Quälendes Ausbluten
Gerade Pflege erfordert Einfühlsamkeit und Sozialkompetenz - AZ-Politikredakteur Markus Jox über die Zukunft des Zivildiensts
Kaum etwas macht die Mutlosigkeit und die fehlende Richtung des schwarz-gelben Koalitionsvertrags so augenfällig wie die Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf sechs Monate: Die Union wollte mit Zähnen und Klauen an ihr festhalten, die Liberalen wollten sie abschaffen. Heraus kam: ein windelweicher Kompromiss.
Das halbe Jahr, das junge Männer ab 2011 noch dienen sollen, reicht vielleicht noch aus, um das Reinigen einer Waffe zu lernen oder Suppen durch die Gegend zu fahren. Aber nicht mehr, umdas Vertrauen gebrechlicher, pflegebedürftiger oder schwerbehinderter Menschen zu erlangen. Keine Frage: Der Beschluss bedeutet das langsame, quälende Ausbluten des Zivildienstes.
Natürlich: Wenn nur noch 15 Prozent eines Jahrgangs junger Männer zum Pflichtdienst herangezogen werden, kann niemand mehr ernsthaft von Wehrgerechtigkeit reden. Andererseits ist dieser Trend nicht neu. Fahrlässig untätig hat die Politik viel zu lange zugeschaut, wie ein moribunder, aber billiger Zivildienst als tragende Säule des Sozialsystems missbraucht worden ist.
Wie soll es jetzt weitergehen? Soll der Staat künftig Hartz IV-Empfänger dazu abkommandieren, als Ein-Euro-Jobber Parkinsonpatienten die Windeln zu wechseln? Oder einfach ein paar Euro mehr in die Freiwilligendienste stecken? Gerade Pflege und Betreuung erfordern viel Einfühlsamkeit, Sozialkompetenz und emotionale Intelligenz. Wenn ein Großteil sozialer Arbeit weiter zum Niedriglohnsektor zählt, kann einem um die Zukunft unserer rapide alternden Gesellschaft angst und bange werden.
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