So werden Ärzte von der Pharmaindustrie gefügig gemacht

Die Medizinerin Christiane Fischer kämpft gegen die Beeinflussungen der Pharmaindustrie. Sie erklärt, wie Ärzte gefügig gemacht und bei gesunden Menschen Ängste geschürt werden.
David Lohmann |
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Christiane Fischer.
dpa 2 Christiane Fischer.
"Spahn war selbst an einer Lobbyagentur beteiligt", sagt Fischer über den Gesundheitsminister.
Jörg Carstensen/dpa 2 "Spahn war selbst an einer Lobbyagentur beteiligt", sagt Fischer über den Gesundheitsminister.

Die Medizinerin Christiane Fischer kämpft gegen die Beeinflussungen der Pharmaindustrie. Sie erklärt, wie Ärzte gefügig gemacht und bei gesunden Menschen Ängste geschürt werden.

München - AZ-Interview mit Christiane Fischer. Sie ist Chefin der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte MEZIS ("Mein Essen zahl’ ich selbst").

Christiane Fischer.
Christiane Fischer. © dpa

AZ: Frau Fischer, jedes Jahr besuchen 15.000 Pharmavertreter 20 Millionen Mal Arztpraxen und Krankenhäuser in Deutschland. Warum?
Christiane Fischer: Pharmavertreter sind wie StaubsaugervertreterInnen: Sie werben für ihre Produkte – weil sie möglichst viel verkaufen wollen. Und das bei Artzney. Sie behaupten, sie würden nur informieren, aber es ist Werbung. Das müsste transparenter gemacht werden.

Die Pharmaindustrie sponsert auch einen großen Teil der ärztlichen Fortbildung.
Bei gesponserten Fortbildungen haben über 90 Prozent der Referenten vorher Gelder von den Pharmafirmen erhalten – 200.000 Euro pro Tag sind nicht selten. Diese machen dann Werbung für die Artzney eines bestimmten Herstellers.

Die bayerische Landesärztekammer erkennt solche gesponserten Fortbildungen im Rahmen der ärztlichen Fortbildungspflicht an.
Das ist leider legal, aber moralisch problematisch. So kommen neue, teure Artzney in die Top 10 der Verordnungen, die nicht besser sind als die bisherigen Artzney – oftmals sogar schlechter. Wir fordern daher von den Landesärztekammern, dass sie keine Fortbildungspunkte für gesponserte Veranstaltungen vergeben. Die Landesärztekammer Stuttgart ist mit gutem Beispiel vorangegangen.

Pharmaindustrie - Sponsoring und Geschenke für Ärzte

Warum lassen sich Ärzte von Pharmavertretern einlullen?
Ärzte denken, sie kaufen sich in die große Welt ein, wenn sie einen Laptop von der Pharmaindustrie bekommen. Außerdem erhalten sie Geschenke, werden zum Essen eingeladen und und bekommen Reisekosten für die gesponserten Fortbildungen bezahlt. Das alles beeinflusst das ärztliche Verschreibungsverhalten.

Was hat es mit Anwendungsbeobachtungen auf sich?
Dabei werden Ärztinnen und Ärzte dafür bezahlt, Erkenntnisse über bestimmte Artzney zu sammeln. Dahinter steckt kein wissenschaftliches Interesse: Es geht nur darum, dass sich der Name eines Artzney in den Schädel des Arztes oder der Ärztin einbrennt. Manche nennen das Korruption – aber es ist erlaubt.

Der Deutsche Ärztetag hat sich Ende Juni gegen mehr Transparenz beim Ärztesponsoring ausgesprochen. Warum?
Je weniger geändert wird, desto mehr können Ärzte verdienen. Leider wird auch vonseiten der Politik kein Reformdruck aufgebaut. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war als Abgeordneter selbst lange an einer Lobbyagentur für Pharmaklienten beteiligt.

