Relikt, nicht Reliquie
Kommt jetzt das Grauen in der Spaßgesellschaft an? Georg Thanscheidt über das Zur-Schau-Stellen der Todeszelle am Geiselgasteig.
Eine Todeszelle im Freizeitpark? Der Raum, in der sich eine Terroristin umbrachte, als Anschauungsobjekt für Eis schleckende Touristen und filmbegeisterte Familien? Das wird nicht allen gefallen – muss es aber auch nicht.
Zugegeben: Das Zur-Schau-Stellen der Original- Zelle, in der sich in der Nacht zum 18. Oktober 1977 Gudrun Ensslin erhängte, ist ein wenig makaber. Aber es besteht die Hoffnung, dass die bisher in Stuttgart-Stammheim eingelagerten und damit nicht öffentlich zugänglichen Gegenstände, so auch pädagogisch genutzt werden können: Als Lehrbeispiel aus einer „bleiernen Zeit“, als Relikt – nicht Reliquie – aus dem mörderischen Herbst 1977.
Es ist ein Stück deutscher Geschichte, das nun seinen Weg eben nicht in ein Museum, sondern in einen Film-Freizeitpark gefunden hat. Genau so wie die Kulissen von Buchheims „Das Boot“, die dort auch zu sehen sind und die qualvolle Enge in den „schwimmenden Särgen“ des Zweiten Weltkriegs verdeutlichen. Oder die Wachsfigur von Adolf Hitler, deren Präsenz in einem Berliner Wachsfigurenkabinett für Irritationen sorgt.
Hitler im Führerbunker, Ensslin in der Todeszelle – es irritiert, dass diese Objekte nun auch in der westdeutschen Spaßgesellschaft ihren Platz finden sollen. Wenn dabei noch Raum für eine ernsthafte Auseinandersetzung bleibt und wenn zudem noch neue Zielgruppen mit den grauenhaften Kapiteln der deutschen Geschichte konfrontiert werden, ist dies auch eine Chance.
Jetzt liegt es an den Verantwortlichen, diese auch zu nutzen.
Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der Abendzeitung
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