Politik vor Literatur

Ärgerlich ist die undichte Stelle im Zirkel der Juroren - AZ-Kulturchef Volker Isfort über den Literaturnobelpreis für Herta Müller

Die Bekanntgabe des Sekretärs der Schwedischen Akademie wurde erstmals auf YouTube übertragen, Herta Müllers Wikipedia-Eintrag schon Sekunden später geändert, ebenso schnell kamen die ersten Twitter-Kommentare („Herta kann doch noch gewinnen“). Sonst allerdings blieb an diesem Nobelpreis-Donnerstag alles beim Alten: Die Akademie lässt sich in ihrer Suche nach dem richtigen Kandidaten nicht von großen Namen blenden, sondern setzt das Politische vor das Literarische – so sehr sich Philip-Roth-Fan Marcel Reich-Ranicki auch darüber beklagt. Für den interessierten Leser ist dies oftmals irritierend bis enttäuschend, für die hochliterarischen Weltstars von Roth über Mario Vargas Llosa bis hin zu Antonio Lobo Antunes schlichtweg frustrierend.

Gesucht wird aber nicht der „beste Autor“, sondern ein Autor mit gesellschaftlicher Botschaft, darauf zielt auch die Begründung für Herta Müller. Manchmal trifft literarische Extraklasse auf Botschaft – wie ihm Falle von Imre Kertész (2002), manchmal überwiegt das weltweite Kopfschütteln wie bei Elfriede Jelinek (2004) oder Jean-Marie Gustave Le Clézio (2008).

Erstaunlich ist in jedem Fall der immer noch ausgeprägte Eurozentrismus der Schwedischen Akademie und besonders ärgerlich die offenbar „undichte“ Stelle im angeblich so verschwiegenen Jurorenzirkel.

Zum wiederholten Mal ging der spätere Sieger beim britischen Internet-Wettanbieter ladbrokes von den hinteren Rängen kurz vor der Stockholmer Entscheidung als Favorit in die Zielkurve. Das kann kein Zufall sein.