Praktisch im Aus

Jahrelang lockte Praktiker seine Kunden mit Rabattaktionen, jetzt liegt die Kette selbst auf dem Wühltisch. Schuld sind das schlechte Wetter im Winter und Frühjahr, aber auch die Billigstrategie
Susanne Stephan |
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MÜNCHEN Markus Schürzholz muss es gewusst haben. Der frühere Finanzvorstand von Escada, der nach der Pleite des Münchner Modelabels zur Baumarktkette Praktiker gewechselt war, räumte dort Ende Mai seinen Posten. Praktiker befand sich zu diesem Zeitpunkt schon im Stadium der Dauer-Reanimation. Jetzt ist der Exitus nah: Die Kette hat Insolvenz beantragt.

Aggressive Rabatte – immer noch. Praktiker-Aktien stürzten gestern auf rund 10 Cent ab, auf der Website verkündet das Unternehmen eine „positive Fortführungsprognose“ werde „verneint“. Für Kunden gibt’s aber unverdrossen weiter gute Nachrichten: Der Nass-Trocken-Sauger von Kärcher ist für 109,99 Euro statt für 139,99 Euro zu haben, ein Akku-Schlagbohrer von Bosch für 143,99 Euro statt für 209,99 Euro. Mit immer aggressiveren Preissenkungs-Runden machte Praktiker in den letzten Wochen auf sich aufmerksam – untrügliches Zeichen dafür, dass das Unternehmen Bares brauchte, im Wortsinn zu jedem Preis. Am Mittwochabend hatte sich der Vorstand mit einzelnen Gläubigern getroffen, um einen Ausweg zu finden, aber umsonst. Für die 20000 Beschäftigten der rund 430 Märkte (vier davon in München und Dachau) bedeutet das den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze.

Das miese Wetter verhagelte das Ergebnis. Erst im vergangenen Herbst hatte sich Praktiker neues Geld besorgt. Die Finanzspritze sollte dafür sorgen, die Kette mit der ertragsstarken Tochter Max Bahr auf ein neues Fundament zu stellen. Doch dann kam das miese Wetter und gab Praktiker den Rest. Erst ein Dauer-Schmuddel-Winter, dann ein Frühling, der keiner ist – das macht niemandem Lust auf Renovierungsarbeiten. Auch im Gartenbereich, der in der Branche ein Viertel zum Umsatz beiträgt, dürfte es angesichts des nasskalten Wetters schlecht gelaufen sein. Zum Schluss ging alles ganz schnell: Der Verkauf dreier luxemburgischer Märkte scheiterte, ein Warenkreditversicherer, mit dem üblicherweise der Geldstrom vom Einzelhändler zum Lieferanten abgesichert wird, warf Anfang der Woche das Handtuch.

Job in Gefahr trotz Lohnverzicht. Die Beschäftigten spürten die schlechte Finanzverfassung von Praktiker am eigenen Leib. Im vergangenen Jahr einigte sich die Kette mit der Gewerkschaft auf Abstriche am Urlaubs- und Weihnachtsgeld, bis zuletzt liefen erneute Sanierungs-Tarifverhandlungen für 2013 und 2014. Ärgerlich für die Belegschaft: „Wir haben nicht gesehen, dass sich im Unternehmen irgendetwas geändert hat“, berichtet Victoria Sklomeit von der Gewerkschaft Verdi. Angesichts der brisanten Lage scheint dem Vorstand in den vergangenen Monaten nicht viel mehr eingefallen zu sein als immer neue Rabattaktionen. „20 Prozent auf alles außer Tiernahrung“ – dieser Slogan war über die Jahre hinweg zum Markenzeichen von Praktiker geworden. Selbst Sanierer Thomas Fox, der 2011 zu Praktiker gekommen war, bezeichnete die Dauerrabatte als „süße Droge“. Doch scheint ein Entzug angesichts der schwierigen Branchenlage zu schwierig gewesen zu sein.

Kein Retter in Sicht. Wie es mit Praktiker weitergeht, ist unklar. Die Baumarktkette Obi jedenfalls will den Konkurrenten nicht übernehmen. Erivan Haub, der Chef des Obi-Mutterkonzerns Tengelmann, sagte, er habe das Exposé zu Praktiker bereits vier Mal auf dem Tisch gehabt. „Es wurde zwar immer preiswerter, aber nicht besser.“ Haub berichtet von einer Marktbereinigung, die sich nicht nur in Deutschland abspiele. „Es gibt kaum ein Land, wo uns nicht Baumarktketten angeboten werden.“

 

Baumärkte in Deutschland: Die Katerstimmung nach dem Boom

Do it yourself!, ermunterten sich Amerikaner in den 50er Jahren gegenseitig, und auch in Deutschland wurde die Aufforderung zum Eigenbau beliebt. Der Slogan kondensiert den Optimismus der Nachkriegszeit: Selbst hämmern, schrauben, malern, die eigene Zukunft sprichwörtlich in die Hand nehmen, der Angebotsmacht der Firmen Einfallsreichtum und Fleiß entgegensetzen. Ich schraube, also bin ich. Der Samstag wurde arbeitsfrei, die Wochenarbeitszeit schrumpfte bis auf überschaubare 35 Stunden, Schwarzarbeit beschäftigte halbe Dörfer – ein Dorado für Baumärkte, die den unternehmungslustigen Heimwerkern Pinsel, Farbe, Werkzeug und immer ausgefalleneres Werkzeug lieferten. Beliebt war auf einmal, wer beim Umzug oder beim Dachausbau helfen konnte, und wer auch noch einen anständigen Bohrhammer mitbrachte, avancierte im Freundeskreis zum Star – wenigstens für ein Wochenende. Auch für die trendigste Branche sind allerdings irgendwo die Grenzen des Wachstums erreicht, auch für die deutschen Baumärkte. Nicht nur Praktiker klagte über eine miese Ertragslage, auch Hornbach kämpft mit Einbrüchen beim Betriebsergebnis und beim Umsatz. Der Einzelhandelsverband EHI hat ausgerechnet, dass in Deutschland auf 34300 Einwohner ein Baumarkt kommt. Zum Vergleich: In den 80er Jahren betrug das Zahlenverhältnis eins zu 85500. Doch so viele Hämmer und Schleifmaschinen, wie uns jetzt geboten werden, braucht niemand – es wird Zeit für den großen Abbruch und ein Aufräumen, zumindest in Teilen der Branche. sun

 

 

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