Private Krankenkassen: Entscheidung fürs Leben

Der Wechsel in die privaten Kassen wird deutlich leichter: Ein AZ-Service, für wen sich das lohnen kann. Aber Achtung: Man darf nicht nur die Jahre als junger, kinderloser Gutverdiener rechnen
von  Abendzeitung
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MÜNCHEN - Der Wechsel in die privaten Kassen wird deutlich leichter: Ein AZ-Service, für wen sich das lohnen kann. Aber Achtung: Man darf nicht nur die Jahre als junger, kinderloser Gutverdiener rechnen

Vor allem junge Gutverdiener sind schwer am Überlegen: Lohnt sich der Absprung aus dem Kassendasein? Die privaten Versicherer locken mit billigen Einstiegstarifen ab 40 oder 50 Euro im Monat. Das spart einige hundert Euro im Jahr. Und ab Januar wird im Rahmen der Gesundheitsreform der Wechsel einfacher: Die Versicherungsgrenze sinkt um ein Prozent, die dreijährige Wartezeit fällt weg. Künftig kann sofort umsteigen, wer 49500 Euro brutto im Jahr verdient hat. Die Gegenrechnung sieht auf den ersten Blick weniger attraktiv aus: Die Kassenbeiträge steigen 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent. Das kann Mehrausgaben von 100 bis 200 Euro im Jahr bedeuten – plus mögliche Zusatzbeiträge. Was tun: Gehen oder bleiben? Wer Kinder und Familie will, soll lieber in der Kasse bleiben, rät Bastian Landorff von der Verbraucherzentrale Nürnberg. Spätestens im Alter wird es teuer. Wer heute mit 30 einsteigt, muss damit rechnen, als Rentner das Dreifache zu zahlen. Die AZ hat Fakten zusammengetragen.

Wer kann profitieren? Eine private Absicherung lohnt sich für Beamte, da der Staat ihnen Beihilfe zahlt. Auch junge, gesunde Singles und berufstätige Paare ohne Nachwuchs können tatsächlich erst einmal ordentlich Geld sparen. Anders als in der Gesetzlichen bemisst sich die Prämie nicht am Einkommen, sondern an der gewählten Absicherung, an Alter und Gesundheit. Aber aufgepasst: Billige Lockvogeltarife sind meist Magertarife mit abgespeckten Leistungen. Für Männer ab 46 und Frauen jenseits der 37 rechnet sich ein Wechsel meist nicht mehr.

Welche Haken gibt es? Was preiswert startet, geht mit dem Alter richtig ins Geld. So wie bei der Münchnerin Andrea E. (48), die Ende 20 mit einem Billigtarif anfing und jetzt monatlich gut 800 Euro hinblättern muss. Der Umstieg könne zum Finanzrisiko werden, mahnen Verbraucherschützer zur Vorsicht. Viele Privatversicherte sind schnell am Limit, wenn sie einmal weniger verdienen, Kinder bekommen oder als Rentner niedrige Einkommen haben. Der Ausstieg ist eine Entscheidung fürs Leben, nicht nur für ein paar Jahre als Gutverdiener. Ein Zurück zur Kasse gibt es nur bei Arbeitslosigkeit oder drastisch sinkendem Verdienst. Ab 55 Jahren ist eine Rückkehr praktisch ausgeschlossen.

Was ist, wenn Kinder kommen? Anders als bei den Gesetzlichen können Partner und Kinder nicht beitragsfrei mitversichert werden. Ist der Besserverdiener der Familie in der Privaten, muss er jedes Kind einzeln privat versichern, im Schnitt für je 120 Euro pro Monat. Der Ehepartner muss sich, wenn er nicht angestellt beschäftigt ist, freiwillig gesetzlich oder ebenfalls privat absichern. Das geht für eine Familie richtig ins Geld.

Bleiben die Kosten kalkulierbar? Nein. Auch die privaten Versicherer erhöhten mit steter Regelmäßigkeit die Prämie, so Lilo Blunck vom Bund der Versicherten (BdV). Ihre Versicherten werden oft drastischer zur Kasse gebeten als die Gesetzlichen– und sie kommen eben nicht mehr raus. Zu Jahresbeginn gab es Teuerungswellen zwischen fünf und 30 Prozent. Nicht einmal im Ruhestand wird’s billiger. So kann es passieren, dass ein Rentnerpaar zusammen über 1400 Euro im Monat für die private Versicherung zahlen muss. Meist bleibt dann nur eine höhere Selbstbeteiligung. Oder die Rückstufung in den niedrigsten Privattarif, dessen Leistungen oft unter denen der Kassen liegt.

Wie steht’s um die Leistungen? Auch die Privaten sparen. Versicherte müssen zunehmend um die Erstattung ihrer vertraglichen Leistungen kämpfen. 2009 gingen rund 5000 Beschwerden beim Ombudsmann für die private Kranken- und Pflegeversicherung, Helmut Müller, ein: 15 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Kaum bekannt ist, dass Private von vornherein keine Eltern-Kind-Kuren zahlen und in der Regel auch keine häusliche Krankenpflege oder Haushaltshilfe – alles selbstverständlich für Kassenpatienten. Berrit Gräber

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