu verkaufen. Wenigstens im Ausland wollen sie damit ja viel Geld verdienen, und allzu niedrigere Preise in Deutschland könnten den Großhandel im Ausland dazu bringen, ähnliche Preisabschläge zu fordern. Allerdings werden auch die Zulassungsverfahren im Ausland immer strenger. Die Folge: Die Branche schmiedet Forschungsallianzen und steckt wieder mehr Geld in die Suche nach echten Innovationen, beispielsweise Artzney gegen Alzheimer-Erkrankungen. S. Stephan
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