Schlechter Witz
Den Pflege- Tüv hätten wir uns sparen können: Susanne Stephan, Wirtschaftsredakteurin der AZ, über die Kritik am Pflege-Tüv
Respekt: Kaum vergeht über ein halbes Jahr, merken immer mehr Politiker, dass der Pflege-Tüv, der im vergangenen Jahr mit viel Tamtam aus der Wiege gehoben wurde, seinen Namen nicht verdient, dass er den Bedürfnissen hilfloser Menschen und ihrer Angehörigen hohnspricht. Geht’s nach den Noten, die die Experten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen verteilen, leben unsere zumeist betagten Heimbewohner im Paradies.
Größtenteils steht eine 1 bis 2 als Gesamtnote unter dem Bericht. Ein Witz angesichts der Zustände in den meisten Einrichtungen, die unter Personalmangel, Geldnot und Bürokratie leiden.
Aber die Diskrepanz zwischen Beurteilung und Wirklichkeit war ja vorherzusehen. Von den Krankenkassen zu erwarten, dass sie schonungslos die Missstände in deutschen Heimen aufdecken, war unrealistisch – schließlichmüssten die Kassen in diesem Fall höhere Pflegesatz-Forderungen der Einrichtungen fürchten.
Von den Trägern der Einrichtungen zu erhoffen, dass sie einem Bewertungssystem zustimmen, das die schwarzen Schafe in ihren Reihen brandmarkt, war ebenfalls utopisch. Welches Heim will schon Tag und Nacht darauf eingestellt sein, dass seine Schwachstellen von unabhängigen Experten offengelegt werden?
Den Pflege-Tüv hätten wir uns also sparen können. Genauso gut hätten wir die lokale Heimaufsicht stärken können – die weiß zum Teil nämlich recht genau, woran es in den Einrichtungen hapert. Die Frage bleibt, ob angesichts knapper Kassen das Interesse an diesem Wissen wirklich ausreichend ist.
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