Schalke-Chef vor Gericht

Fleischgigant und Fußball-Boss Clemens Tönnies steht vor Gericht: Sein Konzern soll Etiketten- schwindel betrieben haben. Der Fall hat alles, was einen echten Wirtschaftskrimi ausmacht
von  jr

Essen - Wer mehr Schwein hat als erwartet, regt sich eigentlich nicht auf. Die Staatsanwaltschaft sieht das in diesem Fall freilich anders: Sie hat Fleischmogul und Schalke-Aufsichtsratschef Clemens Tönnies sowie zwölf seiner Mitarbeiter vor den Richter geladen, gerade weil die Kunden zu viel Schwein bekamen – und zwar laut Anklage in 175 Millionen Fällen.
Hochgerechnet hat also jeder Bundesbürger mehr als zwei Packungen des beanstandeten Hackfleischs gegessen. „Tönnies Fleischwerk” verkauft über große Discountketten sein abgepacktes gemischtes Hack. Das Schwein-Rind-Verhältnis war laut Anklage aber nicht wie auf der Verpackung angegeben – Verstoß gegen das Lebensmittelrecht.
Der Etikettenschwindel hat alles, was ein Wirtschaftskrimi braucht. Zunächst einen prominenten Verdächtigen: Tönnies ist nicht irgendwer im Ruhrpott, er gilt als größter deutscher Fleischproduzent. Und als Boss von Schalke 04 nimmt er auch kein Blatt vor den Mund, wenn ihm an Trainer und Manager Felix Magath etwas nicht passt.
Die nächste Zutat für den Krimi ist der rätselhafte Todesfall: So ist der Kronzeuge der Anklage, ein Ex-Manager des Fleischwerks, in einem Hotel tot aufgefunden worden. Todesursache: innere Blutungen. Doch keine Hinweise auf ein Fremdverschulden.
Was noch fehlte, waren hartnäckige Ermittler, die ihr Fall auch nach Feierabend nicht in Ruhe ließ: Ein Eichbeamter hatte sich nachts Zugang zu Tönnies’ Hallen verschafft, wurde aber von einer Überwachungskamera gefilmt, als er sich an der Schlachtwaage zu schaffen machte. 60 Mal durchsuchten Mitarbeiter der Einsatzkommission „Fish” (Fraud in Slaughter House) den Betrieb. Sogar auf Zypern stöberten die Ermittler.
Clemens Tönnies’ Bruder Bernd hatte den Riesenbetrieb 1971 als „Großhandel für Fleisch und Wurst” gegründet und immer wieder erweitert. Nach der Wende kauften sich die Tönnies-Brüder auch in Weißenfels in Sachsen-Anhalt ein und sind dort heute der größte Arbeitgeber.
Allein 2007 wurden bei Tönnies elf Millionen Schweine geschlachtet – da liegt der Verdacht nahe, das Mischverhältnis sei angepasst worden, war die entsprechende Menge Rindfleisch nicht verfügbar.
Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück: Hinter dem Verfahren stecke die Konkurrenz. Deren milliardenschweres Übernahmeangebot hatte Tönnies laut Medienberichten vor Beginn der Ermittlungen abgelehnt. Auch habe der verstorbene Hauptbelastungszeuge für gerade diesen Konkurrenzkonzern gearbeitet.
Tönnies’ Verteidiger Sven Thomas beantragte gestern zum Prozessauftakt gleich die Einstellung des Verfahrens wegen „gravierender Mängel”.
40 Tage sind angesetzt, um Licht ins Dickicht der Vorwürfe und Gegenvorwürfe zu bringen. Dass es nicht genug Beweismaterial gibt, ist angesichts der Abermillionen von Hackfleischpackungen kaum vorstellbar. Im Falle einer Verurteilung drohen von der Justiz nur Geld- oder Bewährungsstrafen. Schlimmer träfe Tönnies jedoch ein Verlust der Lieferverträge mit den Discountketten.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.