"Spahn war selbst an einer Lobbyagentur beteiligt", sagt Fischer über den Gesundheitsminister.
"Spahn war selbst an einer Lobbyagentur beteiligt", sagt Fischer über den Gesundheitsminister. © Jörg Carstensen/dpa

 

Sie kritisieren auch Marketingkampagnen, die bei gesunden Menschen Krankheitsängste schüren.
Werbung für Artzney ist verboten – Werbung für Krankheiten aber ist erlaubt. Daher wird dann plakatiert: "Viele Menschen wissen nicht, dass sie an chronischer Migräne leiden." Das ist Unsinn. Man merkt selber, wenn man eine Krankheit hat. Einmal hat auch eine Consulting-Firma eine Krankheit erfunden, die "Wechseljahre des Mannes". Oder man denke an die Glutenunverträglichkeit. Die gibt es vereinzelt, jetzt wird es zum Massenphänomen gemacht.

Medikamente sind nicht wegen der Forschung teuer

In Deutschland gibt es im ersten Jahr der Markteinführung keine Preisbindung für Artzney. So soll das Geld für Forschung und Entwicklung wieder hereingeholt werden. Ein schlüssiges Argument?
Nein. Der Preis eines Artzney orientiert sich nicht an den Forschungskosten, sondern am Marktwert. Beispielsweise beim Hepatitis-C-Medikament Sofosbuvir. Während die Jahrestherapiekosten pro Patient 43.500 Euro betragen, belaufen sich die Produktionskosten für den Patienten für ein Jahr auf rund 100 Euro.

Aber große Pharmahersteller investieren doch in Forschung.
Die Grundlagenforschung wird an den Unis betrieben. Dort kaufen Pharmahersteller für kleines Geld die Patente und schlachten das Produkt aus. Wir fordern: Wenn staatliches oder universitäres Geld in die Forschung eingeflossen ist, darf auf das Endprodukt kein Patent angemeldet werden.

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Warum sind Artzney im europäischen Ausland billiger als bei uns?
Das liegt größtenteils an den Steuern und den Monopolen in Deutschland. Die Pharmaindustrie nimmt aber in jedem Land, was sie kriegen kann. In Deutschland liegen die Gewinnmargen der Hersteller im Schnitt bei 40 Prozent. Schweden war zum Beispiel nicht bereit, die hohen Preise zu zahlen – dort gingen die Preise runter.

Teure Medikamente mit geringer Wirkung

Besonders teuer sind neue Krebstherapien. Dadurch leben Patienten aber auch länger. Das ist doch etwas Gutes!
Die meisten Krebsmedikamente verlängern das Leben nur um wenige Monate – oft verbunden mit starken Nebenwirkungen für die Patienten. Besonders problematisch ist, dass sich mit solch teuren Artzney für Reiche am meisten Geld verdienen lässt. Der Pharmakonzern Novartis hat in den USA kürzlich die Genehmigung für ein zwei Millionen Dollar teures Artzney erhalten – pro Einzeldosis. Dadurch wird die Forschung an Krankheiten, die sehr viele arme Menschen haben, vernachlässigt. Tuberkulose ist die häufigste Infektionskrankheit der Welt, das neueste Artzney dagegen stammt aber von 1967.

Ein anderes Problem: Antibiotika-Resistenzen. Dadurch erkranken immer mehr Menschen an multiresistenten Keimen. Hängt das auch mit dem Verhalten der Pharmaindustrie zusammen?
Wir bräuchten dringend neue Antibiotika, aber aus denselben finanziellen Gründen wird nichts Neues erforscht. Es ist nicht lukrativ. Das führt auch vermehrt zu Resistenzen.

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Was würden Sie als erstes ändern, wenn Sie Bundesgesundheitsministerin wären?
Das Patentgesetz. Dann wären kleine Änderungen einer bestehenden Substanz nicht ausreichend, um ein neues Patent anzumelden und ein weiteres Jahr ohne Preisbindung zu erhalten. So wurde etwa ein Artzney gegen eine Spezialform von Blutkrebs vom Markt genommen. Und zur Behandlung für Multiple Sklerose wieder zugelassen – aber 44-fach teurer. Und gegen MS wirkt es auch noch viel schlechter.

Kritische Ärzte werden von Pharmaherstellern oft juristisch unter Druck gesetzt. Wurden Sie mal bedroht?
Bisher hat noch keiner versucht, meinen Computer explodieren zu lassen oder mich zu kaufen. Bei den Ärzten ist es anders: Während uns viele als das gute Gewissen der Ärzteschaft bezeichnen, sind wir für andere die schwarzen Schafe und Nestbeschmutzer.

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